: Hamburger Unzumutbarkeiten
LANZMANN-DEMO Die antideutsche Linke demonstriert gegen die antiimperialistische. Doch, man kann Filme kritisieren, auch ohne sie zu blockieren
Auf den ersten Blick war es eine Demonstration wie viele andere. Um die 200 Teilnehmer gruppierten sich am Sonntag in Hamburg um einen Lautsprecherwagen, aus dem Gassenhauer vergangener Tage schepperten. Gefolgt waren sie einem Aufruf vom „Bündnis gegen Hamburger Unzumutbarkeiten“, das sich gegen die Verhinderung einer Aufführung des Films „Warum Israel“ von „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann durch linke Gruppen im Hamburger Kino B-Movie richtete.
Einige Aktivisten, die sich aus den Restbeständen des Antiimperialismus sowie der Palästina- und Kurdistan-Solidarität zusammensetzen und ihre Treffen im selben Haus abhalten, in dem sich auch der kleine Kinosaal befindet, hatten sich Ende Oktober in Camouflage-Look geworfen, Holzgewehre zur Hand genommen und die Kinobesucher in eine groteske Reinszenierung der Situation an einem israelischen Grenzposten verwickelt. In der Aufführung von Lanzmanns essayistischer Dokumentation, die sie für zionistisch halten, sahen die Blockierer eine Provokation: durch die ebenfalls linke Gruppe Kritikmaximierung, von der die Vorführung angeregt worden war. Es kam zu Beschimpfungen und Tätlichkeiten, woraufhin der Film abgesetzt werden musste.
Nichts also, wogegen es sich nicht etwa lohnte, auf die Straße zu gehen. Doch wenn man genauer hinhörte, wollte von den 200 Demoteilnehmern eigentlich kaum jemand so recht dort sein. Und das lag nicht allein daran, dass „Antisemitismus in der Linken“, wie er hier unter Aufbietung eines Dutzends israelischer Nationalflaggen gegeißelt werden sollte, ein peinvolles Thema der Linken hierzulande ist.
Zionismus, die einzig mögliche Antwort
Peinlich war vielen auch, so konnte man den Gesprächen ablauschen, einem Aufruf der Antideutschen gefolgt zu sein, um sich auf die Seite des verdienstvollen Kiez-Kinos zu stellen. Schließlich kann man Kritik an Lanzmanns Filmen haben, neben „Warum Israel“ von 1972 auch an „Tsahal“ von 1994, ein Film über die israelische Armee, ohne sie blockieren zu wollen. Während in den ersten Reihen „Nie, nie, nie wieder Deutschland“ skandiert wurde, vergewisserte man sich weiter hinten, die unbedingte „Solidarität mit Israel“ nicht zu teilen, rollte mit den Augen, wenn aus den Lautsprechern der immergleiche Sermon rieselte: „In einer Welt, die die Vernichtungsdrohung gegen Juden nie zurückgenommen hat, ist Zionismus die einzig mögliche Antwort auf den Antisemitismus.“
Im Grunde handelt es sich bei dem Konflikt um eine Provinzposse. Sind die jüngsten Scharmützel doch die Neuauflage einer Auseinandersetzung im Hamburger autonomen Radio, dem Freien Sender Kombinat, bei der sich 2002 dasselbe Personal wechselseitig auf die Mütze gab.
Den damaligen Grabenkampf löste die Ausstrahlung eines Interviews aus, in dem ein Palästinenser den Kampf gegen die israelische Armee in Dschenin mit dem Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto verglich. In der Folge blockierten die Antideutschen Sendungen der Gruppe Forum Radio. Die jeweiligen Glaubenssätze sind bis heute die gleichen geblieben.
Doch man denke nicht, das Moralisieren zum Thema Israel sei allein das Problem einiger weniger unter den aktivistischen Linken. Ende November veröffentlichte Der Spiegel den erbitterten Briefwechsel zweier seiner langjährigen Reporter. Es stritten Erich Follath und Henryk M. Broder um die Frage, ob eine kritische Haltung der Politik der derzeitigen israelischen Regierung gegenüber nicht Ahmadinedschad in die Hände spiele. Ach, wenn’s doch derart wichtig wäre. CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK