: „Kuba wird die chinesische Lösung anstreben“
Raúl Castro wird die Wirtschaft weiter liberalisieren, am politischen Status quo jedoch kaum etwas ändern. Der Kuba-Experte Hans-Jürgen Burchardt glaubt für die Zeit nach Fidel Castro eher an langsame Reformen als einen Umsturz
taz: Wird der kubanische Sozialismus ohne Fidel Castro überleben?
Hans-Jürgen Burchardt: 25 Prozent der Bevölkerung sind gegen das Regime und würden sich aktiv artikulieren, wenn das möglich wäre. 25 Prozent unterstützen das Regime. Eine schweigende Masse von 50 Prozent ist entpolitisiert und befasst sich mit ihren Alltagsproblemen. Für welche Politik diese Masse gewonnen werden kann, wird entscheiden, wo der Weg Kubas hingeht.
Die USA haben die kubanische Bevölkerung dazu aufgerufen, einen Regimewechsel herbeizuführen. Ist das förderlich für eine Demokratisierung des Landes?
Die nationale Souveränität ist in Kuba ein sehr hohes Gut. Die ständige Einmischung der USA wird als Bedrohung wahrgenommen. Gleichzeitig macht sie eine glaubwürdige Opposition auf der Insel unmöglich, da diese in Verdacht steht, von den USA instrumentalisiert zu werden.
Sollten die USA ihre jahrzehntelange Wirtschaftsblockade jetzt aufheben?
Wenn Außenpolitik immer rational wäre, hätten die USA schon lange von dieser aggressiven Haltung Abstand nehmen müssen. Die Wirtschaftsblockade ist der letzte Anachronismus des Kalten Krieges. Mit dieser Politik hat man Kuba immer schon einen Sündenbock geliefert, auf den innenpolitische Probleme geschoben werden können.
Kommt es unter Raúl Castro zu einer Militarisierung Kubas?
Raúl Castro wird oft als Hardliner bezeichnet. Das ist falsch. Als Oberbefehlshaber der kubanischen Armee vertritt er eine der integersten Instanzen des Regimes. Denn das Militär steht in Kuba nicht wie in vielen Ländern der Region für Gewalt und Unterdrückung, sondern für Zuverlässigkeit, Sicherheit und Stabilität. Das Militär hat in den 90er-Jahren auch die Liberalisierung der Wirtschaft vorangetrieben. Sicher hat jede Militärregierung eine offene Flanke zum Autoritarismus, ein echtes Militärregime ist aber wohl weniger zu befürchten. Mit Raúl Castro an der Macht wird jedoch der Einfluss des Militärs, der in Kuba sowieso sehr groß ist, weiter steigen.
Raúl Castro gilt als offen für Wirtschaftsreformen. Ist unter ihm auch mit einer politischen Liberalisierung zu rechnen?
Man kann von einer „halbierten Transformation“ sprechen. Ein wirtschaftlicher Wandel hat stattgefunden, ein politischer nicht. Raúl Castro wird vermutlich eine chinesische Lösung anstreben: also wirtschaftlich weiter modernisieren, politisch wenig ändern.
Kapitalismus ja, Demokratie nein?
Kapitalismus bedeutete Privateigentum. Das gibt es in Kuba so gut wie nicht. Die Marktreformen könnten aber irgendwann im Kapitalismus münden. Es muss jedoch nicht zwangsweise in Richtung mehr Markt gehen. In den letzten drei Jahren haben durch die Unterstützung Venezuelas wieder Kräfte Auftrieb bekommen, die eine stärkere Kontrolle der Wirtschaft wollen. Darüber wird sich der Machtkampf entzünden.
Ist Raúl Castro mehr als ein Übergangsregierungschef?
Es gibt hartnäckige Gerüchte, dass Raúl Castro selbst ernsthaft krank ist. Er wird hauptsächlich eine Übergangsfunktion einnehmen. Zumal Raúl und Fidel Castro beide angekündigt haben, dass der zukünftige Führer Kubas die Kommunistische Partei sein müsse.
Wie könnte solch eine institutionelle Nachfolge aussehen?
Wie damals in der UdSSR soll es nicht mehr einen charismatischen Führer geben, sondern eine Gruppe von Leuten soll die Macht erhalten. Wenn es dieser kollektiven Führung gelingt, Erfolge zu erzielen, kann durchaus eine neue Form der Legitimation entstehen. Zudem steht Kuba ökonomisch deutlich besser da als Anfang der 90er-Jahre. Dazu kommt der Linksruck in Venezuela und Bolivien. Das Land ist nicht mehr so isoliert.
Eine wirkliche Demokratisierung wäre das aber noch lange nicht.
Eine Reform aus dem System heraus wäre sicher die beste Entwicklung. Auch die kubanische Bevölkerung würde sich das wünschen, und nicht etwa einen abrupten Umsturz. In einem ersten Schritt könnte es innerhalb der kommunistischen Partei mehr Meinungspluralismus geben. Die Volkskammer könnte sich dann zu einem demokratischen Forum entwickeln.
Welche Rolle können die Europäer dabei spielen?
Die kritische Öffentlichkeit in Kuba muss gestützt werden, ohne dabei den Verdacht zu erwecken, US-Interessen zu verfolgen. Die Kanadier sind da vorbildlich. Einerseits kooperieren sie wirtschaftlich mit Kuba. Andererseits haben sie aber stets auch auf Menschenrechtsverletzungen hingewiesen und zivilgesellschaftliche Gruppen unterstützt. Die EU hat seit 2003 die Diplomatie heruntergeschraubt. Ein falscher Weg! Gerade jetzt ist die europäische Politik gefragt.
INTERVIEW: WOLF SCHMIDT