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Archiv-Artikel

Die Fehler der Diplomaten

UKRAINE Berlin hielt die prorussischen Separatisten für verhandlungswillig und brachte Präsident Poroschenko so in eine schwierige Lage

Wolfgang Seibel

■ ist Professor für Politikwissenschaften an der Uni Konstanz. Demnächst erscheint sein Buch „Negotiated Mass Crime. The Germans in France and the ‚Final Solution‘, 1940–1944“ (Michigan University Press).

Mit der Zustimmung zu sektoralen Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland hat die deutsche Regierung endlich Konsequenzen gezogen aus der ohnehin späten Erkenntnis, dass das Putin-Regime für eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts vorläufig nicht zu gewinnen ist.

Erst das Massaker an 298 unbeteiligten Zivilisten durch den mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 über der Ostukraine und das, wie es in einer Verlautbarung des Auswärtigen Amtes hieß, jeder Beschreibung spottende Verhalten der Separatisten im Umgang mit den Leichen an der Absturzstelle, hat die Entscheidungskoordinaten in Berlin deutlich verschoben.

Falsche Verhandlungspartner

Doch bis zur Verschärfung der Sanktionen war es ein langer Weg, auf dem die deutsche Diplomatie offenkundig in Illusionen über die russischen Absichten befangen war und sich handwerkliche Fehler leistete. Man verstand nicht oder wollte nicht verstehen, dass es nach den Regeln professioneller Diplomatie zunächst darum hätte gehen müssen, durch die Glaubwürdigkeit der Sanktionsdrohung deren Umsetzung überflüssig zu machen. Stattdessen sprachen Berufene und Unberufene aus dem Regierungslager über Sanktionen und Diplomatie so, als handele es sich um Gegensätze.

Dann beging die Bundesregierung den doppelten Fehler, die Regierung der Ukraine zu Verhandlungen mit den Putschisten in der Ostukraine zu drängen und zudem das politische Schicksal des am 25. Mai mit überraschend großer Mehrheit gewählten ukrainischen Präsidenten Poroschenko vorübergehend in die Hände Wladimir Putins zu legen. Die ukrainische Regierung erklärte sich am 20. Juni auf starken Druck der EU – im Klartext: Deutschlands – bereit, eine einseitige Waffenruhe zu verkünden. Diese sollte für einen erneuten Versuch genutzt werden, mit den Separatisten im Rahmen des OSZE-Formats zu ernsthaften Verhandlungen zu gelangen.

Seit Monaten hatte Moskau auf die Beteiligung der von Russland gesteuerten und kontinuierlich aufgerüsteten Separatisten gedrungen in der Gewissheit, dass man damit eine politische Lösung des Konflikts beliebig torpedieren und gleichzeitig den Schein von Verhandlungswilligkeit wahren konnte. Damit setzte Berlin den durch die ukrainischen Präsidentschaftswahlen erreichten Stabilisierungsgewinn wieder aufs Spiel. Man hätte es besser wissen können.

Schon im Mai, unmittelbar nach seiner Bestellung zum Moderator des runden Tisches der OSZE, hatte der frühere Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Wolfgang Ischinger, in mehreren Interviews vor der Einschätzung gewarnt, die Separatisten seien seriöse Partner. Die sogenannten Separatisten, so Ischinger, repräsentierten niemanden und seien nicht nur verhandlungsunfähig, sondern vor allem an Verhandlungen völlig desinteressiert.

Missverstandene Deeskalation

Poroschenko wurde trotzdem von Berlin in eine Situation gedrängt, in der jeder blutige Anschlag der von Russland unterstützten Freischärler seine innenpolitische Position schwächen musste. Unfreiwillig hatte man Putin ein weiteres Mittel zur gewaltsamen und politischen Destabilisierung der Ukraine an die Hand gegeben. Noch am 7. Juli hieß es aus dem Auswärtigen Amt, die Bundesregierung bestehe darauf, dass an künftigen Treffen der OSZE-Kontaktgruppe auch Separatisten aus dem Osten der Ukraine teilnähmen – diejenigen also, die den ukrainischen Staat mit Gewalt auflösen wollen und sich nach dem mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeugs am 17. Juli als Leichenfledderer hervortun sollten.

Hinzu kam die Bereitschaft Deutschlands, nach Auslaufen der von der Ukraine einseitig erklärten Waffenruhe am 30. Juni die demonstrative Gleichgültigkeit Russlands gegenüber den Erwartungen der EU mit einer weiteren Aussetzung des längst beschlossenen Sanktionsstufenplans zu belohnen – auch dies ein Signal, das Putin nicht missverstehen konnte. Zumal in deutschen Nachrichtensendungen der Abschiedsbesuch des Nato-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen bei Bundeskanzlerin Merkel am 2. Juli mit dem Hinweis kommentiert wurde, man befürchte in Berliner Koalitionskreisen beim gemeinsamen Presseauftritt eine Durchkreuzung des Berliner „Deeskalationskurses“. Es gehe „auf gar keinen Fall um Sanktionen“.

Fragliche Lerneffekte

Professionelle Diplomatie muss Sanktionen so glaubwürdig androhen, dass ihre Umsetzung überflüssig wird

Man wollte nicht hören, was Rasmussen zu sagen hatte: Dass Russland eine Form von hybrid warfare (vielschichtige Kriegsführung) praktiziere, eine immer wieder neu angepasste Verbindung offener und verdeckter Militäraktionen, von wirtschaftlichem und psychologischem Druck, diplomatischen Statements und Taktiken der Desinformation in Form einer nach innen und außen gerichteten Propaganda. Russland fordere eine „politische Lösung“, rüste aber gleichzeitig die Separatisten in der Ostukraine mit modernen Waffen aus, einschließlich Artillerie – und Raketen.

Wie nachhaltig der „Weckruf“, von dem US-Präsident Obama nach dem 17. Juli gesprochen hat, wirken wird, liegt noch im Nebel der amtlichen Berliner Rhetorik. Außenminister Steinmeier äußerte, er könne sich nicht vorstellen, dass sich die Bevölkerung der Ukraine durch Leute vertreten fühle, die keinen Kooperationswillen erkennen ließen. Das darf man als Absage an OSZE-Verhandlungen mit den Separatisten verstehen. Vize-Kanzler Gabriel hat deren Entwaffnung als vordringlich bezeichnet.

Tatsächlich betreibt Russland das Gegenteil. Der Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen, Gernot Erler (SPD), warnt nun nicht etwa Russland, seine Politik des Bürgerkriegsexports fortzusetzen, sondern die Ukraine, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Putin, so Erler allen Ernstes, habe die russischsprachige Bevölkerung unter seinen Schutz genommen. Und wenn die Separatisten an den Rand einer Niederlage kämen, könne niemand ein direktes russisches Eingreifen über die Grenze hinweg ausschließen.

Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass die Bundesregierung Putin die Rechtfertigung eines offenen Krieges gegen die Ukraine durch ihren Beauftragten frei Haus liefern lässt. WOLFGANG SEIBEL