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Archiv-Artikel

3.755.000.000 nachzahlen

ISTANBUL Milliardenstrafe für die türkische Dogan-Mediengruppe. Wegen Kritik an Erdogans AKP?

Die Steuerstrafe dürfte reichen, selbst einen potenten Konzern wie Dogan in Schwierigkeiten zu bringen

Lediglich eine Zahl prangte gestern als Schlagzeile auf der Titelseite der größten türkischen Tageszeitung Hürriyet – und es ist eine Zahl in eigener Sache: 3.755.000.000. Mehr als 3 Milliarden Lira, das sind rund 1,75 Milliarden Euro, soll der Dogan-Konzern, Herausgeber von Hürriyet und etlichen anderen Zeitungen und Besitzer zweier Fernsehsender, als Strafe für angebliche Steuerhinterziehungen an das Finanzamt zahlen. Das ist die höchste jemals in der Türkei verhängte Steuerstrafe, und die Größenordnung dürfte reichen, selbst einen so potenten Konzern wie die Dogan Holding in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen.

Obwohl der Finanzvorstand Soner Gedik beteuert, der Konzern habe niemals gegen die Steuergesetze verstoßen, kann die Konzernführung über die Zustellung vom Finanzamt grundsätzlich nicht überrascht gewesen sein. Nachdem vor einigen Wochen Finanzbeamte nach einem unangemeldeten Besuch in der Konzernbuchhaltung eine Betriebsprüfung über die letzten Jahre angekündigt hatten, war klar, dass mit einem Schlag zu rechnen war. Allein die Höhe der Summe hat die türkische Medienlandschaft geschockt. Wenn auch die veröffentlichten Kommentare zunächst verhalten waren, ist doch allen Beteiligten klar, dass es bei dem Vorgehen des Finanzamtes um wesentlich mehr geht, als zu versuchen, möglichst viel Steuern einzutreiben.

Schon seit längerem sind die Medien des Dogan-Konzerns in der Auseinandersetzung um eine Islamisierung des Landes durch die regierende AKP zur wichtigsten Opposition gegen Ministerpräsident Tayyip Erdogan geworden. Das gespannte Verhältnis zwischen Erdogan und der Dogan-Holding spitzte sich Anfang des Jahres noch einmal dramatisch zu, als die Zeitungen des Konzerns, allen voran Hürriyet, groß über einen Korruptionsskandal berichteten, in den auch Personen aus dem engeren Umfeld Erdogans verwickelt sein sollen. Es ging um den Verein Leuchtturm, einen Ableger einer islamischen Wohltätigkeitsorganisation in Deutschland, der unter Migranten Millionen für wohltätige Zwecke eingesammelt hatte, die dann in großen Teilen zweckentfremdet wurden, wie es ein Frankfurter Gericht befand.

Erdogan ging Aydin Dogan, den Chef der Holding, daraufhin öffentlich an und rief seine Anhänger dazu auf, keine Zeitungen des Konzerns mehr zu kaufen. Als Hürriyet von diesem Aufruf unbeeindruckt blieb, kam im Februar zum ersten Mal das Finanzamt. Weil angeblich Steuern, die bei einem Verkauf von Anteilen an den Axel-Springer-Konzern angefallen waren, einige Tage zu spät gezahlt worden sein sollen, erhielt Dogan Medien bereits damals einen Strafbescheid in Höhe von knapp 500 Millionen Euro.

Als der Konzern daraufhin klagte, wurde er gezwungen, mehr als die umstrittene Summe auf einem Sicherungskonto zu hinterlegen, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Das hatte bereits zu erheblichen Liquiditätsengpässen geführt, auch angesichts der allgemeinen Wirtschaftskrise bei der Dogan-Holding.

Mit der jetzt verkündeten Strafe dürfte der Konzern vollends ins Trudeln geraten. Die Kurse von Firmen der Dogan-Holding, die an der Istanbuler Börse notiert sind, brachen schlagartig auf breiter Front ein.

Nicht nur Dogan-Vertreter, sondern die meisten unabhängigen Beobachter vermuten, dass die AKP-Regierung versucht, den Dogan Konzern zu zerschlagen, um regierungsnahen Medien mehr Raum zu verschaffen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH