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Archiv-Artikel

Es trifft die Reichen

UMVERTEILUNG Boris Palmer kritisiert das grüne Steuerkonzept zu Unrecht. Der Mittelstand wird nicht geschröpft. Eine Replik

Gerhard Schick

■ ist finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen. Seine Schwerpunkte sind Steuerpolitik und die Regulierung der Finanzmärkte. 1996 trat er der Partei bei, seit 2005 sitzt er für sie im Bundestag.

Der Schuldenstand der Bundesrepublik beläuft sich mittlerweile auf über 2 Billionen Euro. Allein seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise ist er um mehr als 300 Milliarden Euro gestiegen – gerade auch wegen Bankenrettung und Konjunkturpaketen, die einen wirtschaftlichen Absturz verhindern sollten.

Wer soll diese Lasten tragen? Es gibt drei Möglichkeiten: Die erste liegt in einer höheren Belastung aller Bürgerinnen und Bürger über allgemeine Steuererhöhungen und Sozialkürzungen. Die zweite ist eine Verschiebung der Lasten in die Zukunft, indem die Schulden schlicht fortgetragen werden. Die dritte Möglichkeit ist eine temporäre Belastung jener, die es sich am ehesten leisten können und die in vielen Fällen von den Rettungsmaßnahmen auch direkt profitiert haben – sei es, indem ihr persönliches Vermögen durch die Bankenstützungen gerettet wurde oder indem Unternehmen, an denen sie beteiligt waren, vor Auftragseinbrüchen und Finanzierungsengpässen geschützt wurden.

Und die Finanzierung?

Auf dem Parteitag Ende April haben wir Grüne uns ohne Änderungsantrag für die dritte Option entschieden, nämlich für eine Vermögensabgabe auf sehr hohe Privatvermögen von über 1 Million Euro, die nur dem Rückzahlen von Schulden aus dieser Finanzkrise dient. Boris Palmer hat diese Entscheidung am 25. Juni in dieser Zeitung infrage gestellt, aber keinen alternativen Finanzierungsvorschlag gemacht. Sein Vorschlag der Anrechnung der Vermögensabgabe auf die Einkommensteuer nämlich, der als kleine Modifikation daherkommt, würde erstens wohl vor dem Verfassungsgericht scheitern und zweitens nur einen Bruchteil des nötigen Aufkommens erzielen. Er schlägt also vor, zur Möglichkeit zwei zurückzukehren: dem Verschieben der Lasten auf morgen. Das verletzt das Prinzip der Generationengerechtigkeit.

Ohnehin lassen sich die zwei von Boris Palmer angeführten Hauptkritikpunkte entkräften. Der erste Vorwurf betrifft die vermeintliche Benachteiligung von Personengesellschaften. Diesem Vorwurf liegt das Missverständnis zugrunde, dass wir Unternehmen direkt belasten würden, was aber nicht der Fall ist. Vielmehr setzt die grüne Vermögensabgabe bei den EigentümerInnen an – und dabei ist es irrelevant, ob sie Anteile an einer Personen- oder an einer Kapitalgesellschaft besitzen. Der zweite Vorwurf lautet, dass die Gesamtsteuerlast auf bis zu 65 Prozent steigen könne – eine gewagte Behauptung. Denn zum einen wählt Boris Palmer das seltene Beispiel eines Personenunternehmens mit 10 Millionen Euro Jahresertrag, das nur zwei Personen gehört. Insgesamt erwirtschaften aber nur 0,3 Prozent der Personengesellschaften laut Einkommensteuerstatistik einen Gewinn von über 5 Millionen Euro. Diese wiederum sind zumeist in der Hand von deutlich mehr als zwei Beteiligten: Gewerbliche Personengesellschaften mit einem Ertrag von über 5 Millionen Euro, von denen es nur rund 3.000 gibt, hatten laut Steuerstatistik insgesamt 48.000 Beteiligte. Damit haben solche Gesellschaften im Schnitt etwa 15 Eigentümer, und für jeden einzelnen gilt der Freibetrag von 5 Millionen Euro.

Die falsche Rechnung

Zum anderen können Unternehmen, die ihren Gewinn nicht entnehmen, die sogenannte Thesaurierungsoption nutzen, bei der der Gewinn nur mit rund 30 Prozent belastet wird und nicht, wie bei ausgeschütteten Gewinnen, mit dem persönlichen Steuersatz. Hinzu käme die Vermögensabgabe in Höhe von rund 15 Prozent des Ertrags pro Jahr. Denn der Wert des Unternehmens nach dem Ertragswertverfahren beträgt rund das Zehnfache des Jahresertrags – eine Belastung von 1,5 Prozent des Vermögens entspricht damit einer Belastung von rund 15 Prozent des Ertrags. So entstünde also eine tragbare Gesamtbelastung des Gewinns von rund 45 Prozent. Und auch diese Belastung würde nur für Personen mit sehr hohem Betriebsvermögen entstehen – über 90 Prozent der Unternehmenseigentümer müssten keine Vermögensabgabe zahlen.

Eine Belastung in Höhe von 65 Prozent könnte lediglich dann zustande kommen, wenn ein Unternehmen sein Gewinne komplett ausschüttet. Diese Ausschüttungssumme müsste außerdem so hoch sein, dass beim Unternehmenseigentümer ein Durchschnittssteuersatz inklusive Solidaritätszuschlag von 50 Prozent anfällt, zu dem gegebenenfalls die Vermögensabgabe von 15 Prozent hinzugerechnet werden würde.

Die Vermögensabgabe trifft nur das reichste Prozent der Bevölkerung, das ist weder der Mittelstand noch die Mittelschicht

Abenteuerliche Kreativität

Doch einem so hohen Einkommensteuersatz unterliegen in Deutschland gerade einmal 12.000 Personen. Das Beispiel von Boris Palmer entspricht also gerade nicht einem typischen schwäbischen Mittelständler, der seinen Gewinn für Forschung, Ausbildung und Investitionen verwendet, sondern einer selten reichen Privatperson, die den Gewinn eines selten vorhandenen Unternehmens vollständig für ihre privaten Zwecke entnimmt. So hat auch das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in einer Studie für die Stiftung Familienunternehmen bestätigt, dass die Vermögensabgabe künftige Investitionsentscheidungen unberührt lässt. Es gehört also einiges an Ideenreichtum dazu, die Vermögensabgabe als schädlich für Personenunternehmen darzustellen. Diesen Ideenreichtum sollten wir unseren politischen Gegnern überlassen und die Interessen, die dahinterstehen, aufdecken. Von der Vermögensabgabe ist laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung nur das reichste Prozent der Bevölkerung betroffen, das ist weder der Mittelstand noch die Mittelschicht. Dieses reichste Prozent verfügt über ein Drittel des privaten Vermögens – ein Vermögen, das heute 7 Billionen Euro umfasst und damit die Staatsverschuldung um mehr als das Dreifache übersteigt.

In ihrer konkreten Ausgestaltung sorgt die Grüne Vermögensabgabe deswegen für einen fairen Lastenausgleich. Und wir alle würden auch sofort profitieren, indem wir durch einen Abbau des Schuldenbergs jährlich mehrere Milliarden Euro an Zinszahlungen sparen. Das schafft Luft für Investitionen in Bildung und Infrastruktur, die auch die Unternehmen dringend brauchen. GERHARD SCHICK