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Archiv-Artikel

Baut China ein AKW mit deutschem Know-how?

ENERGIE Nuklearwissenschaftler in Jülich betreiben „zweifelhafte Atomforschung“, warnen die Grünen

BERLIN taz | In einer drei Jahre dauernden Recherche haben Nuklearexperten den Betrieb des Versuchsreaktors am Forschungszentrum Jülich (FZJ), der zwischen 1967 und 1988 am Netz war, untersucht. Nun liegt ihr Expertenbericht vor. Das Ergebnis der selbstkritischen Inspektion im Auftrag der FZJ: Offenbar haben die Wissenschaftler damals zahlreiche Zwischenfälle systematisch verharmlost.

Noch heute wird in Jülich wird an nuklearer Sicherheit gewerkelt. Grund genug für die Grünen, eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu stellen, was dort heute so passiert. Die Antwort liegt der taz nun exklusiv vor. Demnach arbeiteten Jülicher Forscher trotz Atomausstieg an Simulationsprogrammen zur Freisetzung von radioaktiven Spaltprodukten aus „modernen Brennstoffen“ – in Auftrag gegeben und bezahlt vom Institute of Nuclear and New Energy Technology der chinesischen Tsinghua Universität in Schanghai. Im August 2013 stellte ein Mitarbeiter des FZJ die Programme in China vor. Seit 2010 reisten Jülicher Forscher sechs Mal nach China, Dutzende Gastwissenschaftler kamen nach Deutschland.

Das Pikante dabei: Bei der Jülicher Anlage handelte es sich um einen sogenannten Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktor (HTR). In der Technik ruhten einst die deutschen Hoffnungen auf ein exklusives eigenes AKW-Design. Den kommerziellen Durchbruch schaften die Reaktoren aber nie. Einzig China setzt noch auf die Technik. Das Land ist das einzige, das einen Kugelhaufen baut. Die grünen Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl und Oliver Krischer sprechen von „zweifelhafter Atomforschung“ und vermuten einen versteckten Technologietransfer zum Bau eines HTR – bevor die meisten Forschungsvorhaben zur HTR-Sicherheit im Jahr 2015 auslaufen.

Weiterentwickelt wurde der Reaktor in Deutschland offiziell nach 1990 nicht mehr. Erst 1999 wurde zufällig entdeckt, dass 1978 bei einem Zwischenfall Radioaktivität ins Grundwasser gelangte – zum Glück nicht gesundheitsgefährdend, so steht es im jetzt veröffentlichten Expertenbericht. Die HTR-Vertreter wiesen ein „ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl“ und eine „unzureichende Fähigkeit zur Selbstkritik“ auf, heißt es darin. Denn damals wurden zahlreiche Störungen nicht gemeldet. INGO ARZT