: Der Wandel beginnt in Neukölln
EXILMEDIUM Ein Journalist aus Aserbaidschan produziert in Berlin ein politisches Webmagazin – und kämpft gegen starke Widerstände
VON JAN MICHAEL IHL
Nebenan ist ein kleiner Fischhändler, in der Neuköllner Seitenstraße südlich des S-Bahn-Rings. Die Glastür zum Büro ist mit einer Sperrholzplatte notdürftig repariert. Dahinter: drei Schreibtische, eine Sitzecke aus Secondhandsofa und -sessel, hinter dem Büroraum eine Küche. Keine repräsentative Adresse; aber von diesem Ort soll der Wandel nach Aserbaidschan kommen. Und kommt er vielleicht schon, seit Emin Milli und seine Mitstreiter seit nun einem Jahr hier ihr TV-Programm für Aserbaidschan produzieren. Hier sitzt Milli hinter seinem Apple-Laptop und lenkt auch am Feiertag, an dem wir uns hier treffen, die Geschicke von Meydan.tv. Es gibt schwarzen Tee, serviert in orientalisch-geschwungenen Teegläsern.
Ende Februar, in einer Kreuzberger Fabriketage, bei Clubmate und freiem WLAN: Emin Milli spricht bei „Hacks/Hackers“, einer Veranstaltungsreihe, die Journalisten und Hacker zusammenbringen will. Die Diskussionen drehen sich darum, wie Internet, Social Media und Offene Daten die Welt verbessern. Die Hacks und Hackers haben Milli eingeladen, sein Projekt vorzustellen. Er berichtet von Korruption und Repression in seiner Heimat und der Rolle deutscher Politiker und Unternehmer dabei. Vom Twittern bittet er abzusehen; offen reden wolle er. Das heißt: auch Vermutungen äußern, die vielleicht Ärger einbringen könnten, die Dinge und Personen beim Namen nennen.
Auf einmal bekannt
Nach dem Vortrag bildet sich eine Menschentraube um Milli. Das Interesse an Aserbaidschan ist gerade sprunghaft angestiegen und „maidan“ spätestens seit der Ukraine ein Begriff. Meydan ist ursprünglich Arabisch und bedeutet „der Platz“. Zurzeit ist Meydan.tv faktisch ein Web-Magazin mit viel Video, aber die Domain-Endung .tv (häufig von TV- und Video-Anbietern genutzt) ist nicht ganz vermessen: „Wir haben letztes Jahr versucht, auf Satellit zu kommen, mit Türksat“, sagt Milli, das Vorhaben sei blockiert worden. Da habe man sich erst mal aufs Internet konzentriert und an der Qualität der Inhalte gearbeitet. Nächstes Jahr soll ein neuer Versuch unternommen werden, per Satellit nach Aserbaidschan zu senden.
Die deutsche Regierung interessiert sich für Aserbaidschan vor allem wegen seiner Öl- und Gasexporte. Dass Journalisten in Aserbaidschan immer wieder im Gefängnis landen, das interessiert hingegen lediglich Menschenrechtsbeauftragte und NGOs. Mitte April wurde der Journalist Rauf Mirkadyrow gleich am Flughafen festgenommen. Die Türkei hatte den Korrespondenten abgeschoben mit der Begründung, seine Aufenthaltserlaubnis sei abgelaufen. In Baku wird ihm nun Spionage für Armenien vorgeworfen. Wenige Tage später wurden die Menschenrechtlerin Leila Junus und ihr Mann Arif Junus beim Check-in verhaftet.
Laut Reporter ohne Grenzen (ROG) sind zurzeit zwölf Journalisten und Medienaktivisten in Haft. Zum Vergleich: In der Türkei, zu der Aserbaidschan ein enges Verhältnis pflegt, sitzen laut ROG rund 60 Journalisten im Gefängnis. Aber Aserbaidschan hat gerade mal 9,48 Millionen Einwohner, die Türkei mehr als achtmal so viele. Entscheidend dafür, dass Aserbaidschan in der „Rangliste der Pressefreiheit“ mit Rang 160 noch sechs Plätze hinter der Türkei rangiert, dürfte die Art von Repression sein, von der auch Milli berichtet: Bei kritischer Berichterstattung müsse man im besten Fall mit Verleumdungsklagen rechnen, oder die Polizei schiebe Drogen unter. Nichtregierungstreue Medien werden gegängelt und benachteiligt. In einem anderen Punkt ähneln sich die Türkei und Aserbaidschan: Die Bewegungsforscherin Zeynep Tufekci beschreibt Aserbaidschans Social-Media-Politik als Vorlage für Erdogans Twitter- und Youtube-Blockaden in der Türkei. Es gehe nicht um unüberwindbare Sperren, sondern darum, Social Media als so obszön und unglaubwürdig zu diskreditieren, dass wenigstens die eigenen Anhänger sich davon fernhalten oder Skandalinhalten keinen Glauben schenken. Für aserbaidschanische Journalisten wie Milli sind das die Gründe, warum sie seit Jahren versuchen, Exilmedien zu gründen.
Bis März 2013 hat Milli Ideen gesammelt und Konzepte entwickelt. Sein Ziel: „eine Medienplattform für die Entwicklung der Gesellschaft und des Individuums gründen, eine Plattform für Freedom of Speech.“ Meydan solle sie heißen und von Berlin aus gesteuert werden.
Auch Milli hat 2010 17 Monate im Gefängnis verbracht – offiziell wurde ihm Rowdytum vorgeworfen. Berlin, sagt er, sei die einzige europäische Hauptstadt, in der es möglich sei, ein Exilmedium aufzubauen: ein günstiges Büro, ein TV-Studio in einem überlassenen Kellerraum, niedrige Lebenshaltungskosten, Rechtsstaat und Sicherheit – zumindest im Verhältnis zu seiner Heimat. Der Rechtsstaat schien ihm sein Vorhaben anfangs allerdings nicht leicht zu machen; Deutschland, sagt er, bot ihm zwar Asyl an, dafür hätte er allerdings seinen Pass abgeben müssen. Inzwischen habe er einen Aufenthaltsstatus, der ihm Reisen erlaube – prinzipiell auch nach Aserbaidschan.
Und Meydan.tv liefe so gut, dass er für die kommenden sechs bis acht Monate sicher und strategisch planen könne. Inzwischen würden sechs Leute in Berlin bezahlt, acht in Baku, außerdem einige freie Mitarbeiter, und – das erwähnt Milli mit hörbarem Stolz – auch Steuern ans Finanzamt. Dass Meydan.tv einen deutschen Buchhalter und einen Steuerberater beschäftigt, sind für Milli quasi das amtliche Gütesiegel – der Beweis dafür, dass er nun eine sichere Infrastruktur unterhalte, um von Berlin aus „Projekte zu organisieren, die drei, fünf, sechs Monate Zeit brauchen“. Milli plant große Multimedia-Projekte, Recherchen und investigativen Journalismus.
Finanziert werde das von Stiftungen und aus Spenden, Crowdfunding in der internationalen Exil-Community, sagt Emin; 30.000 Euro kämen von der EU. Milli selbst hatte anfangs Unterstützung aus den Nothilfefonds von der Menschenrechtsorganisation „Frontline Defenders“ und von Reporter ohne Grenzen. Von ROG gab es auch viel Beratung und Rechtshilfe. Deren Geschäftsführer, Christian Mihr, sagt heute: „Meydan.tv ragt unter den Exilmedien heraus, mit Ausnahme von UzNews und Journalists for Democracy in Sri Lanka.“
Trotz dieses Erfolgs haben Exilmedien große Probleme, sich zu finanzieren: Geldquellen wie Werbung scheiden meist aus. Milli: „Jedes Mal, wenn wir über Werbekunden sprechen, muss ich mich totlachen. Ein Geschäftsmann in Aserbaidschan, der bei uns Werbung schalten würde, muss damit rechnen, dass sein Geschäft geschlossen oder er verhaftet wird.“ Und Stiftungsgeld einzuwerben macht viel Arbeit; Arbeit, auf die sich bei Meydan.tv nun immerhin eine Fundraiserin konzentriert. Mihr: „In der deutschen Förderlandschaft ist die Sensibilität für Exilmedien nicht besonders hoch. Das ist in Schweden zum Beispiel anders.“
Bleibt, dass Berlin günstig ist, finanziell und zum Vernetzen. Milli und sein Team fühlen sich hier verhältnismäßig sicher. Auch nachdem neulich Unbekannte mit einem Betonstein die Bürotür zerstörten. Seither trägt der Türrahmen eben Sperrholz.