: Attraktiv, kritisch, klischeefrei
POSTFEMINISMUS Nach Alphamädchen mit Avocado in der Vagina fordern die britischen Feministinnen Nina Power und Angela McRobbie die Rückkehr zur Ernsthaftigkeit
VON JETTE GINDNER
Wir hatten uns fast schon an sie gewöhnt. Sie waren ja auch lustig, die neuen Ideen, die uns in den letzten Jahren als Ersatz für einen als überholt erklärten Feminismus angeboten wurden: Feminismus, der nach einer Automarke klang. Feminismus, dessen Autorinnen sich nach dem Anführer eines Wolfsrudels nannten. Feminismus als Geschichte einer missglückten Analrasur: In „Die neue F-Klasse“, „Wir Alphamädchen“ und „Feuchtgebiete“ ging es um einen „neuen Feminismus“ in Form individueller weiblicher Selbstermächtigung. Aber brachten diese Bücher Frauen wirklich weiter? Zwei britische Autorinnen, Nina Power und Angela McRobbie, zweifeln daran. Ihre Auseinandersetzungen mit diesem Phänomen erscheinen jetzt in deutscher Übersetzung.
Nina Power porträtiert den „neuen Feminismus“ in „Die Eindimensionale Frau“ als Egotrip und Lifestyle-Accessoire. „Ohne jede politische oder internationalistische Perspektive“ biete er Frauen statt Befreiung nur Konsum und Konkurrenz. Außerdem dulde der gnadenlos affirmative Feminismus made in USA weder Kritik noch Versagen, schreibt Power. Die Mittdreißigerin lehrt Philosophie und schreibt den Blog Infinite Thought. Ihre lebendige, schnelle und bisweilen aggressive Blogger-Sprache mischt sich mit akademischer Analyse zu einem neuartigen Texttyp.
„Die Eindimensionale Frau“ ist lesenswert, auch wenn Nina Power ihrem eigenen Anspruch nicht immer gerecht wird. So schreibt sie im Vorwort: „Feminismus lässt sich ohne eine Betrachtung der Arbeitswelt nicht verstehen.“ Die Kapitel über Arbeit hält sie allerdings kurz, schreibt Symbolisches statt politisch Verwertbares und lässt sich durch Betrachtungen über Vintage-Pornos und das Eigenleben weiblicher Brüste ablenken.
Aus Sicht von Power droht der Feminismus von rechts vereinnahmt zu werden: Eine Gruppe US-amerikanischer Abtreibungsgegner nennt sich Feminists for Life; die Bush-Regierung rechtfertigte den Afghanistankrieg mit Frauenrechten. Für alles außer dem Kampf um echte Gleichberechtigung gebraucht, werde der Begriff Feminismus bedeutungslos. Echt daneben liegt Nina Power in Sachen Pornografie: Alternative Arbeiten von Filmemacherinnen wie Candida Royalle oder Ovidie ignoriert sie einfach, um die Produktionen der heutigen Sexindustrie en bloc als fantasielose Leistungsschau abzukanzeln.
Neuer Geschlechtervertrag
Angela McRobbie beobachtet seit den 1990er-Jahren ein Phänomen, dass sie „Postfeminismus“ nennt: Der Einfluss der Frauenbewegung werde zurückgedrängt mit dem Argument, ihre Forderungen seien erfüllt und der Feminismus überholt – trotz Ungerechtigkeiten bei Löhnen und Kinderbetreuung.
In ihrem Buch „Top Girls“ kritisiert sie unter anderem, dass Medien und Populärkultur ältere Feministinnen als spaßfeindliche Emanzen dämonisieren würden, was den Feminismus für Jüngere unattraktiv machen und damit die Weitergabe politischer Macht verhindern würde. Die in den Medien übliche Gleichsetzung von Feminismus mit repressiver Lustfeindlichkeit verzerre historische Tatsachen. Und der „neue Feminismus“, der diese Verdrehung teilweise übernehme, spiele damit den Feminismusgegnern in die Hände.
McRobbies Buch legt dar, wie die „postfeministische“ Gesellschaft jungen Frauen einen neuen Geschlechtervertrag anbietet: Beruf, Konsum und Casual Sex gegen Verzicht auf Macht und Kritik an der männlichen Ordnung. Für Top Girls sind außerdem bestimmte Rollen vorgesehen wie die hyperweibliche „postfeministische Maskerade“, um im Beruf nicht zu aggressiv zu wirken. Oder die „phallische Frau“, die „mackerhafte Sexualität“ inszeniert. Auch vermeintlich emanzipierte Frauen wie Charlotte Roche stabilisieren laut McRobbie die traditionelle Rollenverteilung, indem sie glauben, sich wie das Klischee eines überholten Mannsbilds aufführen zu müssen.
Nina Power und Angela McRobbie fordern Frauen dazu auf, die Pseudo-Macht und die Diskurse vermeintlicher Selbstermächtigung – Konsum, aggressiver Individualismus und phallische Sexualität – zu hinterfragen. „Die Eindimensionale Frau“ und „Top Girls“ verhandeln nichts weniger als einen politischen Feminismus – oder, so Angela McRobbie, „die Rückkehr zur Ernsthaftigkeit“.
■ Nina Power: „Die eindimensionale Frau“. Aus dem Englischen von Anne-Sophie Springer. Merve Verlag, Berlin 2010, 80 Seiten, 8 Euro■ Angela Mc-Robbie: „Top Girls“. Herausgegeben v. Sabine Hark u. Paula-Irene Villa. VS Verlag, Wiesbaden 2010, 240 S., 24,95 Euro