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Archiv-Artikel

Stuttgart 21 am Zuckerhut

WM In „Brasilien vor dem Anpfiff“ (22.25, Arte) sprechen die Gegner

Gut einen Monat vor Beginn der Weltmeisterschaft in Brasilien schickt der Kultursender 3sat die Autoren Meili Dschen und Nino Gadient nach Rio de Janeiro und Sao Paulo. Dort treffen sie – gemeinsam mit der Presenter-Reporterin Nina Brunner – Kulturschaffende, um mit diesen über das Unvermeidliche zu sprechen. „Im Land des Samba ist einiges aus dem Takt geraten“, postuliert Brunner klischeehaft und lässt sich das anschließend bestätigen: Von dem Künstler Ernesto Neto („I absolutely hate Fifa!“), dem in einer Favela groß gewordenen Sänger Criolo („Jetzt von der WM zu sprechen ist pure Naivität!“), der Street-Art-Künstlerin Leia Souza („Die Korruption ist so frustrierend!“) und einigen mehr.

Auch die Proteste selbst geraten in die Kritik. Will heißen: Das bevorstehende Fußballturnier der Fifa ist den Brasilianern das, was den Schwaben Stuttgart 21 war: Der Widerstand gegen die Großprojekte kam spät, die Entrüstung brach dann aber umso heftiger los. Und: Wie die Stuttgarter Wutbürger hatten offenbar auch in Brasilien nicht alle, die an den Protesten teilgenommen haben, dieselben Motive.

Der Schriftsteller Luiz Ruffato bemängelt sarkastisch, dass es einigen Demonstranten um nichts weiter ging als um Vergünstigungen für Hundefutter. Ruffato ist Katzenhalter, vielleicht sollte man das wissen.

Das Argument, dass ein Land, in dem nach wie vor viele Millionen Menschen sehr arm sind, sein Geld sinnvoller ausgeben könnte als für vier Wochen Ballspielen, ist von zwingender Plausibilität. Trotzdem wäre es interessant und journalistisch geboten gewesen, auch die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Schwer vorstellbar, dass es unmöglich war, auch „jenseits der offiziellen Rhetorik“ den einen oder anderen Brasilianer aufzutun, der sich die Vorfreude auf die teuerste Fußball-WM aller Zeiten nicht verderben lassen will – außer dem archetypischen Jungschnösel im roten Ferrari. Nun ja, es werden weitere Dokumentationen folgen. JENS MÜLLER