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Archiv-Artikel

Kaffeesatz liefert Essen für viele

PROJEKT Chido Govera aus Simbabwe bringt Menschen die Zucht von gesunden Edelpilzen auf Kaffeeabfall bei. Ein Geschäftsmodell der „Blue Economy“ mit riesigem Potenzial. Ärger gibt es mit einer Berliner Firma

VON UTE SCHEUB

Chido Govera wirkt bescheiden, fast schüchtern, und gleichzeitig strahlend charismatisch. Das Publikum ist hingerissen, als die 28-Jährige aus Simbabwe in einer Madrider Kongresshalle aus ihrer Lebensgeschichte erzählt. Dort tagt Ende April der 8. Weltkongress der „Blue Economy“ – so benannt nach der Farbe des Planeten Erde.

„Blau wirtschaften“ will ein weltweites Netzwerk kreativer Wissenschaftler und Aktivistinnen; durch intelligente Nutzung von Abfällen sollen Ökoprodukte auch für Arme erstellt werden. Ihr Vordenker ist der belgische Ökonomieprofessor Gunter Pauli, der vor einigen Jahren die Stiftung Zero Emissions Research Initiatives (Zeri) gründete und das Waisenmädchen Chido als fünftes Kind adoptierte.

Chido Govera kannte ihren Vater nicht und sah mit acht Jahren ihre Mutter an Aids sterben. Ihr Onkel und Cousin missbrauchten sie. Ihre Schwester wollte sie zwingen, einen 14-Jährigen zu heiraten. Mit elf musste sie die Schule zu verlassen, um ihre blinde Oma und ihren kleinen Bruder zu ernähren. In einem von der Zeri-Stiftung finanzierten Kurs lernte sie 1996 die aus Japan stammende Kunst der Edelpilzzüchtung. „Wir waren damals 15 Waisenmädchen, und nur zwei haben nicht geheiratet, eine davon war ich. Ich wollte nicht. Es war schwer, mit elf Jahren solche Beschlüsse zu fassen. Aber mein Spirit half mir.“

Sie wurde zu einer wahren Meisterin der Pilzzucht. Inzwischen hat sie in vier Kontinenten ihr Wissen in Workshops an rund 1.000 Personen weitergegeben. Gewinne fließen in ihr „Future of Hope Center“, das afrikanische Aidswaisen unterstützt, damit sie vor Verheiratung und sexueller Ausbeutung geschützt werden. „Wir sind keine Opfer“, ruft sie in den Saal. „Wir können unsere traurigen Geschichten in etwas Wunderschönes verwandeln!“ Und strahlt.

Auch Gunter Pauli sieht in den Edelpilzen die Möglichkeit, „den Lebensmittelmarkt ebenso radikal zu verändern, wie es die Geflügelproduzenten in den vergangenen fünfzig Jahren getan haben“. Die proteinreichen und gesunden Pilze können auf Abfällen so billig produziert werden, dass sie das für Arme unerschwingliche Fleisch ersetzen und außerdem jede Menge neue Jobs schaffen.

Das Potenzial dafür erscheint riesig: Kaffee ist weltweit eines der wichtigsten Agrarhandelsgüter, aber im Getränk verbleiben nur 0,2 Prozent des Kaffees, die restlichen 99,8 Prozent wandern als Kaffeesatz auf den Müll. Impft man das koffeinhaltige Substrat in einem etwa 18 Grad warmen, dunklen Raum mit Pilzsporen und gießt es regelmäßig, dann wachsen innerhalb weniger Wochen leckere Austernpilze und Kräuterseitlinge oder Shiitake. Die gängige Shiitake-Zucht findet hingegen auf Eichenholz statt. Ihr Ersatz durch Kaffeesubstrat rettet also auch Bäume.

Open Source hat auch kleine Nachteile

Einige der Sozialunternehmen, die Pauli und Govera weltweit anstießen, stellten sich in Madrid ebenfalls vor. Cédric Péchard etwa versorgt Pariser Restaurants mit frischen Edelpilzen, die von Behinderten gezüchtet werden. Ivanka Milenovic hat in Kroatien und in Ungarn große Pilzbetriebe aufgebaut. Und der Kaffeesatz von Bäuerinnen aus Tansania, die ebenfalls Pilze züchten, wird von einer US-amerikanischen Frauenfirma unter dem Namen „Chido’s Blend“ vermarktet.

Chido Govera teilt ihr Wissen Open Source mit allen Interessierten. Nachteil: Das macht sie schutzlos gegenüber ökonomischem Missbrauch. Der gesamte Kongress distanzierte sich vom deutschen Zweig der Blue Economy, weil er das Wissen von Chido und anderen „durch Lizenzen und Zertifizierungen“ kommerziell ausbeute. Der 36-jährige Philipp Buddemeier, der für McKinsey früher Scheichs in Dubai beriet und nun die Berliner Firma „Chido UG“ leitet, hat – wie er dem Slow Food Magazin sagte – eine „von uns entwickelte und perfektionierte Anbaumethode“ zum Patent angemeldet. Für einen Dreitagekurs kassiert er 475 Euro. In einem der taz vorliegenden Brief fordert Chido Govera die Berliner deshalb eindringlich auf, ihre Kenntnisse nicht länger auszubeuten und jede Erwähnung ihres Namens zu streichen. Anders als auf der Website von „Chido’s Mushrooms“ behauptet, hätten weder sie selbst noch ihre Hilfsprojekte jemals von deren Gewinn profitiert. Sie fühle sich einmal mehr in ihrem Leben missbraucht. Ein Mitarbeiter bestätigte in einem Antwortbrief nach Simbabwe alle Vorwürfe und kündigte seinen Rückzug aus der Firma an.

Firmenchef Buddemeier war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. An seiner statt drohte Anne-Kathrin Kuhlemann, Mitgesellschafterin von „Chido’s“, rechtliche Schritte gegen alle an, die „Verleumdungen“ verbreiten – also auch Chido Govera und der taz. Sie verzichtete jedoch darauf, die angeblichen Verleumdungen zu widerlegen, da ihnen eine „einvernehmliche Unternehmensstrategie zwischen den Gesellschaftern“ – einschließlich Govera – am Herzen liege.

Beschäftigte von „Chido UG“ haben übrigens auch im taz-Café jeden Morgen Biokaffeesatz für ihre Pilzzucht abgeholt. Sigrid Renner vom taz Café hat aber nach Bekanntwerden der Vorwürfe die Zusammenarbeit eingestellt.