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Archiv-Artikel

Macht euch der Erde untertan

Zu Besuch bei dem Umweltschützer Michael Succow

VON GABRIELE GOETTLE

Michael Succow, Emeritus, Jahrgang 1941. Biologe, Umweltschützer, international profilierter Moor-Ökologe. 1960 bis 1965 Studium. Abschluss als Diplom-Biologe. 1965 Heirat. 65-69 wissenschl. Assistent am Botanischen Institut d.Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Weil er offen mit d. Reformprozessen d. Prager Frühlings sympathisierte, musste er 1969 seine universitäre Laufbahn aufgeben. Von 1969–1973 Arbeit im VEB Meliorationskombinat Bad-Freienwalde, zuerst bodenkundlicher Standorterkunder, dann Brigadeleiter. Promotion1970 im Fach Biologie. Danach mehrere Monate i. d. Mongolei zum Aufbau eines Staatsgutes. 1974–1990 wissenschaftl. Mitarbeiter am Bodenkundlichen Institut d. Akademie d. Landwirtschaftswissenschaften d. DDR. 1981 Verteidigung der Habilitationsschrift. 1987 Ernennung zum Professor d. Akademie d. Landwirtschaftswissenschaften der DDR. 1987–1989 mehrmaliger Einsatz in Äthiopien im Auftrag von Consulting-Unternehmen d. DDR zur Erarbeitung von Landnutzungsprojekten. 1989/90 entwickelte er zusammen mit d. Biologen Hans Dieter Knapp und Leberecht Jeschke d. Nationalparkprogramm d. DDR. Die Idee war, umfangreiche Areale mit noch intakter Natur, in Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks zu überführen, was er 1990, nach seiner Berufung zum Stellvertreter d. Ministers für Natur-, Umweltschutz u. Wasserwirtschaft d. DDR, in die Tat umsetzen konnte. Am 12. September 1990 wurde, Dank seiner Vorarbeit, vom Ministerrat d. DDR, auf dessen letzter Sitzung vor seiner endgültigen Auflösung, das Nationalparkprogramm beschlossen. Damit waren ca. 7% der Fläche d. DDR als Nationalpark oder Biosphärenreservat rechtsgültig unter strengen Naturschutz gestellt und so vor d. Privatisierung u. d. Zugriff von Industrie, Landwirtschaft u. Verkehr gerettet. Nach d. Wende reiste Succow in d. früheren Sowjetrepubliken. Er und seine Mitstreiter nutzten nun auch in d. Mongolei, in Kirgistan, Jakutien,Usbekistan und Aserbaidschan d. Gunst d. Stunde, es gelang ihnen, Millionen von Hektar wilder Steppen, Seenlandschaften u. Wüsten in Schutzgebiete umzuwandeln. 1992 Berufung z. Universitätsprofessor f. Geobotanik u. Landschaftsökologie sowie z. Direktor d. Botanischen Institutes u. Botanischen Gartens d. Universität Greifswald. 1997 Verleihung d. Alternativen Nobelpreises d. Right Livelihood Award Foundation in Stockholm, m. d. Preisgeld gründete er 1999 die Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur. 2006 Emeritierung. Noch heute reist er in d. Mongolei, nach China oder nach Äthiopien, wo seine Succow-Stiftung d. Aufbau v. Schutzgebieten unterstützt.

Wer heute über Rügen reist, durch die Müritz-Region streift, eines der wunderbaren Biosphärenreservate wie die Schorfheide, den Spreewald, die Vorpommersche Boddenlandschaft besucht, oder durch die Sächsische Schweiz oder den Hochharz wandert, bewegt sich in Landschaften, die es so wahrscheinlich gar nicht mehr geben würde, hätten nicht unbelehrbare Naturschützer ihre Interessen im historisch richtigen Moment in die eigenen Hände genommen. Ihnen ist die Rettung dieser Biosphärenreservate, Nationalparks und Naturparks zu verdanken. Einer von ihnen ist Michael Succow. Er lebt mit seiner Frau etwas außerhalb von Greifswald in einer Reihenhaussiedlung. An einem kühlen Tag sitze ich in ihrem Wohnzimmer, trinke Tee und schaue hinaus in den Obst- und Gemüsegarten. Es ist Sturmwarnung, draußen rütteln und pfeifen Windböen, biegt sich eine Konifere zu Boden. Ich bitte Herrn Succow die Geschichte der geretteten Nationalparks zu erzählen und auch, wie er zu seiner Liebe zur Natur kam.

„Eines muss ich gleich klarstellen, das war natürlich nicht das Werk von Einzelnen, das war das Werk von Vielen. Von Laien und Wissenschaftlern, auch von Juristen und Helfern aus dem Westen. Aber ich fange vielleicht erst mal andersrum an, mit der Liebe zur Natur, denn es hat sich alles ineinander gefügt. Also ich habe mich immer sehr für die Natur interessiert, schon in der Kindheit. Meine Eltern hatten einen großen Bauernhof in Lüdersdorf, bei Wriezen auf der Höhe, das liegt am Rande des Oderbruchs, etwa 60 km östlich von Berlin, im Landkreis Märkisch-Oderland. Bin 1941 dort geboren. Es war Krieg, aber ich habe davon nicht viel gemerkt, ich war eigentlich noch zu klein, um die Wirren und Gräuel bewusst zu erleben. Viel weiß ich auch nicht mehr von dem Treck nach Schleswig-Holstein. 1946 im April ging es wieder zurück. Das sind so die ersten Erinnerungen, besonders an Vögel und an die Fahrt auf dem Wagen über den Schweriner See. Und dann kamen wir auf dem völlig zerstörten Hof an, er lag in der Hauptkampflinie, östlich von Berlin. Meine Eltern bauten den Hof wieder auf, mein Vater kaufte einzelne Schafe die überlebt hatten und das war dann eine der ersten Schafherden, die es in Brandenburg nach dem 2. Weltkrieg wieder gab. Wir waren drei Kinder und ich bekam die Aufgabe, die Schafe zu hüten. Wenn die Schule für mich mittags zu Ende war, dann habe ich was gegessen und bin dann mit der Herde über die Felder und an die Wegränder. Während die Schafe gefressen haben, hatte ich viel Zeit zum Schauen und Nachdenken.

Wir hatten eine kleine Moorwiese mit Orchideen und mit vielen interessanten Vögeln. Mein Hauptinteresse galt damals den Vögeln. So mit 12 Jahren habe ich dann angefangen Tagebuch zu schreiben und Karten zu zeichnen, also Landkarten. Ganz einfältig und kindlich habe ich die Wanderungen eingezeichnet, die einzelnen Teiche und Sölle, wo besonders viele Vögel waren und auch was ich sonst noch so beobachtet habe. Dieses Tagebuchmaterial reicht von 1953 bis heute, wo ich immer noch Tagebuch führe. Manchmal gehe ich heute die heimatliche Landschaft ab, um den Wandel in dieser Vielfalt zu erfassen. Und da drängt sich natürlich auf, wie stark der Verlust dieser einstmaligen Vielfalt sich bemerkbar macht. Dort hat sich ein Niederländischer Großagrarier eingekauft, produziert industriemäßig, macht nur noch Mais. Die Folge ist die Zerstörung der Böden und auch die soziale Zerstörung der Dörfer. Da gibt es ja keine Arbeitsplätze mehr, sechs, acht Helfer reichen aus, um 1.000 Hektar zu bewirtschaften. Mit der Kollektivierung der Landwirtschaft fing das Problem der großen Flächen ja damals in der DDR schon an. Wir waren Einzelbauern, Großbauern, und als solche wurden wir als ‚Kulaken‘ der Ausbeuterklasse zugeordnet. Da gab es ein Lied. „Der Klassenfeind, der Klassenfeind, ist einer, der es böse meint und wenn er’s auch nicht böse meint, so bleibt er doch der Klassenfeind.“ Das war so die Prägung. Aber ich durfte immerhin zur Oberschule, meine Geschwister nicht. Als ich Abitur machte, war unser Hof der letzte, der in die LPG hinein gezwungen wurde. Alles wurde weggeführt, die Pferde, die wir auf die Welt kommen sahen, alle meine Schafe, die anderen Tiere. Alles wurde in diese LPG-Kodderwirtschaft überführt. Meine Mutter brach zusammen, mein Vater ist bald darauf gestorben. Es war alles schlimm, sehr schlimm!

Und damit war es dann natürlich schwierig, sich mit dem Gedankengut des Sozialismus zu identifizieren. Ich wechselte durch diese Überführung in die LPG nun aber plötzlich von der Ausbeuterklasse in die Klasse der ‚Werktätigen Genossenschaftsbauern‘ über, und von diesem Moment an, gehörte ich zur fortschrittlichen Klasse und durfte nun auch Biologie studieren, was zuvor nicht möglich gewesen wäre. Ich war nun Mitglied der Arbeiter- und Bauernklasse und wurde zum Direktstudium nach Greifwald gebracht. Biologie war ein sehr begehrtes Studienfach. Selbst Kinder von Genossen mussten drei Jahre in der Armee dienen, um dann zu diesem Studium zu kommen. Ich hingegen hatte nicht mal ein gutes Abitur. Bald wurde klar, weshalb man mich vermutlich privilegiert hatte. Zwei Herren bestellten mich in den Rat der Stadt und eröffneten mir, dass man Gegenleistungen erwarte. Ich sollte mich in meiner Studiengruppe mal umschauen nach Leuten, die noch keinen ‚gefestigten Standpunkt‘ hatten. Ich sollte berichten über alle Anzeichen, die den Sozialismus gefährden könnten. Für mich war sofort klar, dass ich das ablehne, ich habe mir aber Bedenkzeit einräumen lassen. Und so nach 3–4 Wochen wurde ich wieder einbestellt und ich sagte: ‚Also wenn Sie das von mir verlangen, dann breche ich das Studium ab und werde Schäfer.‘ Sie wurden ganz böse, haben mich dann aber nur verwarnt und zum Schweigen verpflichtet. Ich wurde entlassen und durfte weiter studieren.

Die Ideen des Sozialismus

Es ist vielleicht wichtig zu sagen, dass ich dennoch von den Ideen des Sozialismus tief bewegt war, von einer Welt, in der Ausbeutung, Elend und Ungleichheit überwunden sind. Aber dass die Wirklichkeit bei uns anders aussah, hatte ich ja bereits ausreichend als Jugendlicher erfahren und das ließ mich schon sehr früh zu einem kritischen Menschen werden. Das bin ich auch heute noch, denn ich sehe, dass dieses kapitalistische System keine Zukunft haben kann. Und wieder ist man Außenseiter. Aber damals gab’s eben noch diese Hoffnung, dass der Sozialismus verbesserungsfähig wäre, sich menschlicher gestalten ließe. Alle die, die mich prägten, waren Kommunisten die im Faschismus Schlimmes erleiden mussten. Kurt Kretschmann – er war in den 50er-Jahren Mitinitiator des Naturschutzgesetzes der DDR und von ihm ist auch das DDR-Naturschutzsymbol, die schwarze Eule auf dem fünfeckigen Schild, – er war in Gestapo-Haft, war Pazifist und Deserteur, entkam nur knapp einem Todesurteil. Oder Reimar Gilsenbach, der war an der Ostfront, desertierte, lief zur Roten Armee über, wo ihm dann seine Weigerung, sich den Kaderstrukturen des ‚Nationalkomitees Freies Deutschland’ unterzuordnen, mehrere Jahre sowjetischer Kriegsgefangenschaft einbrachte. Das waren die Menschen, die mich prägten. Reimar sagte immer so treffend: ‚Sozialismus ist die schönste Utopie, die sich die Menschheit ausgedacht hat, aber es wird immer eine Utopie bleiben. Die Idee taugt nur für zwei die sich lieben.‘ Was bei meinen Lehrern eben ganz stark ausgeprägt war und lebensbestimmend, das war die Liebe zur Vogel- und Pflanzenwelt, der Schutz der Natur.

Auch bei meiner Frau. Meine Frau ist ja auch Biologin. Wir haben zum Ende des Studiums geheiratet. Es war ja in der DDR so üblich, dass man auf Staatskosten studierte und dafür hatte der Staat dann das Recht, einen nach dem Studium für 5 Jahre irgendwohin zu schicken, wo es Arbeit gab. Meine Frau sollte als Mikrobiologin nach Dresden in ein Werk gehen. Um zusammen bleiben zu können, haben wir schnell geheiratet. Wir bekamen zwei Kinder, aber keine Wohnung, denn ich hatte mich geweigert, an der Hochschule zu unterschreiben, dass mit der Niederschlagung des Prager Frühlings ein entscheidender Schlag gegen den Klassenfeind gelungen sei. Das sollten wir, die Hochschulangehörigen, unterschreiben. Ich, der ich traurig darüber war, dass aus der Reformation des Sozialismus durch Dubcek nichts werden durfte! Also einige von uns haben das nicht unterschrieben. Die Kaderleitung teilte mir dann mit, ich sei nicht entwicklungsfähig, an einer sozialistischen Hochschule sei für mich kein Platz und es sei natürlich auch ausgeschlossen, dass wir eine Wohnung bekommen. Wir wohnten mit zwei kleinen Kindern unter unzumutbaren Bedingungen auf einem Hinterhof, Außenklo, das im Winter einfror, einem Gasleitungsrohr im Schlafzimmer, alles kalt und feucht. Ich habe dann Tuberkulose bekommen. Also man machte uns das Leben schwer. Ich hatte so gut wie keine Förderung, war nicht in der Partei und weit entfernt von den Machtzirkeln. Wir hatten aber – was ganz wichtig war – einen sehr guten Freundeskreis und wir fanden im Kulturbund eine Wirkungsstätte für unsere gesellschaftspolitischen und naturschützerischen Ideen.

Ich habe dann die Universität verlassen und bin zum VEB-Meliorationskombinat Bad-Freienwalde gegangen. Es war anfangs alles ziemlich anstrengend, ich war zuerst bodenkundlicher Standorterkunder, dann Brigadeleiter. Aber Meliorationsforschung – Homogenisierung der Landschaft – das war ja genau das, was ich eigentlich überhaupt nicht wollte! Ich habe gesehen, es wurde so vieles falsch gemacht. Ein besonders anschauliches Beispiel habe ich 1973 gesehen, als ich vom Kombinat zur ‚Entwicklungshilfe‘ in die Mongolei geschickt worden war, um dort als Bodenkundler ein Staatsgut mit aufzubauen. Heute existiert es nicht mehr. Dort hatte sich damals das Nomadenwesen noch weitgehend erhalten, die Araten zogen mit ihren Herden umher. Und man muss wissen, 22.000 oder 28.000 Mongolen sind in der DDR gewesen zur Ausbildung und zum Studium. Die Mongolen sind ein außergewöhnlich kluges Volk und sehr sprachbegabt. Das Staatsgut ‚Bornuur‘ – ehemals ‚Ernst Thälmann‘ – hatte 157.000 Hektar und sollte Lebensmittel erzeugen, nicht für die Mongolen, sondern für das sowjetische Militär. Also Getreideanbau für Schnaps, das Militär braucht Schnaps, dann Kartoffeln und Kohl. Und ich habe aus nächster Nähe erlebt, wie die DDR-Spezialisten dort loslegten, wie der Wasserbauer das Grundwasser abzapfte, wie der Pflanzenschutzingenieur nur Gift, Gift, Gift streute. Und weil die mongolischen Kühe nur im Sommer Milch geben, hat man aus der DDR eine Herde aus Hochleistungskühen zusammengestellt und mit modernsten Melkanlagen in der Transsibirischen Eisenbahn nach Ulan Bator geschafft. Ein Drittel ist auf der Fahrt verreckt, das 2. Drittel auf dem Marsch über 180 km durch die Steppe. Das letzte Drittel stand dann in den eiskalten, zugigen Ställen und bekam Tuberkulose. Und aus dem Kohl wurde auch nichts Richtiges auf dem Permafrostboden. Ach, ich könnte Sachen erzählen! Die ganzen Fehlentwicklungen, die wurden geleugnet und geradezu schön geredet. Wir werden jetzt im Juli dort sein und mit Geldern vom Bundesentwicklungsministerium ein Programm für Biosphärenreservate und zum Erhalt der Nomadenkultur gründen. Wir dürfen diese Völker und ihre Wirtschaftsweise nicht zerstören.

Ich hatte meine Freiräume

Das war in meiner Zeit im Meliorationskombinat. Also, man kam herum. Ich war dann für die Standorterkundung in der gesamten DDR zuständig: Da hatte ich meine Freiräume. Ich konnte auch ein bisschen Naturschutz machen, war dann Kreisnaturschutzbeauftragter, habe die Gesellschaft für Natur und Umwelt im Bezirk aufgebaut. Und ich habe nebenher meine Dissertation fertig geschrieben über die Moore. Die wurde ein Jahr lang nicht bewertet, danach hat sie dann Greifswald doch akzeptiert. Ich hatte also 4 Jahre dieser ‚Bewährung‘ im Meliorationskombinat abgeleistet, durfte aber dennoch nicht wieder zurück an die Universität. Von 1974– 1990 war ich dann wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bodenkundlichen Institut der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR. In diesem Forschungszentrum, in dem ich als Außenseiter zum letzten Glied der wissenschaftlichen Mitarbeiter gehörte, habe ich dann heimlich meine Habilitation geschrieben. Auch wieder über die Moore. Ich war zwar an den Rand gestellt, aber ich konnte machen, was ich wollte, hatte einen wissenschaftlichen Freiraum, den sich heute hier in der Forschung keiner mehr vorstellen kann! Das Zentrallabor für Bodenkunde war eigentlich zu Jahresbeginn immer ausgebucht und zwar für die zu ‚entwickelnden‘ akademischen Genossen, die Professoren werden sollten. Aber weil alle mit ihrem Machtgerangel so beschäftigt waren, hatten die Frauen im Labor oft keine Arbeit und haben für mich, weil ich freundlich war und nicht arrogant, ein Riesenmaterial an Bodenproben aus allen Moorschichten analysiert und zusammengestellt. Und damit konnte ich dann meine Habilitationsschrift erstellen, ohne Wissen der Partei. Obwohl ich keinen Kaderplan hatte und nicht vorgesehen war, habe ich es am Ende dann doch geschafft und zwar mit Hilfe des Ehrenpräsidenten der Akademie für Landwirtschaftswissenschaften, Prof. Stubbe – ein guter Mann, der hatte auch die ganzen Lyssenko-Sachen nicht mitgemacht. Er hat meine Habilitationsverteidigung geführt. Und dann bin ich 1975 habilitiert worden, was nicht vorgesehen war, blieb aber weiterhin wissenschaftlicher Mitarbeiter, letztes Glied.

Ich war weiter im Kulturbund aktiv. Er spielte Jahrzehnte lang eine wichtige Rolle für die Naturschutzbewegung in der DDR, er war für uns ein Freiraum für’s ehrenamtliches Engagement im Naturschutz der DDR. Zusammen mit Reimar Gilsenbach, der auch im Vorstand war, haben wir die Listen der aussterbenden Pflanzen zusammengestellt, haben Bücher geschrieben, z. B. ‚Moore in der Landschaft‘, für den Urania-Verlag – die machten aufklärende populärwissenschaftliche Bücher über das Verhältnis Mensch-Natur. Das haben alle gelesen damals, auch Merkel. Eines Tages war es dann soweit, dass wir, ich und mein Freund Lebrecht Jeschke, Biologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz in Greifswald, dass wir nicht mehr in diesen Institutionen dienen wollten. Wir wollten uns selbständig machen, als freischaffenden Wissenschaftsjournalisten, so würde man das wohl heute nennen. Unser Freund Hannes Knapp war ja schon vorher ausgestiegen. Er ist Geobotaniker und Biologe und bis heute leitet er die Außenstelle Insel-Film, des Bundesamtes für Naturschutz mit der Internationalen Naturschutzakademie. Und unser Freund Reimar Gilsenbach wollte und konnte sich nicht unterordnen und war schon seit 1977 freischaffender Journalist und Buchautor.

Ich war dann in dieser letzten Periode der DDR in der Volkskammer, das ist auch so eine Geschichte, die ich Ihnen wenigstens andeutungsweise erzählen will: 1973 war ich doch in diesem Meliorationskombinat und wurde dann nachher Brigadeleiter, habe also ein sozialistisches Kollektiv geleitet. Und da hat eines Tages der Direktor des Kombinates beschlossen, dass ich mich bewährt habe und nun fähig bin, in die Partei aufgenommen zu werden. Das hat mir ein alter Genosse aus meinem Kollektiv gesteckt. Er war in der Parteileitung und sagte zu mir im Vertrauen: ‚Es ist die höchste Auszeichnung, die du bekommen kannst. Dieses Angebot, Genosse zu werden, das darfst du nicht zurückweisen. Aber ich kenne dich, du wirst damit nicht glücklich, deshalb rate ich dir, geh schnell in irgendeine Blockpartei, dann kannst du sagen, Genossen, leider, zu spät.‘ Ich bin sofort los zur LDPD, die liberal-demokratische Partei, habe denen das erklärt und die waren froh über dieses neue Mitglied und haben mitgespielt. Und als man mir dann die offizielle Mitteilung machte, dass ich in die Sozialistische Einheitspartei aufgenommen werden soll, habe ich dem Kombinatsdirektor gesagt, dass ich mich schon seit längerer Zeit, weil ich gesellschaftlich tätig sein wollte, für die demokratische Blockpartei entschieden hätte.

Volkskammerabgeordneter

Dann wurde ich zur Volkskammer aufgestellt, war mir aber unschlüssig. Meine Freunde haben mir zugeredet und so habe ich diesen Schritt getan. Als Volkskammer-Abgeordneter hatte ich Immunität. Ich kam an sehr viele Informationen heran, auch über den ökologischen Zustand der DDR, die man sonst nie bekommen hätte. Ich durfte in Truppenübungsplätze, in Grenzstandorte schauen und damit Gebiete in Augenschein nehmen, die später Nationalparks wurden Bald führte die öffentliche Diskussion um die künftige Nutzung eines über 30.000 ha großen Staatsjagdgebietes zu seiner Auflösung und zur Gründung der Bürgerinitiative ‚Müritz-Nationalpark‘ Im November 89 forderten die Umweltbewegungen im Kulturbund ein eigenes Naturschutzministerium, mit mir als Exponenten des ehrenamtlich-gesellschaftlichen Naturschutzes. Dazu kam es aber nicht. Hans Reichelt, Minister für Umweltschutz und Wasserwirtschaft in der Regierung Modrow – der Regierung der Nationalen Verantwortung – bot mir die Position seines Stellvertreters an im Bereich Naturschutz. Ich habe gesagt, dass ich die Landwirtschaft ökologisieren möchte, dass es mir auch um Raumordnung und Raumplanung geht, um wichtige Dinge, die wir alle nicht haben. Aber Reichelt sagte: ‚Sie haben alle Freiheiten, ich mische mich nicht ein.‘

Das war natürlich eine gute Voraussetzung, ich habe wieder mit meinen Freunden gesprochen, gefragt, soll ich das machen? Und sie haben alle gesagt – auch meine Frau Ulla – du musst! Ich habe die Wissenschaft aufgegeben und bin dann am 14. Januar 1990 als Stellvertreter des Ministers ins Ministerium am Schiffbauerdamm eingezogen, in eine Etage, in der zuvor die Stasi saß. Ich war verantwortlich für ‚Ressourcenschutz und Landnutzungsplanung‘. Man gab mir einen Kraftfahrer und eine Sekretärin, ich hatte ein Budget und konnte mir Mitarbeiter aussuchen aus dem Kreis der Freunde und Mitstreiter, u. a. natürlich Jeschke und Knapp. Knapp wurde mit der Organisation des Nationalparkprogramms beauftragt, Jeschke kümmerte sich vorrangig um das Programm ‚Grüne Grenze‘, mit dem geeignete Flächen entlang des ehemaligen ‚eisernen Vorhanges‘ als Naturschutzgebiete ausgewiesen wurden. Von nun an wurde das Nationalparkprogramm auf zwei Ebenen vorangetrieben, von der stark für den Naturschutz engagierten Bürgerbewegung, also von den Umweltgruppen der DDR und vom Ministerium für Naturschutz, Umwelt und Wasserwirtschaft. 600 Naturschützer, die zuvor Jahrzehnte lang ehrenamtlich und unter ständiger Observation gearbeitet hatten, bekamen nun Planstellen in den Kreisen und Bezirken, sie sollten Standorterkunder ausschicken und eine Kartierung der geplanten Naturschutzgebiete machen, Bürgerversammlungen organisieren, usw.

Wir dachten damals, es würde uns nun genug Zeit bleiben für die Ausarbeitung von Entwicklungsplänen und allem, aber bald war abzusehen, dass kaum ein halbes Jahr zur Verfügung stehen würde. (Modrow- Regierung v. 18. Nov. 1989–12. April 1990. Anm. G. G.) „Die Modrow-Regierung wurde von der de Maiziere-Regierung abgelöst, das Ministerium hieß nun ‚Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit (MUNER)‘, die Fortführung des Nationalparkprogramms übernahm Prof. Steinberg (CDU), er wurde neuer Umweltminister. Es gab Differenzen. Er hat mir den Posten eines Unterabteilungsleiters angeboten, einmal bekam ich sogar Redeverbot erteilt. Im Mai bin ich dann ausgeschieden aus dem Ministerium, zu unterschiedlich waren die Auffassungen über die Rolle des Naturschutzes in der Gesellschaft. Steinberg befürchtete eine Behinderung des Wirtschaftswachstums durch das Schutzgebietsprogramm. Aber einige Zeit später hat er sich plötzlich umorientiert, sich voll und ganz hinter das Nationalparkprogramm gestellt. Wohl auch unter Druck aus dem Westen, denn sein CDU Parteikollege, der Bundesumweltminister Töpfer, stand unseren Plänen sehr positiv gegenüber. Aber das hat natürlich alles Zeit gekostet, die wir eigentlich nicht hatten. Es gab zwar den Beschluss des Ministerrates vom 16. März 1990, durch den 23 Gebiete, etwa 10,8% der Landesfläche der DDR, unter vorläufigen Natur- und Landschaftsschutz gestellt wurden. Vorläufig. Aber das Nationalparkprogramm der DDR musste ja bindende Gesetzeskraft erlangen, um dann in die Einigungsverträge aufgenommen zu werden. Wir wussten, was jetzt nicht unter Dach und Fach kommt, ist verloren.

Ab Mitte August war es offiziell, alles bewegte sich mit rasender Geschwindigkeit auf die Deutsche Einheit zu. Wir mussten also die Gunst der Stunde nutzen und dem gerade noch existierenden zentralistischen Machtapparat, kurz vor seinem Untergang, noch den Schutz dieser Flächen des Naturerbes abtrutzen. Am 12. September, das stand fest, war dazu die allerletzte Gelegenheit, die Regierung de Maizière sollte zu ihrer letzten Sitzung zusammentreten. Und so kam es dann, der DDR-Ministerrat fasste auf dieser seiner letzten Sitzung in nur sieben Minuten den Beschluss, im Rahmen des Nationalparkprogramms sechs Biosphärenreservate, fünf Nationalparks und drei Naturparks nach DDR-Recht unter Schutz zu stellen. In der Begründung hieß es: ‚Die endgültige Unterschutzstellung der 14 Gebiete stellt einen fortwirkenden Beitrag zum Naturschutz des geeinten Deutschlands sowie zur Sicherung des Naturerbes in Europa dar.‘ Fast wäre der Beschluss doch nicht zustande gekommen. Der Umweltminister wurde wegen eines Streiks der Berliner Müllmänner aus der Sitzung gerufen, er kam gerade noch rechtzeitig zurück, um die Vorlage auf den Tisch zu bringen. So wurde das Nationalparkprogramm zum letzten Beschluss der letzten DDR-Regierung vor ihrer Selbstauflösung und der inzwischen einzige Beschluss von fortdauernder Gültigkeit. (Am 18. September 1990 unterzeichneten Wolfgang Schäuble für die Bundesrepublik Deutschland und Günther Krause für die Deutsche Demokratische Republik eine „Zusatzvereinbarung“ zum Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990, mit der die 14 vom Ministerrat beschlossenen Verordnungen zum Nationalparkprogramm bestätigt wurden. 12 weitere Gebiete wurden für die Dauer von zwei Jahren vorläufig unter Schutz gestellt. Anm. G. G.) Auch wenn es nun nicht mehr 23 waren, sondern nur noch die 14 wichtigsten, war es doch ein beispielloser Erfolg für den Naturschutz.

Wir haben viel erreicht

Aber damit ist es ja nicht getan. Ja, wir haben viel erreicht, aber ich leide auch unter vielem. Wir haben jetzt die Energiewende, das ist gut, Wir brauchen aber auch eine Agrarwende. Und, ich traue mich kaum es auszusprechen: Wir brauchen eine Bodenreform. Die Privatisierung des Staatslandes, das praktisch industriell wirtschaftende Großagrarier hier reich macht und mit Steuergeldern fördert, das war eine Fehlentwicklung. Gegen diese Fehlentwicklungen in der Land- und Forstwirtschaft, da könnte ich wirklich eine Revolution machen. Wir müssen Wälder alt werden lassen. Denn nur dann speichern sie die größten Mengen CO2, vor allem im Humus der Böden. Und auch die Landwirtschaft muss klimafreundlicher werden. Ökologischer Landbau ohne Chemie und Kunstdünger, der Humusbildung fördert, bindet Kohlenstoff und lagert ihn im Boden ein. Wir sollten die ökologischen und sozialen Leistungen einer vernünftigen Landnutzung wertschätzen und endlich auch in Wert setzen. Was ich heute erlebe, ist eine absolut naturfeindliche Agrarproduktion.

Diese Landwirtschaft bekommt die meisten Subventionen und ruiniert die Böden und rottet die Artenvielfalt aus. Es ist das Rebhuhn ausgerottet, es ist die Trappe ausgerottet und vieles mehr. Nur noch Mais, Mais, Mais. Wachstum und Rendite. Wir müssen endlich von einem ‚Macht euch die Erde untertan‘ zu einem ‚Macht euch der Erde untertan‘ kommen. Die Natur ist das Größere!“