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Archiv-Artikel

ACHSE DES OSTBLOCK – DANIEL BAXDie Kiew-Connection

Für viele im Westen ist die Ukraine noch immer popkulturelles Niemandsland. Die beiden „Russendisco“-Erfinder Yuriy Ghurzhy und Wladimir Kaminer malen ihn jetzt in den buntesten Farben aus. Ihrer neuen Compilation liegt sogar ein Falt-Poster bei, auf der sie die Sehenswürdigkeiten des Landes markiert haben.

„Ukraine do Amerika“ weist zudem auf die musikalischen Höhepunkte zwischen Karpaten, Schwarzem Meer und Kaukausus hin. Dazu gehört die populäre Band Mandry, die mit treibendem Polka-Ska die CD eröffnet und eine melodieselige Akkordeonballade beisteuert. Ebenfalls aus Kiew stammen Mad Heads X: die ehemalige Psychobilly-Band hat sich vor vier Jahren um eine Bläsersektion verstärkt und seitdem den ukrainischen Folk-Roots verschrieben. Zwei Bands aus dem Westen der Ukraine stehen noch tiefer in der Tradition. Perkalaba schöpfen aus dem Sound der Karpaten, ihren Stil nennen sie „Hutzul Ethno-Ska“.

Die ukrainische Szene präsentiert sich damit vielseitiger, folkiger und auch fröhlicher als die in Moskau oder St. Petersburg. Im Booklet dient Kaminer den Deutschen die Ukraine deshalb schon ironisch als neuen „kulturellen Hegemon“ an. Aber es würde ja schon reichen, sie nicht länger zu ignorieren.

Russendisko: „Ukraine do Amerika“ (Buschfunk)

Der Post-Yugo-Groove

Benannt haben sich La Cherga nach einem traditionellen Flickenteppich vom Balkan. Das passt zu ihren Tracks, in denen sie osteuropäische Weisen und jamaikanisch inspirierte Club-Beats zu etwas ganz Neuem verweben. Mal trifft der geloopte Klang einer Maultrommel auf einen Bass-Groove und eine Akkordeon-Melodie, mal verzieren Klarinette, Bläser und Drehleier einen Dub-Beat mit Balkan-Motiven, mal mischt sich eine Roma-Hochzeitskapelle mit Ragga- und Drum-’n’-Bass-Breaks. Über allem schwebt der Gesang von Irina Karamarković, mit seiner Aura mädchenhafter Coolness.

Die Sängerin stammt aus dem Kosovo, der DJ Nevenko Bucan aus Kroatien. Die übrigen Musiker hat es aus Bosnien und Mazedonien nach Deutschland oder Österreich verschlagen. Sie nennen ihren Stil „Elektro-Roots-Musik für das 21. Jahrhundert“. Die meisten Stücke auf ihrem Debütalbum „Fake No More“ drängt es mit Nachdruck auf die Tanzfläche – so etwa „Don’t Go This Way“, das mit seinem Ska-Beat bald eine feste Größe auf den Balkan-Partys dieser Welt sein dürfte. „Muki’s Pub“ dagegen kleidet eine Roma-Ballade in einen geschmeidigen Groove. So kosmopolitisch könnte, ja müsste die Musik aus Exjugoslawien heute klingen, wenn es über die Grenzen der Teilrepubliken hinweg noch einen regen kulturellen Austausch gäbe.

La Cherga: „Fake No More“ (Asphalt Tango)

Der Spaghetti-Balkan

Als italienische Regisseure wie Sergio Leone in den Sechzigern begannen, ihre Westernfilme zu drehen, wurde dieses Genre spöttisch „Spaghettiwestern“ getauft. Die Band „Figli di Madre Ignota“ aus Mailand nennt ihren Stil „Spaghetti-Balkan“. Doch tatsächlich ist die Musik des benachbarten Ostens nur eine der vielen Quellen, aus denen Figli Di Madre Ignota ihren Sud schöpfen. Mit ihrer Liebe zu Comics, B-Movies und Orientfantasien zeigen sie sich auch als Archäologen vergangenen Trashkultur. Wie eine schmierige Nachtclubband präsentieren sich die Mailänder in schwarzen Anzügen, Lackschuhen und mit Fez auf dem Kopf. Aus Mambo-Swing und Balkan-Brass, aus Surfgitarren, Ska und Rock ’n’ Roll entwerfen sie ihre eigene Fake-Folklore.

„Figli di Madre Ignota“ bedeutet „Söhne einer unbekannten Mutter“: So wurden früher in Italien jene Waisenkinder bezeichnet, die nicht von ihren Müttern angenommen wurden – meist waren sie außerehelichen Beziehungen entsprungen. Mit ihrer musikalischen Promenadenmischung nehmen die Figli die Madre Ignota auch keine Rücksicht auf kulturelle Herkunft oder authentische Traditionen. Wäre ihre Musik ein Film, er würde wie eine Koproduktion von Fellini, Kusturica und Tarantino aussehen.

Figli di Madre Ignota: „Fez Club“ (Eastblok)