: Aufklärung unerwünscht
Die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht führten zu einem Schauprozess, in dem sich etliche Zeugen äußerten und am Ende niemand wegen Mordes verurteilt wurde. Die Künstlerin Ana Torfs hat auf Grundlage der Prozessprotokolle eine Installation erarbeitet, die jetzt in Hannover zu sehen ist
Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von rechts gerichteten Bürgerwehrverbänden aufgegriffen, im Berliner Hotel Eden vom Freikorps verhört, misshandelt und während ihres Transports ins Untersuchungsgefängnis Moabit ermordet. Noch bevor Rosa Luxemburgs halb verweste Leiche im Juni 1919 aus dem Landwehrkanal geborgen werden konnte, fand im Mai ein Scheinprozess vor dem „Feldkriegsgericht des Garde-Kavallerie-Schützen-Korps“ statt. Die neun Angeklagten waren fast alle angesehene Offiziere, über die mit ihnen sympathisierende Kollegen richten sollten. Wegen Mordes wurde keiner der Angeklagten verurteilt, sechs wurden freigesprochen, einer erhielt eine leichte Strafe und zwei weitere eine Gefängnisstrafe, die die beiden aber nicht absaßen. Die Tat war von dem Leiter der Kavallerie-Schützen-Division Waldemar Papst angeordnet worden, der behauptete, sich zuvor mit SPD-Reichswehrminister Gustav Noske beraten zu haben. Beide blieben von dem untersuchenden Militärgericht unbehelligt. In den Folgejahren sollten sich die Übergriffe der solchermaßen von der Justiz legitimierten Freikorps mehren. Viele ehemalige Mitglieder der Freikorps schlossen sich 1921 Hitlers „Sturmabteilung“ (SA) an und ebneten Hitler in dieser äußerst gewalttätigen paramilitärische Organisation den Weg zur Macht. TAZ
VON KLAUS IRLER
Das Militärarchiv des Bundes ist in einem Hochhaus untergebracht, einem rechtwinkligen Klotz aus den 1960er Jahren in Freiburg im Breisgau. Zu den Beständen des Archivs gehören auch Dokumente, die in Zusammenhang mit den Freikorps stehen. Es waren Freikorps-Soldaten, die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht umgebracht haben. Und es gibt in dem Freiburger Militärarchiv das „Wortprotokoll der Hauptverhandlung vom 8. bis 14. Mai 1919“, in dem die Zeugenaussagen festgehalten sind, die bei dem Prozess nach den Morden gemacht wurden.
Dieses Protokoll liegt an einem kalten Dezembermorgen im Jahr 2005 vor der belgischen Künstlerin Ana Torfs. Es sind sieben Stapel dünnen, vergilbten Papiers in schwarzen Mappen, insgesamt rund 1.200 Seiten. Torfs hat sich vorbereitet auf diesen Moment, sie weiß genau, was sie sucht: Sie hat das Urteil des Prozesses bereits im Berliner Landesarchiv eingesehen und weiß, welche Zeugenaussagen angeführt wurden in diesem Scheinprozess. Torfs ist Künstlerin und braucht die Aussagen für ihre Installation „Anatomy“, die derzeit im Sprengel-Museum in Hannover zu sehen ist.
In den Protokollen geht es um Aussagen wie diese: „Ich war vor dem Eden Hotel Posten gestanden. Am selben Abend, als es hieß, dass Liebknecht eingeliefert wurde, bekam ich eine furchtbare Wut. Ich sah gerade Liebknecht in dem Auto. Ich weiß nicht, ob ich ihm einen oder zwei Kolbenschläge getan habe. Ich weiß nicht, ob die Kolbenschläge wirkten. Ich glaube sie haben das Auto getroffen.“ Das gibt ein Jäger zu Pferde zu Protokoll. Und ein Leutnant zur See sagt auf die Frage: „Hat er geblutet?“ – „Ja.“
Ana Torfs ist erstaunt, dass sie ohne weiteres die Originaldokumente von 1919 einsehen kann. Sie schreibt alles ab, was sie braucht, und ist nach drei Tagen fertig. Am vierten Tag beschäftigt sie sich mit den Voruntersuchungen und stößt dabei auf das Foto eines nackten Körpers. „Die langen Haare liegen auf einem Haufen neben dem halbverwesten Kopf: Es ist ein Originalfoto vom Juni 1919, das nach der Bergung des Körpers von Rosa Luxemburg aus dem Landwehrkanal aufgenommen sein muss“ berichtet Torfs. „Obwohl das Bild grauenvoll ist, kann ich den Blick nicht abwenden.“
Zurück in Berlin engagiert Torfs 25 SchauspielerInnen und lässt diese die Aussagen von Zeugen und Angeklagten vor einer Kamera sprechen. Im schlichten Hemd oder schlichter Bluse vor grauem Hintergrund blicken die Schauspieler direkt in die Kamera und beantworten die Fragen des Gerichts, ausweichend und kurz angebunden. Zu Wort kommen nicht nur die Soldaten des Freikorps, sondern auch Zeugen wie ein Kellner, eine Garderobenfrau, ein Chauffeur oder eine Buchhändlerin. Diese kurzen Verhöre werden im Sprengel-Museum auf zwei Monitoren wiedergegeben, die in einem dunklen Raum stehen. Die beiden Monitore sind der eine Teil der Arbeit „Anatomy“.
Der andere Teil ist eine Projektion von Dias, die Torfs im Hörsaal des so genannten „Anatomischen Theaters“ in Berlin aufgenommen hat. Das „Anatomische Theater“, gebaut 1789-1790, ist eine Art Amphitheater, von dem jeder Zuschauer einen perfekten Blick auf den Seziertisch unter der Lichtkuppel hat. Der Bau diente damals der Tiersektion, heute ist dort der Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität untergebracht.
Torfs hat auf den Rängen des „Anatomischen Theaters“ Schauspieler drapiert und abgelichtet. Diese stummen Bilder von ernst dreinblickenden, mitunter durch Blicke miteinander verbundenen Menschen begleiten die Aussagen aus den beiden Monitoren – der Personenkreis wird noch größer und eingebracht wird die Welt der um Aufklärung bemühten Wissenschaft.
Allerdings ist es nicht so, dass die Installation versucht, Licht ins Dunkel des Mordfalles zu bringen. Es geht auch nicht um die historische Dokumentation, sondern um eine künstlerische Verarbeitung eines Ereignisses, dessen sich sonst nur Historiker und Juristen annehmen würden.
Bei Torfs wird der Mordprozess zerlegt in Einzelbeiträge aus schmallippigen Antworten und in Bilder betretener Mienen. Torfs setzt den Prozess neu zusammen auf einer assoziativen poetischen Ebene, zu der jeder Beteiligte beiträgt durch seine Variante von „Ich bin unschuldig“, flankiert von einem wahlweise flehenden, distanzierten, weinerlichen, süffisanten, nüchternen oder ängstlichen Gesichtsausdruck. Aufklären will hier niemand. Was tragisch ist – aber wahr.
bis 7. September im Sprengel-Museum, Hannover