piwik no script img

Archiv-Artikel

Mann mit Visionen

Der Berliner Filmemacher Rüdiger Sünner nähert sich mit seinem Documentary „Abenteuer Anthroposophie“ der Biografie Rudolf Steiners

„Sinnliche Erfahrung fasziniert mich. Ich habe als Filmemacher ein Faible für Bilder, und Steiner arbeitet viel mit Bildern“

VON GISELA EBERHARDT

Der Dalai Lama hat’s gut. Irgendwie mögen ihn die Deutschen einfach und selbst Leute, die sich überhaupt nicht für die buddhistische Lehre interessieren, haben eine positive Vorstellung von seiner Religion. „Dabei hat der Buddhismus durchaus tief dunkle und okkulte und auch frauenverachtende Seiten“, weiß Rüdiger Sünner. Der Berliner Filmemacher kennt sich aus mit spirituellen Themen. Mythische Orte in Europa hat er ebenso ins Bild gesetzt wie die Esoterik der Frühromantiker. Selbst praktizierte er jahrelang Zen-Buddhismus.

Pünktlich zum Streit um das Schwarzbuch zur Waldorfpädagogik von Michael Grandt erscheint mit Sünners Film nun eine Anthroposophie-Dokumentation ganz anderer Art.

„Abenteuer Anthroposophie“ schildert zunächst chronologisch die Kindheit und Jugend Rudolf Steiners. Schon mit sieben Jahren soll er erste übersinnliche Visionen gehabt haben, er räsonierte früh über die Schönheit der Natur und suchte als Jugendlicher in der Geometrie und in den Schriften Kants Zugang zu einer rein geistigen Welt. Im Studium leidet Steiner unter dem „wissenschaftlichen Materialismus“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Er beginnt Wege zu erkunden zu einem eigenen Verständnis der Welt. Der Film verfolgt, welche Personen und Werke Einfluss auf die Entwicklung von Steiners anthroposophischer Lehre haben und fragt, wer Steiner war – und wer er heute ist.

Rüdiger Sünner ist kein Anthroposoph und deshalb ist sein Film auch keine Insider-Dokumentation. Zu Beginn sieht man Sünner im Zug auf dem Weg zu einer seiner Recherchen. Er habe nicht von oben herab dozieren wollen, sondern lade seine Zuschauer ganz einfach ein auf eine Fahrt zu Steiners Geburtsort. Der direkte Weg tut dem Film gut. Neben den Orten wird auch das historische Material anschaulich gemacht. Wo sie existieren, werden Originalbilder eingeblendet, Fotos des jungen Steiner, seiner Eltern, Fotos vom ersten Goetheanum und dessen Zerstörung. Auch sonst findet Sünner eine treffende optische Ausdrucksweise, wenn er etwa die Zitate Steiners über das untergegangene Atlantis oder Auszüge aus seiner umstrittenen „Menschenkunde“ geradezu „hineinfilmt“ in trübes Gewässer.

Aus seiner Faszination für die Anthroposophie macht der Regisseur bei aller Distanz aber keinen Hehl. So hält er, was viele heute als Teil eines weltanschaulichen Eklektizismus betrachten, für eine klare Errungenschaft Rudolf Steiners: Dass er nämlich „das östliche und das westliche Erbe der Spiritualität miteinander verbunden“ und Aufklärung und Wissenschaft zusammengeführt hat mit Meditation.

Kürzlich hat sich der Regisseur ein herkömmliches Schulbuch zur Ökologie angeschaut, voller Formeln, Diagramme und trockener Wissenschaftssprache. Die Botschaft des Buches schien zu lauten, „dass wir die Natur schützen müssen, damit wir was haben, worin wir spazieren gehen können“. Die Methoden der Waldorfpädagogik stehen für Sünner dazu in einem wohltuenden Kontrast. Auch hier ist es wieder die sinnliche Erfahrung, aus der die Schüler lernen, die ihn begeistert. Wer den Gang ins Watt oder in den Wald unternimmt, akkumuliert nicht einfach Wissen über die Natur als dingliche Welt. Er erlebt hingegen ihr Inneres.

Dem Biologieunterricht, den Sünner in Waldorfschulen verfolgt hat, haftete aber deshalb nichts Irrationales an. Doch die gelernten Fakten, da ist er überzeugt, können die anthroposophischen Schüler mit dem „Bodensatz von dieser Erfahrungswelt“ ganz anders aufnehmen. Auf der anderen Seite erschwert ihm die Widersprüchlichkeit in Steiners Werk oft dessen Deutung. „Jetzt les ich dies, jetzt les ich das“, sagt Rüdiger Sünner und schaut zur Verdeutlichung erst in seine linke und dann in seine rechte Handinnenfläche.

So beinhalten die Schriften des ersten Anthroposophen scheinbar kompromisslose Aussagen darüber, dass sich jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft über seinen individuellen Kern definiere, an anderer Stelle sei man dann aber mit Steiners „esoterisch geschauter Rassenideologie“ konfrontiert. Es gibt Anthroposophen, die werfen ihm vor, er habe Steiners Werk nicht verstanden. Denn was den Regisseur und Musiker besonders fasziniert, ist die anthroposophische Idee von der sinnlichen Erfahrung. „Als Filmemacher zum Beispiel habe ich ein Faible für Bilder und Steiner arbeitet viel mit Bildern.“ Doch für Steiner ist das Bild selbst nur eine Vorstufe. Sie soll den Menschen zur obersten Stufe führen, dem sinnlichkeitsfreien Denken. Seine Anhänger führt ein langwieriger „Schulungsweg“ der Meditation zu höheren Einsichten.

Sünner kann damit wenig anfangen. „Übersinnliche Erkenntnis ist mir versagt“, sagt er über seine eigenen spirituellen Erfahrungen. Doch das Interesse bleibt: Derzeit konzipiert der Filmemacher ein neues Projekt, das die Verbindung von Naturwissenschaft und Spiritualität untersuchen soll. Vielleicht wird man bei dieser Gelegenheit ja Rudolf Steiner und den Dalai Lama zusammen auf der Leinwand sehen.

Rüdiger Sünner: „Abenteuer Anthroposophie. Rudolf Steiner und seine Wirkung“. DVD, Absolut Medien GmbH 2008, 110 Min., 17,90 €