: Der Hunger geht, die Armut bleibt
Der Mais bestimmt das Leben in Malawi. Deswegen steckt die Regierung Millionen in Hilfen für die Bauern
AUS MATHOLA MARC ENGELHARDT
Der Dorfchef hat für den deutschen Gast sein bestes T-Shirt angezogen. Vermutlich war es einmal gelb, doch der Staub der roten Erde hat das Stück aus der Altkleidersammlung aus Übersee längst eingefärbt. „Mexican Fiesta Patrol“ steht darauf, doch John Twaliki stört das nicht. Er kann ohnehin nicht lesen. „Willkommen in Mathola“, sagt er und zeigt stolz auf die Maisfelder, die einen kleinen Schulhof umringen. „Hier sehen Sie unseren Reichtum.“ Ein paar hundert Bewohner leben in Mathola, in Hütten, die ihrerseits von Mais umgeben sind. Wenn die Hütten aus der Ferne nicht zu sehen sind, ist das ein gutes Zeichen: Dann steht der Mais hoch und die Bauern erwarten eine gute Ernte. Wenn die Häuser sich hingegen schwarz gegen den strahlend blauen Himmel abzeichnen, dann droht eine Hungersnot.
Der 56-jährige Twaliki hat schon einige davon erlebt. „Am schlimmsten war es Anfang des Jahrzehnts“, erinnert er sich. Im Dorf seien Alte und Kranke gestorben und viele Kinder. „Es war eine lange Dürre, und wir konnten nichts tun, um die Lage zu verbessern: Irgendwann war der Mais alle, und wir hatten keine Vorräte mehr, auch kein Saatgut und keinen Dünger.“
Mathola liegt im Süden Malawis und ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von 142 Euro pro Kopf eines der ärmsten Länder Afrikas. Die nächste Hauptstraße ist gut eine Autostunde entfernt, doch ein Auto hat hier niemand, und auch Kleinbusse fahren nicht hierher. Die meisten der 13 Millionen Malawier leben wie die Menschen in Mathola: Sie pflanzen Mais, hoffen auf eine gute Ernte, überstehen die schlechten und pflanzen im nächsten Jahr erneut. Die Felder sind klein, oft gerade groß genug, um die Familie zu ernähren und so viel Überschuss zu produzieren, dass vom Erlös das Notwendigste gekauft werden kann: Bratfett, Seife, Kleidung. „In guten Jahren ist es okay“, resümiert der Dorfchef. „Es sind die schlechten Jahre, vor denen wir uns fürchten.“
Präsident will nicht betteln
Doch wenn es nach dem Willen der Regierung geht, soll es in Malawi keine schlechten Jahre mehr geben. 2005, nach der schlechtesten Maisernte in Malawis Geschichte – 5 Millionen Malawier erhielten Nahrungsmittelhilfe –, trat der frisch gebackene Präsident Bingu wa Mutharika vor die Presse und erklärte: „Solange ich Präsident bin, möchte ich nicht in fremde Hauptstädte reisen, um dort um Essen zu betteln.“ Und Mutharika machte Ernst: Er führte Subventionen für Kunstdünger wieder ein, die auf massiven Druck der Weltbank in den 90er-Jahren abgeschafft worden waren.
Damals hatte Malawi ein staatlich finanziertes „Startpaket“ mit Samen und Kunstdünger an Kleinbauern verteilt – handelsverzerrend, urteilte die Weltbank. Der IWF übte zusätzlichen Druck aus, indem er forderte, Malawis Regierung müsse ihre Nahrungsreserven verkaufen, um Schulden zu begleichen. Weil die Regierung die Subventionen dennoch nicht vollständig stoppte, setzte der IWF seine Zahlungen aus – mitten in der Hungersnot. Nicht wenige Malawier machten die Weltbank direkt für den Hungertod von mehr als 1.500 Menschen verantwortlich.
„Die Regierung hat im ersten Jahr 58 Millionen US-Dollar in die Subventionen investiert“, erklärt Edson Musopole, der Vorsitzende des zivilgesellschaftlichen Landwirtschaftsnetzwerks, „vor allem die knappen Eigenmittel – kein Geberstaat war bereit, nennenswerte Beträge in das Programm zu stecken.“ Viele Geber schüttelten den Kopf darüber, dass ein so armes Land wie Malawi sein Geld für die Einfuhr von Kunstdünger verschwendete. Doch das Kopfschütteln verging den meisten, als Malawi ein Jahr später eine Rekordernte einfuhr. Das Welternährungsprogramm flog gelagerte Hilfsgüter wieder aus, weil es nicht viele Hungernde gab.
Ein Jahr später, die Regierung hatte das Programm ausgeweitet, begann Malawi, seinen Maisüberschuss zu exportieren. Zwischen 2005, als in Malawi 1,2 Millionen Tonnen Mais geerntet wurden, und 2007 hatte sich die Ernte auf 3,4 Millionen Tonnen fast verdreifacht. „Die Nahrungssicherheit im Land ist so gut wie noch nie“, bilanziert Musopole. „Selbst jetzt, kurz vor der nächsten Ernte, wo die Vorräte am geringsten sind, haben fast alle Familien ausreichend zu essen.“ Auch dank der Silos, die die Regierung in vielen größeren Dörfern gebaut hat, hält die Ernte lange vor. Das wichtigste Instrument aber sind und bleiben die Düngersubventionen, betont der Landwirtschaftsexperte Musopole.
Auf dem Hügel am Rande von Malawis Hauptstadt Lilongwe, der „Capital Hill“ genannt wird und wo die Regierung in weißen 70er-Jahre-Bauten sitzt, lobt Peter Simbani das staatliche Subventionsprogramm. Simbani hat in Malawis Finanzministerium einen der wichtigsten Jobs: Er ist Direktor für Schulden und Hilfsgelder. 40 Prozent des nationalen Haushalts werden aus Hilfsgeldern finanziert, im Entwicklungsbudget liegt der Anteil bei 80 Prozent. Dass von den knappen Eigenmitteln im vergangenen Jahr – auch wegen des hohen Ölpreises – 178 Millionen US-Dollar für Kunstdüngersubventionen draufgingen, fast 15 Prozent des Haushaltsvolumens oder ein Viertel aller Eigenmittel, hält er für gerechtfertigt. „Wir sehen deutliche Wachstumseffekte in der Gesamtwirtschaft, seit wir das Programm aufgelegt haben“, so Simbani. Inzwischen hätten auch Gebernationen Vertrauen in das Programm gefasst. „Die Briten beteiligen sich, und selbst der IWF protestiert nicht mehr.“ Doch wie nachhaltig ein Programm sein kann, das so viele staatliche Ressourcen verschlingt, kann auch Simbani nicht beantworten. „Wir haben Ende der 90er-Jahre mit EU-Hilfe versucht, die Farmer mit Kunstdünger auf Kreditbasis zu versorgen, aber das ist gescheitert, weil die Farmer nicht genug verdient haben.“
Der Staat ist knapp bei Kasse: Als der IWF Ende vergangenen Jahres wegen des Kaufs eines Präsidentenjets seine Zahlungen erneut stoppte, und mit ihm die meisten anderen Geber, wurde die Regierung binnen Wochen zahlungsunfähig. Erst ein rettender Millionenkredit aus Deutschland sorgte dafür, dass Malawi wieder Öl importieren und die Regierung ihre Angestellten bezahlen konnte. Endlos, sagt Simbani deshalb, kann der Staat seine Bürger nicht mit dem teuren Kunstdünger versorgen. „Die Bauern sollen mit dem Steigen der Erlöse zunehmend unabhängig werden: Je weniger Armut es gibt, desto weniger Subventionen.“
Doch von sinkender Armut spüren die Bauern in Mathola wenig. Man überlebt jetzt, sagt Nedson Dabayi, mehr nicht. „Unsere Regierung zahlt nur den Kunstdünger, in anderen Ländern bekommen Bauern auch das Saatgut umsonst, die können natürlich mehr produzieren.“ Die Meinung unter Matholas Männern ist eindeutig: Man braucht mehr, nicht weniger Hilfe – auch deshalb, weil die Hilfe, die auf dem Papier steht, nicht ankommt. „Eigentlich ist die Regel: Mit einem staatlichen Coupon bekommt ein Bauer zwei 50-Kilo-Säcke Dünger“, erklärt Leonard Philipp. „Aber in Wirklichkeit haben wir in diesem Jahr nur je einen bekommen, und den mussten wir uns zu acht teilen.“ Das Verteilungssystem sorgt zudem dafür, dass der Dünger nicht optimal eingesetzt wird. „Der Dorfchef bekommt die Coupons und verteilt sie bei einer Dorfversammlung“, erläutert der 22-jährige Amos Kuthambo. „Es gibt nie genug Coupons, also muss entschieden werden, wer sie bekommt: Und das sind im Regelfall die Alten, die Alleinerziehenden, die Bedürftigen.“ Die aber würden viel weniger produzieren als die jungen, starken Farmer, die im Regelfall ohne Dünger dastehen. „Die Regierung sagt, junge Männer wie ich sollen arbeiten gehen und das Geld für den Kunstdünger selbst verdienen, aber hier gibt es keine Arbeit.“ Mit Coupon kostet ein Sack Kunstdünger 15 US-Dollar – ohne ist es mindestens das Dreifache. „So viel würde ich nicht einmal verdienen, wenn es Arbeit gäbe“, gibt sich Kuthambo resigniert.
„Alles hat Priorität“
Viele Coupons gehen auf dem Weg in die Dörfer verloren. „Es gibt Korruption, keine Frage“, bestätigt Andrew Kumbatira, der Malawis Netzwerk für Wirtschaftsgerechtigkeit leitet. Vor wenigen Wochen hat Präsident Mutharika in ein Beratergremium berufen, eine Art Rat der Wirtschaftsweisen. Kumbatiras Netzwerk ist durch die Dörfer gezogen und hat die Bevölkerung befragt, wie sie Malawis Haushalt ausgeben würden. „Aidsbekämpfung zum Beispiel ist auf Platz 19 gelandet, obwohl wir eine sehr hohe Aidsrate haben“, so Kumbatira. „Oberste Priorität hatte ganz klar die Düngersubvention.“ Dabei gibt es genügend andere Probleme: Die Klassenräume in den Schulen sind überfüllt, in Hospitälern gibt es kaum Ärzte. „In Malawi hat eben alles Priorität“, bilanziert Kumbatira. Auch Helen Magombo, die für die Hilfsorganisation Oxfam arbeitet und für ein besseres Gesundheitssystem kämpft, zuckt mit den Schultern. „Wenn meine Oma Malaria hat und nichts zu essen im Haus ist, und im Portemonnaie sind 50 Kwacha [ca. 0,25 Euro; d. Red.], was macht sie dann wohl? Sie geht zum Markt und nicht ins Krankenhaus.“ Magombo beobachtet, wie die bessere Nahrungsmittelversorgung gesellschaftliches Engagement stärkt. „Wer nicht ständig überlegen muss, wie er irgendwas zu essen bekommt, der unternimmt auch etwas, um andere Problem zu lösen.“ Davon, so hofft sie, wird auch das Gesundheitssystem profitieren. Auf die Dauer aber, sagt Magombo, muss eine andere Lösung gefunden werden. „Geld kann man nur einmal ausgeben – die Düngersubventionen sind einfach nicht nachhaltig.“