: Keiner von uns? Zum Fall Burak B.
Eine Initiative kämpft für die Aufklärung des Mordes an Burak B. Sie fordert Konsequenzen aus den NSU-Morden bei der Polizei – aber auch bei der weißen Linken
■ Freitag 5. Juni Kundgebung für die Aufklärung des Mordes an Burak B. „War das Mordmotiv wieder Rassismus?“: Vor über 3 Jahren wurde Burak B. ermordet. Noch immer gibt es keinerlei Ermittlungsergebnisse. 15 Uhr, Rathaus Neukölln.■ Unterstützungsangebote für ein Mahnmal am Tatort an denkmal-fuer-burak@riseup.net. Informationen auf burak.blogsport.de.
Es ist der 5. April 2012. Fünf Monate nach der Selbstenttarnung des NSU schießt ein weißer Mann in Rudow, Neukölln, auf eine Gruppe junger Männer of Colour*; wahllos, wortlos und verschwindet unerkannt in die Nacht. Jamal A. und Alex A. werden lebensbedrohlich verletzt, der 22-jährige Burak B. tödlich getroffen. Bis heute ist der Täter unbekannt.
Kurz darauf diskutiert Rona Torenz den Fall mit einem Freund. Zunächst ist die weiße Antifa-Aktivistin skeptisch, als der Parallelen zu den NSU-Morden sehen will. Dass man aber zumindest auf rassistische Motive hin prüfen muss, da ist sie sich sicher, „besonders als Lehre aus dem NSU“, erzählt sie. Gemeinsam gründen sie die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B. Parallelen und Hinweise sehen sie zur Genüge: dass der Täter ohne vorherigen Kontakt auf die jungen Männer schießt, dass es kein Bekennerschreiben gibt und somit die Tat für sich selbst steht, dass ein paar Stunden vor dem Mord im Umfeld einer antifaschistischen Veranstaltung in der Nachbarschaft Neonazis gesichtet wurden. Zudem jährte sich an eben diesem Tag der Tod eines Nazifunktionärs, der 1992 nach einer Auseinandersetzung mit migrantischen AntifaschistInnen seinen Verletzungen erlag. In rechten Foren wurde immer wieder zu Rache aufgerufen.
Die Initiative nimmt Kontakt zu der Familie, zu Alex und Jamal auf. Auch die Familie ist zunächst misstrauisch, die damalige Anwältin rät davon ab, die Polizei zu verärgern. Außerdem ist da die Angst vor politischer Instrumentalisierung. Inzwischen ist der Kontakt sehr eng, und die Familie wird von Anwälten vertreten, die auch als Opferanwälte im NSU-Prozess auftreten. „Dadurch können wir den Fall politisieren und darauf hinweisen, dass Rassismus, auch in den Polizeibehörden, eine Rolle spielt“, so Rona. Zwar wurde auch in der rechten Szene ermittelt, aber nicht engagiert, sondern nach Handbuch und nur in der unmittelbaren Nachbarschaft. Als Konsequenz aus dem NSU müsse aber konkret in Richtung eines rassistischen Motivs ermittelt werden und zwar bundesweit.
Auch Buraks Familie hat ihr Vertrauen in die polizeilichen Ermittlungen verloren, da sei faktisch schon lange nichts mehr passiert, und auf Nachfragen geben sich die Behörden intransparent: „Man ermittle in alle Richtungen.“ Dieses Mantra hören sie seit nunmehr drei Jahren. Selbst bei konkreten Hinweisen wurde der Ermittlungsstand nicht geteilt. Zum Beispiel als eine Frau mit aktiven Verbindungen zu Rudower Neonazis auf Facebook postet: „Nachher ZDF gucken über den Kanaken, der vor meiner Tür abgeknallt wurde, und hoffen, dass keiner Hinweise zum Täter liefert.“ Das war kurz bevor in der Sendung „Aktenzeichen XY“ über den Fall berichtet wurde. Die Frau wohnte da in derselben Straße, in die auch der Täter geflohen war. Die Initiative erstattete Anzeige, kurz darauf werden die Ermittlungen eingestellt. Bis heute warten die Anwälte auf Antworten. Wurde sie überhaupt verhört? Diese Intransparenz schürt Misstrauen in die Fähigkeiten der Polizei. „Ich wäre froh, wenn sich herausstellt, dass es am Ende kein rassistischer Mord war“, betont Rona. An ihrer Kritik an den Ermittlungsstrukturen würde das aber nichts ändern. Man erinnere sich an den Fall Khaled B. in Dresden im Januar dieses Jahres. Hier starb das Interesse ab, sobald sich herausstellte, dass der Täter nicht aus der rechten Szene kam, und die Polizeiversäumnisse rückten in den Hintergrund.
Inzwischen ist die Initiative bundesweit vernetzt: mit der Initiative Keupstraße ist überall, mit der Initiative 6. April, mit ProzessbeobachterInnen in München und mit Ibrahim Arslan, der den Anschlag in Mölln 1992 überlebte. Das müsse eben auch eine Lehre aus dem NSU sein, dass man sich solidarisch zeigt und dass sich auch die weiße Linke fragt, wo sie war, als diese Morde passierten, findet Rona. 2006 hatten in Kassel Angehörige und Freunde des ermordeten Halit Y. einen Schweigemarsch mit der Forderung „Kein 10. Opfer“ organisiert. Tausende, vorwiegend MigrantInnen, kamen auf die Straße, denn man wusste hier auch vor der NSU-Aufdeckung, worum es ging. Da sprach der Mainstream noch von „Dönermorden“, und die weiße Linke glänzte durch Abwesenheit.
Auch jetzt noch fehle es beim Thema NSU und dem Fall Burak B. an Interesse, kritisiert die Initiative. Bei der letzten Demo kamen circa 500 Teilnehmer, eine Silvio-Meier-Gedenkveranstaltungen hingegen mobilisiert Tausende. „Es gibt eben auch in der Szene eine rassistische Spaltung“, mutmaßt Rona, „Silvio war halt einer von uns“.
* Zwar würden sich die Betroffenen eher als Migranten bezeichnen, jedoch verschleiert der Begriff, dass es sich um einen rassistisch wahrgenommenen Migrationshintergrund handelt. Daher an dieser Stelle die Begriffswahl. (Anmerkung der Autorin)
SYBILLE BIERMANN