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Archiv-Artikel

Beirut – the place to see in 2009?

BEIRUT Abenteuer im Krisengebiet: Laut „New York Times“ ist Beirut Spitzenreiter der Must-Sees. Ein Besuch der arabischen Stadt mit ihrem Nachtleben und ihren Schlaglöchern

Beirut-Tipps

 Hotels: Wer einen Eindruck vom Beirut der mondänen Siebziger erhaschen möchte, mietet sich im Mayflower Hotel ein: www.mayflowerbeirut.com Ähnlich legendär ist das Le Meridien Commodore Hotel: www.beirut.hotel.net

■ Bars: Abends geht man in die Bars von Gemmayzé – beispielsweise die Torino Express Bar.Die einzige schwul-lesbische Party im Nahen Osten findet man freitag- und samstagnachts im Club Acid in Sin El-Fil.

■ Lokale Rockbands und anspruchsvolle elektronische Musik gibt es ab 10 US-Dollar Eintritt von Donnerstag bis Samstag im Basement: www.beirutbasement.com

VON JASNA ZAJCEK

Was haben wir gefeiert!“, schwärmt Ruth Abcarius, 75. Seit 50 Jahren lebt die Wahllibanesin im einst schicken Beiruter Vorort Baabda in den heute willkürlich und stark besiedelten Bergen, die die libanesische Hauptstadt umschließen. Die Liebe zog sie 1958 aus dem tristen Nachkriegsdeutschland in die damals mondäne Stadt an der Levante. In den noblen Hotels an der Corniche, der Strandpromenade von Beirut, traf die junge Journalistin damals den internationalen Jetset.

Man ging oft aus, frühstückte danach in einem der kleinen Restaurants, die die ganze Nacht geöffnet waren. Viele dieser kleinen Restaurants sind nun von allgegenwärtigen US-Fastfood- und Coffeeshop-Ketten verdrängt worden. Doch natürlich gibt es sie auch noch, die gute libanesische Küche in allen Preisklassen. Ein Grund, weshalb die New York Times Beirut unlängst auf Platz eins ihrer Reiseempfehlungen setzte. Frau Abcarius kann diese Wertung nicht nachvollziehen. „Was ist nur aus diesem Land geworden!“, empört sie sich. „Die Korruption, der tägliche Verkehrsinfarkt, die Umweltverschmutzung und das wilde Bauen haben überhandgenommen. Und das bisschen, was glänzt und wiederaufgebaut ist“ – sie meint die Fußgängerzone im Herzen Beiruts –, „ist künstlich, überteuert, amerikanisiert.“ Es ist der einzige Ort der Stadt, an dem man nicht über Schlaglöcher stolpert und entlang teurer internationaler Designerboutiquen flanieren kann. Der 2005 ermordete Ministerpräsident Rafiq Hariri baute das Stadtzentrum mit Geld aus dem panarabischen Immobilienfonds „Solidere“ wieder auf. Es wirkt ein wenig wie Disneyland. Wer das geleckte, sandsteinfarbene Geschäftsviertel betreten möchte, muss seine Taschen von Soldaten kontrollieren lassen.

Ruth Abcarius kennt Beirut aus der Zeit, als es eine nach Jasmin, Oleander und Orangenbäumen duftende Villenstadt war. Die Häuser aus osmanischer und französischer Mandatszeit standen in Schönheitskonkurrenz miteinander. Davon ist nicht mehr viel übrig. Nur wenige Ecken in Beirut sind als „Viertel mit traditionellem Charakter“ ausgewiesen. Ruth Abcarius fragt sich beim Spaziergang im christlichen Viertel Ashrafiye, ob der „traditionelle Charakter“ nicht eher durch die Bürgerkriege als durch die vergangene goldene Zeit geprägt ist. Denn die wenigen erhaltenen Häuser mit den großen Veranden und den osmanischen Elementen sind, wie so viele Gebäude, deutlich von den Spuren des Bürgerkriegs und des Verfalls gezeichnet: Einschusslöcher, abgeblätterte Fassaden, Risse in den Wänden, halb verfallene Häuser, klaffende Wunden aus der Zeit, als Morde und Bomben an der Tagesordnung waren.

Anonyme Hochhäuser

Neben architektonischen Relikten wachsen anonyme Hochhäuser mit Glasfassaden in den Himmel. Beiruts Stadtbild ist eine Mischung aus den schmutzigsten Ecken Tel Avivs und Istanbuls mit einem Schuss Potsdamer Platz. Wer Abenteuer sucht, für den steht Beirut ganz oben auf der Liste zu bereisender Ziele. Doch das Auswärtige Amt rät bei Reisen in den Libanon zu erhöhter Vorsicht und spricht Warnungen für viele Regionen des Landes aus. Wie kommt die kriegsversehrte levantinische Metropole zu der Ehre, Washington, D. C. und die Galapagosinseln auf die Plätze zwei und drei der „Must-Sees“ zu verweisen?

„Feiern können die Libanesen in der Tat, aber das ist auch schon alles“, meint Ruth Abcarius

Das kulturelle Leben beschränkt sich fast ausschließlich auf die Veranstaltungen des Institut Français und des Goethe-Instituts, einige wenige private Galerien und einige Festivals im Sommer. Zwar wird mehr geboten als in anderen arabischen Ländern, doch nicht viel mehr als in einer deutschen Kleinstadt. Legendär ist nur das Nachtleben. Der Libanon ist das einzige arabische Land, in dem Prostitution legal ist. Beirut hat die einzige schwul-lesbische Disco der Arabischen Welt. Im Sommer tummeln sich in den Nachtclubs viele Touristen aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten, die den Restriktionen ihrer Länder entfliehen wollen.

Naji Gebran, 47, ist ein angesehener Mann. Er besitzt zwei Diskotheken, das BO18 und das BO18 Classic, in dem donnerstags die angesagten 80er-Jahre-Partys steigen. Drinks kosten hier so viel oder sogar ein bisschen mehr als in vergleichbaren Clubs in Deutschland. Harte Türkontrolle sorgt dafür, dass nur wohlhabende Männer und schöne, freizügige Frauen reingelassen werden. Der Mindestlohn im Libanon beträgt 250 US-Dollar pro Monat, so viel kostet der preiswertere Champagner im BO18. Man fährt mit dem Auto in die Disco, auf dem Parkplatz stehen ausschließlich Luxusschlitten. Trotz seines Alters und „gerade wegen der angespannten Lage“ in seinem Land liebt Naji das Nachtleben.

Die große Politik ist dem verheirateten sunnitischen Muslim, der mit Alkohol und Mädchen so hedonistisch wie ein deutscher Clubbesitzer lebt, zuwider. „Jeder kümmert sich in dieser Bananenrepublik nur um seins, warum soll ich mich nicht auch nur um meins kümmern?“, sagt er. Als im letzten Krieg die Polizei plötzlich in seinem Club anrückte, schmissen die Discogänger ihre Drogen einfach auf den Boden. Nach herrschendem Recht ist er als Clubbetreiber für das gefundene Kokain und Ecstasy verantwortlich. Also musste er sich ein wenig mit den Behörden ärgern, ein anständiges Schmiergeld zahlen und war fortan der Ansprechpartner der Behörden, wenn es um Regulationen, Verbote oder neue Genehmigungen der Beiruter Clubbetreiber geht. „Ich bin der Minister des Beiruter Nachtlebens!“, lacht er mit seiner rauchigen Stimme. „Ich liebe das Leben!“ Frau Abcarius kommentiert trocken: „Ja, feiern können sie, die Libanesen. Das ist auch alles.“

Im Ausgehviertel

„Jeder kümmert sich in dieser Bananenrepublik nur um seins“, sagt der Clubbesitzer Naji

Gemmayze liegt im christlichen Ostteil von Beirut: Luxuriöse Autos, viele gepanzert, stauen sich um Mitternacht in den schmalen Gassen. Aus den Boxen der Mercedesse, BMWs und Ferraris schallen Technomusik oder traditionelle arabische Klänge, die Lautstärke aufgedreht bis zum Anschlag. Grüppchen wohlfrisierter Frauen stöckeln mit ihren eleganten Begleitern in tief aufgeknöpften, gestärkten Hemden über die kaputten Straßen. Die in Beirut allgegenwärtigen Schlaglöcher stammen noch aus der Zeit, als die israelische Armee 1982 Jagd auf Jassir Arafat und seine PLO machte und die Straßen mit Panzern demolierte. Auch hier zeugen Einschusslöcher von der Gewalt, die Beirut und den Libanon jahrzehntelang beherrschte. Doch das scheint niemanden zu interessieren. In Gemmayze beherbergt fast jedes Haus eine Bar oder ein Restaurant, in dem Alkohol auch unter der Woche bis frühmorgens in Strömen fließt. Zumindest in der fünfmonatigen Sommersaison, die von Mai bis September hunderttausende Auslandslibanesen zurück ins Land lockt. Dann wird der Himmel über Beirut allabendlich von mehreren Feuerwerken erleuchtet, denn viele der rund acht bis zehn Millionen Auslandslibanesen heiraten im Sommer in der Heimat, und pompöse Zeremonien gehören in diesem Land einfach dazu.

„Die Atmosphäre ist schon eine ganz besondere“, sagt Hans K., deutscher Ingenieur, der für eine internationale Firma Wiederaufbauprojekte im ganzen Land betreut. „Man merkt den Menschen an, dass sie leben wollen, sie feiern, als gäbe es kein Morgen. Die jungen Frauen betonen ihre Jungfräulichkeit und fragen schon beim ersten Rendezvous, ob man heiraten will. Kaum merken sie, dass man harte Euros verdient, gehen sie aufs Ganze.“ Aber auch für die modernen, freizügigen Christinnen spielt die Jungfräulichkeit in der oftmals arrangierten Ehe eine Rolle: In den zahlreichen Privatkliniken Beiruts boomt neben der plastischen auch die rekonstruktive Chirurgie. Die Jungfernhäutchen der jungen, reichen Schönen werden vor der Hochzeit wiederhergestellt.

Verlässt man die Teile des neuen, glitzernden Beirut der meist christlichen und reichen sunnitischen Einwohner, beginnt das schmutzig-staubige Arabien. Ein normaler New Yorker Tourist wäre spätestens hier irritiert über die Reiseempfehlung der größten US-amerikanischen Zeitung. Im Libanon 2009 gilt, wie der Deutsche nach einschlägigen Erfahrungen mit den lokalen Damen durchschaut: „Ganz klar: Mehr Schein als Sein.“ Vielleicht sind sich Beiruter und New Yorker doch näher, als man denkt.