: Ein anderer Blick auf Mali
Wer an Afrika denkt, denkt an Armut, Illegale, Krankheit, Hunger. Dieses Bild ist für unsere junge Generation unerträglich. Wir brauchen eine Umkehr des Blickes. Afrika ist nicht arm. Die Afrikaner sind verarmt, während eine kleine reiche Elite entsteht, die Füße in Afrika, die Köpfe woanders.
Malis Krise wird meist so dargestellt: Anfang 2012 rebellierten Tuareg, sie verbündeten sich mit Islamisten, die Armee wurde geschlagen und putschte, die Islamisten besetzten Nordmali und hackten Hände ab, und da musste man ja eingreifen.
Aber die Probleme entstanden nicht erst 2012. In den letzten Jahrzehnten emigrierte Malis marginalisierte Jugend: aus Südmali nach Europa, aus Nordmali nach Libyen. Letztere lernten den Umgang mit der Waffe. Nach Gaddafis Sturz kamen sie zurück und sagten: Wir wollen einen eigenen Staat – Azawad.
Ihnen gegenüber stand eine Armee junger Arbeitsloser. Ohne Waffen und Ausrüstung. Sie wurden massakriert. Ihr Putsch damals begann mit Demonstrationen ihrer Frauen, die sagten: Die hohen Offiziere haben Geld, unsere Jungs sind Kanonenfutter.
Wie kam es zur französischen Intervention? Eigentlich wollten die Tuareg-Rebellen über Azawad verhandeln. Aber die, die den Krieg wollten, sagten: Man kann ihnen nicht trauen, es sind Islamisten. Niemand fragt: Warum konnten Islamisten bei uns so stark werden? Es sind die Islamisten, die Brunnen bohren, die sich um die Bevölkerung dort kümmern, wo der Staat nichts mehr tut. Heute werden sie zu Hunderten getötet. Auf Bildern der Toten sieht man junge Kämpfer, fast noch Kinder. Sie gingen zu den Islamisten, um ihre Familien zu ernähren.
Jetzt wird Mali militarisiert. Die Franzosen haben unglaubliche Mengen Waffen gebracht; es ist, als wären Außerirdische gelandet. Und es sollen auch noch 15.000 UN-Blauhelme kommen.
Mali hat den falschen Entwicklungsweg eingeschlagen: ein Kapitalismus ohne Kapital. Wir haben weder einen aktiven Staat noch einen fähigen Privatsektor. Wir haben nur Händler, jeder sucht Vorteile für sein Dorf, will Anteile von der Geldwäsche und geht in die Politik, um Geld zu verdienen. Die Landwirtschaft liegt am Boden.
Dieser malische Kapitalismus ist zusammengebrochen. Und jetzt wird von Versöhnung und Dialog geredet, ohne zu sagen, wovon die Menschen leben sollen. AMINATA TRAORÉ
Auszüge aus einem Vortrag, den Aminata Traoré am 17. April in Berlin hielt. Traoré ist die wohl bekannteste zivilgesellschaftliche Aktivistin Afrikas. Kulturministerin Malis 1997–2000, wurde sie danach in der globalisierungskritischen Bewegung aktiv.