: Der wohlgesinnte Flaneur
NEW YORK REVISITED Rosa von Praunheim kehrt mit seinem Film „New York Memories“ zurück an die Stätte seiner frühen wilden Jahre
Ach ja. Damals. 40 Jahre ist das nun her. Was hat er Spaß gehabt. Getanzt, geliebt und gefickt. In „der schwulsten Stadt der Welt“, erinnert sich Rosa von Praunheim in seinem jüngsten Film „New York Memories“, gewissermaßen das Sequel zu seinem erfolgreichsten Film überhaupt „Überleben in New York“ von 1989. „Hier hatte ich den geilsten Sex mit Bodybuildern und Andy-Warhol-Superstars“, schwelgt er aus dem Off.
Und wenn Rosa von Praunheim, heute ein Mann in seinem, nun ja, Lebensherbst, mit Bäuchlein und mildem Lächeln unter einem rosa Hütchen durchs Village flaniert, dabei erzählt, wie gefährlich und wild und bunt die schwulen Strip-Lokale hier einmal waren, unterscheidet er sich kaum von anderen Veteranen, die nach Jahrzehnten erinnerungswarm die Stätte ihrer gewagtesten Lebensabschnitte wieder besuchen.
Das New York seiner eigenen frühen wilden Jahre vergleicht der Filmaktivist gerne mit dem Berlin des Expressionismus. New Yorks Underground, seine billigen, schnell produzierten, zudem oft witzigen Filme wurden zum Vorbild für Praunheims eigene locker geführte Kamera, die weder Klamauk, Kitsch noch schwules Agit-Prop-Kino scheute. Die Stadt blieb seither seine Muse, der er mit unaufhörlicher Geschäftigkeit und zahlreichen Filmproduktionen huldigte. 20 Jahre nach „Überleben in New York“ trifft Praunheim die Protagonistinnen wieder.
Anna, die ihr Psychologiestudium einst mit Strippen finanzierte, bis ein Richter sich in sie verliebte und den ganzen Laden kaufte. Heute leben beide in Harlem, in einer Gegend, in die sie sich früher niemals getraut hätten. Die Journalistin Claudia, die im ersten Film traumatisiert von Einbrüchen und Vergewaltigung erzählt. Sie ist trotz allem geblieben und lebt nach allerlei lesbischen Eskapaden in einer festen, glücklichen Beziehung mit einer Lektorin. Nur die kindliche Schwäbin Uli mit den Rattenschwänzen hat die Überlebenskämpfe in New York nicht mehr ausgehalten. Ihr Freund erschlug damals jemanden im Drogenrausch. Danach ist Uli nach Kalifornien gezogen.
In „New York Memories“ sind die legendären Schwulenbars vom Times Square längst geschlossen. Claudia wohnt jetzt Uptown. Leisten kann sie sich das nur, weil sie einen alten Mietvertrag hat. Der Spinat auf dem Wochenmarkt kostet hier umgerechnet 40 Euro das Kilo. Die Stadt ist in Folge der Null-Tolerance-Politik des einstigen Bürgermeisters Rudolph Giuliani sicher, unbezahlbar und langweilig geworden, sagen alle. Dennoch bleiben sie. New York mache stark und mutig. Auch die jungen Schwestern Lucie und Marie Pohl, deren Nachbar Praunheim einmal war, wollen als Schauspielerin und Schriftstellerin nicht aufgeben.
Der große Traum, der hinter allen Überlebensstrategien aufblitzt, ist noch nicht ausgeträumt. Rosa von Praunheims eigener, von der Stadt als großer schwuler Familie, ist hierfür in den Hintergrund und den Nebel autobiografischer Verklärungen auf der Tonspur getreten.
In New York selbst ist Rosa von Praunheim nicht der schwule, renitente Provokateur, der das sexuelle Treiben Prominenter in die Öffentlichkeit trompetet, um dem Kampf gegen Aids und Homophobie einen Wirkungsschub zu geben. Hier, das spürt man in jedem dieser grundweg friedlichen, aufgeschlossenen Bilder, ist er immer noch der staunende, wohlgesinnte Flaneur und zurückhaltende Gast aus Deutschland, der keine andere Mission zu kennen scheint, als die, weiter von diesem Ort, seiner Härte und Energie zu schwärmen.
Und vielleicht ist es genau dieses freundliche Trotzdem, diese mit nichts als Sympathie begründete Unbedingtheit, die Filme wie „Überleben in New York“ und seinen Nachfolger so entspannt und konsumerabel auch für Zuschauer macht, die in Praunheims Sinne für eine hoffnungslos spießige und verklemmte Lebensweise stehen mögen. BIRGIT GLOMBITZA
■ „New York Memories“. Regie: Rosa von Praunheim. Deutschland 2010, 89 Min.