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Archiv-Artikel

„Mösenbonus. Na und?“

GESANG Bernadette La Hengst und ihre Band Die Braut haut ins Auge waren die Mädchenklasse der Hamburger Schule. Als Erwachsene schreibt sie nun Lieder und Theaterstücke. Ein Gespräch über weibliche Vorbilder, Pussy Riot und die Verherrlichung des Künstlerprekariats

Bernadette La Hengst

■ Gut geschafft: Bernadette La Hengst (44) ist Musikerin, Theaterregisseurin und Aktivistin. Anfang der 1990er gründete sie Die Braut haut ins Auge, die einzige Frauenband der Hamburger Schule.

■ Drangeblieben: Seit deren Auflösung im Jahr 2000 macht sie allein weiter. In diesem Jahr schrieb sie die Musik für das Stück „Planet der Frauen“ am Theater Freiburg und 2011 inszenierte sie am Thalia Theater Hamburg zusammen mit Schülern von Integrationskursen „Integrier mich, Baby“.

■ Neu gemacht: Gestern erschien das gleichnamige Album. Es ist ihre vierte Soloplatte. Die im sonntaz-Gespräch abgedruckten Lyrics stammen aus diesem Album.

INTERVIEW ANNE FROMM FOTO DAVID OLIVEIRA

Ein sonniger Septembermorgen in Berlin-Mitte. Bernadette La Hengst öffnet ihre Wohnungstür: rotes Kleid, blonde Haare, blaue Augen – eine attraktive Frau. Neben ihr steht ihre achtjährige Tochter Ella in einem alten, labbrigen Fanshirt der Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen.

sonntaz: Schönes T-Shirt. Ist das Ihre Art der musikalischen Früherziehung, Frau La Hengst?

Bernadette La Hengst: Ja, das ist toll, oder? Das ist ein original Fanshirt aus den Neunzigern, das ich früher anhatte. Ella liebt es. Wir hören viel Musik zusammen. Die Beatles fand sie immer schon gut. So langsam fängt sie an, einen eigenen Musikgeschmack zu entwickeln. Eine Freundin hat ihr Adele gezeigt. Die findet sie super.

Bevor das Gespräch beginnt, führt La Hengst stolz durch ihre Wohnung: drei Zimmer, Altbau, hohe Decken, große Fenster. Das Beste an dieser Wohnung, sagt sie, sei das Musikzimmer. Darin stehen ihre Plattensammlung, mehrere Gitarren, Keyboards, Flöten und ein großer Schreibtisch. „Und in der Mitte hab ich noch genug Platz zum Tanzen.“ Hier sind die meisten Stücke für ihr neues Album, „Integrier mich, Baby“, entstanden. Eines davon ist „Ich bin drüber weg“. Es behandelt die Ansprüche an und das Selbstverständnis von Frauen heute: „Ich bin die Schönheit und die Subversion. Ich bin Erotik und die Reproduktion. Ich bin mehr Sex als eine Maschine und die Romantik im Getriebe.“

Sie singen, Frauen können alles, Frauen dürfen alles, Frauen sollen alles. Wäre die Welt ein besserer Ort, wenn Frauen mehr zu sagen hätten?

Keine Ahnung, wir haben es ja noch nie ausprobiert. Ich glaube nicht, dass Frauen die besseren Politikerinnen oder Managerinnen sind, aber wir sollten es mal darauf ankommen lassen. Frauen haben eine andere Art von Kommunikation und sozialer Intelligenz. Das beobachte ich in der Politik, bei Freundinnen, bei den Mädchen in der Schule, und das habe ich auch in unserer Band immer gesehen.

Frauenbands funktionieren anders als Männerbands?

Auf jeden Fall. Das Hauptproblem in Männerbands ist die Hierarchie. Die reden da einfach nicht drüber. So war das auch bei vielen Hamburgern, die zeitgleich mit uns Musik gemacht haben. Irgendwann brach die Band auseinander, und alle standen ratlos vor dem Scherbenhaufen. Dabei lag das Problem auf der Hand: Es gab den Chef, der verhielt sich chefmäßig, und alle anderen litten darunter.

Und in Ihrer Band Die Braut haut ins Auge gab es keine Hierarchie?

Doch, natürlich. Aber bei uns war das ausgefochten. Wir haben uns darüber richtig gezofft und uns dann wieder vertragen. Damit war das Thema ausgesprochen.

Anfang der Neunziger entstand in den USA die Riot-Grrrl-Bewegung: eine feministische Subkultur mit Wurzeln in der Hardcore-Punk-Szene. Dazu gehörten Bands wie Bikini Kill, L7 und Hole. Etwa zeitgleich habt ihr, fünf Mädchen aus Hamburg, Die Braut haut ins Auge gegründet. Wolltet ihr auf diese Weise die Riot Grrrls nach Europa bringen?

Bikini Kill und Hole fanden wir super, aber die waren stilistisch viel härter als wir. Uns war von vornherein klar, dass wir in eine poppigere Richtung gehen wollten. Wir haben Musik gemacht, weil wir Lust darauf hatten. Es war nicht unser Anspruch, feministische Vorreiterinnen zu sein oder jemandem den Weg zu ebnen. Wir haben uns unseren eigenen Weg geebnet.

In den deutschen Top 20 der Single-Jahrescharts im Jahr 1990 waren vier Frauen vertreten. 2011 waren neun Frauen dabei – gute Zeiten für Popfeminismus?

Ich nehme auf alle Fälle wahr, dass es mehr Songschreiberinnen gibt als früher. Aber ich beobachte auch oft, dass diese Songschreiberinnen einem vorgefertigten Bild entsprechen: Schöne Mädchen singen leidend von Herzschmerz und Liebe. Mehr haben sie leider oft nicht zu erzählen. So pauschal lässt sich das aber nicht sagen. Es gibt natürlich Ausnahmen. Beth Ditto, die Sängerin von Gossip, zum Beispiel. Als ich die vor sechs Jahren entdeckt habe, hat mich das wahnsinnig beeindruckt. Sie ist dick, lesbisch, hat unrasierte Achseln und eine unglaubliche Wucht. Aber die ist mit der letzten Platte leider auch verloren gegangen.

„Die Prinzessin erlösen und in der Sonne dösen. Mein Versprechen einlösen, Körpergrenzen auflösen. Role models, rolling role models.“ (Rolling Role Models)

Warum gibt es Ihrer Erfahrung nach so wenig Mädchen, die eigene Musik machen?

Es fehlen die Vorbilder. Wenn du keine Frau auf der Bühne siehst, kommst du auch nicht auf die Idee, selber Musik zu machen. Deswegen wollte ich vor zwei Jahren in Essen im Rahmen von Ruhr 2010 für ein Theaterprojekt eine Mädchenband gründen. Das war total schwierig, weil ich fast keine Mädchen gefunden habe, die ein Instrument spielen konnten oder es lernen wollten. Wenn sie Musik machen wollten, dann wollten sie die Hits aus den Charts singen. Auf die Idee, dass ihre Geschichten und Ideen es wert sein könnten, musikalisch erzählt zu werden, sind sie gar nicht gekommen. Dafür fehlte ihnen das Selbstbewusstsein.

Was ist aus der Mädchenband geworden?

Ich habe dann in Jugendzentren doch ein paar Mädchen gefunden, mit denen ich sieben Lieder geschrieben und aufgenommen habe.

Gerade in der elektronischen Musik kamen vor gut zehn Jahren Musikerinnen wie Peaches, Le Tigre und die Chicks on Speed auf, die ihre feministischen Anliegen sehr sexy zur Schau stellen. Sie haben über diese Musikerinnen mal geschrieben: „Der Körper soll unsere Maschine sein, der unsere Ideen hindurchleitet.“ Brauchen Frauen mehr Inszenierung und Körpereinsatz, um ihre Botschaften zu vermitteln, als Männer?

Ich weiß nicht, ob es das unbedingt braucht, aber es ist auf jeden Fall eine sehr erfolgreiche Strategie. Das sieht man ja im Moment zum Beispiel bei Pussy Riot und bei den Femen-Gruppen in der Ukraine. Die spielen mit ihrer Weiblichkeit, auch wenn Pussy Riot behaupten, dass jeder, der sich ihre Strumpfmaske aufsetzt, ein Teil ihrer Bewegung ist.

Damit öffnen sie die Bewegung auch für Männer.

Stimmt. Aber spätestens wenn ihnen im Gerichtssaal die Masken abgezogen werden, sind sie wieder als Frauen erkennbar. Die Medien berichten darüber, wie hübsch sie sind und dass sie Mütter sind. Da spielt ihre Weiblichkeit wieder eine große Rolle. Ohne diese bewusste Inszenierung ihrer Körper hätten sie doch gar nicht so eine große Präsenz. Und das finde ich wirklich super, ich sehe da eindeutig Parallelen zu den Riot Grrrls Anfang der Neunziger.

Wie wichtig war Inszenierung und Körpereinsatz seinerzeit für Die Braut haut ins Auge?

Wir haben am Anfang oft zu hören bekommen, wir hätten den Mösenbonus. Na und? Männer stellen eben andere Dinge zur Schau: ihre Gitarrenhaltung als Quasi-Schwanzverlängerung zum Beispiel. Bikini Kill hat Anfang der Neunziger mal ein Konzert oben ohne nur für Frauen gespielt. Das fanden wir großartig. Männer dürfen sich, wenn ihnen auf der Bühne heiß ist, doch auch das Shirt vom Leib reißen. Wieso sollten wir das nicht auch tun? Körpereinsatz hat zwei Seiten: Wenn er dafür sorgt, dass eine Botschaft mehr Gehör findet, ist das super. Andererseits sollten Frauen mit ihrem Körper genauso selbstverständlich und normal umgehen dürfen wie Männer.

Sind Sie Feministin?

Ja, auf jeden Fall.

Und was bedeutet das für Sie konkret?

Zu wissen und wertzuschätzen, dass ich machen kann, was ich möchte, weil andere Frauen und Künstlerinnen vor mir diesen Weg geebnet haben. Und gleichzeitig die Verantwortung, dieses Selbstvertrauen auch an meine Tochter weiterzugeben.

„We are the queer generation and I feel fine.“ (Rolling Role Models)

Wie erziehen Sie Ihre Tochter in Hinblick auf Geschlechtsrollen?

Ich glaube nicht an feste Geschlechtsrollen. Ich konnte schon als Kind nichts mit dem typischen Mädchendasein anfangen, sondern wollte lieber ein Junge sein. Ich bin von zu Hause abgehauen, durch das Land getrampt, habe Musik gemacht, ohne mir darüber Gedanken zu machen, ob mir diese Rolle zusteht oder nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich zwei ältere Brüder habe, vielleicht aber auch daran, dass mein Vater mich immer ermutigt hat, die Dinge zu machen, auf die ich Lust hab. Statt mir das Trampen zu verbieten, hat er mir das Selbstvertrauen gegeben, so zu trampen, dass mir nichts passiert. Das gebe ich jetzt auch an meine Tochter weiter: Vertrau auf dich selbst, und mach das, wozu du Lust hast.

Darf Ihre Tochter rosa Klamotten tragen und mit Puppen spielen?

Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Am Anfang habe ich ganz strikt darauf geachtet, dass sie keine rosa Klamotten trägt. Aber dann hat sie so sehr danach verlangt, dass ich dachte, lieber lebt sie die Rosa-Phase jetzt aus, als in ein paar Jahren. Und so kam es auch. Zwei Jahre lang musste alles rosa sein, jetzt nicht mehr. Barbiepuppen bekommt sie bei mir nicht, dafür aber bei ihrem Vater. Ich hab ihr erklärt, was ich daran blöd finde, und das hat sie verstanden.

„Bist du Verwalterin und Akrobat? Bist du das Original und das Zitat? Bist du im Politischen auch privat? Und was ist deine eigene Art?“ (Deine eigene Art)

In dem Song „Deine eigene Art“ rufen Sie zur Individualisierung auf. Was ist Ihre eigene Art?

Meine Art ist, Lieder zu schreiben, die große Politik auf die Liebesbeziehungen ins Kleine übertragen und dadurch eine Sehnsucht ausdrücken, die jeder nachvollziehen kann. Ich bin Künstlerin, meine Sehnsucht ist mein größtes Kapital. Meine Art ist es, leidenschaftlich Musik zu machen, mich einzumischen, an die Veränderung zu glauben.

Was würde die 20-jährige Bernadette der heutigen sagen? „Herzlichen Glückwunsch“ oder „Schäm dich“?

Sie würde fragen: Warum wohnst du hier allein mit deiner Tochter in einer Dreizimmerwohnung? Wie spießig ist das denn!? Und das würde nicht nur sie fragen, das denke ich auch manchmal selbst. Ich würde lieber in einem großen Haus mit vielen Leuten wohnen, die engen Kontakt haben. Ein bisschen ist das hier so, weil das ein Genossenschaftshaus ist. Und die 20-jährige Bernadette würde sagen: Mach dich mal locker, leg mal die Füße hoch und arbeite weniger.

„Ich will doch nur ein Happy End, in dem muss ich nie mehr arbeiten. Ich könnte einfach liegen bleiben und schlafen.“ (Happy End)

Das Motiv „Bedingungsloses Auskommen statt Arbeit“ kommt auf allen Ihren Platten und in Ihren Theaterstücken vor. Dabei sind Sie so umtriebig und arbeiten so viel. Ist die Arbeit so belastend für Sie?

Die Frage ist doch, wie man „Arbeit“ definiert. Ich würde nie aufhören wollen, das zu machen, was ich jetzt mache. Mir geht es eher um die Entkoppelung von Arbeit und Lohn. Wir sind alle in demselben Hamsterrad und definieren uns über unseren Job. Der ist aber nur etwas wert, wenn er gut bezahlt ist. Mich beschäftigt die Frage, was Arbeit ist.

„Ich glaube nicht ans Geld, ich glaub an uns und unsere kreative Depression.“ (Grundeinkommen Liebe)

An die kreative Depression kann man leicht glauben, wenn man genug Geld hat, die Miete zu bezahlen. Romantisieren Sie das prekäre Künstlerdasein damit nicht?

Nein, im Gegenteil, ich klage an. Berlin kann sich nur „arm, aber sexy“ nennen, weil es die kreative Depression vieler Leute ausbeutet. Die Gesellschaft braucht die Kreativität, um sich weiterzuentwickeln. Und trotzdem ist sie ihr – zumindest monetär – so wenig wert. Wie viele Künstler machen seit Jahren Kunst, bekommen dafür aber nicht genug Geld um überleben zu können?! Deren Selbstwertgefühl ist bei null, nur weil sie für ihre Arbeit kein Geld bekommen. Aber sie schaffen doch etwas, und damit meine ich auch den immateriellen Wert ihrer Kunst.

Können Sie von Ihrer Kunst leben?

Ja, zum Glück. Trotzdem muss ich manchmal Aufträge annehmen, auf die ich wenig Lust habe.

„Und ich warte und ich warte und ich warte auf das träge Glück. Doch solange ich nur warte, komm ich hier nicht weg. Und ich suche und ich suche und ich suche nach dem trägen Glück. Ich suche keine Krümel von dem Kuchen, sondern das allergrößte Stück.“ (Das träge Glück)

Sie warten auf das träge Glück. Wie sieht das aus?

Das Warten ist natürlich Ironie. Mein Glück besteht darin, mir jeden Tag wieder zu überlegen, was mich glücklich macht. Arbeite ich mit Leuten zusammen, die mir guttun? Kann ich mein Leben sinnvoll gestalten? Zweimal im Jahr gönne ich mir eine Pause und überlege, was ich in den nächsten Monaten erreichen möchte. Je älter ich werde, desto zielgerichteter werde ich. Früher habe ich viel mehr Umwege genommen und Haken geschlagen.

Erreichen Sie das, was Sie sich vornehmen?

Ja, in diesem Jahr hat das gut geklappt. Ich hatte mir zu Jahresbeginn vorgenommen, meine Platte fertig zu machen und einen Förderantrag für ein eigenes Theaterstück zu schreiben. Beides ist gelungen.

„Ich will doch nur ein Happy End, in dem alle Fiesen lernen. Und Verlierer zu Gewinnern werden, das wäre doch ein Happy End.“ (Happy End)

In Ihren Theaterstücken inszenieren Sie oft mit Laien und sozialen Randgruppen: Hartz-IV-Empfängern, Obdachlosen, jugendlichen Strafgefangenen. Warum machen Sie das?

Theater ist für mich die Uni, die ich nie besucht habe. Mich interessiert, wie Gesellschaft funktioniert, und dazu gehört, wie eine Gesellschaft mit ihren Marginalisierten umgeht.

Für wen machen Sie das? Glauben Sie, damit etwas verändern zu können?

Ich bin nicht an Langzeitigkeit interessiert, oder besser gesagt: Ich gucke nicht auf das Resultat. Das ist mir zu abstrakt und weitläufig. Ich glaube, wenn man überall kleine Lichtstrahlen aussendet, wird das schon einen Effekt haben und etwas bewegen. Unser Projekt mit den jugendlichen Strafgefangenen zum Beispiel hat bewirkt, dass sie im Knast jetzt ein Studio und Instrumente haben. Die Obdachlosen, mit denen ich am Theater Freiburg zusammengearbeitet habe, können jetzt noch kostenlos die Vorstellungen besuchen. Deren Leben hat dieses Projekt enorm verändert.

Funktioniert Protest auf der Bühne besser als auf der Straße?

Es geht mir nicht nur um Protest oder die immer ewige Opposition „Wir gegen den Staat, wir gegen das System“. Das ist Heuchelei, schließlich finanziere ich viele meiner Projekte durch staatliche Zuschüsse. Mir geht es eher um Partizipation und darum, die Leute zu animieren, sich einzumischen. Nur so kann sich die Gesellschaft weiterentwickeln.

„Wir sind alle nur Material, und wir fließen weit davon im großen Menschwerdungskanal.“ (Deine eigene Art)

Anne Fromm, 26, schreibt häufig über Pop und stellt immer wieder fest, dass auch der Musikjournalismus männlich dominiert ist