: Yen und Yuan
KINO David Cronenberg verfilmt Don DeLillo: „Cosmopolis“
VON CRISTINA NORD
Demonstranten versammeln sich in Manhattan, um gegen die Allmacht des Finanzkapitals zu protestieren. Einer geht so weit, sich anzuzünden; sein Körper steht in Flammen. Eine Limousine steckt in der Nähe des Geschehens im Stau fest. Für einige Augenblicke zieht die Selbsttötung den Mann im Innern des Wagens in den Bann. Doch es dauert nicht lang, und die Limousine ist weitergefahren, die spektakuläre Tat beinahe vergessen.
Der Mann in der Limousine heißt Eric Packer, ist 28 Jahre alt, Milliardär und Spekulant, und er ist die Hauptfigur in Don DeLillos Roman „Cosmopolis“. Das Buch erschien 2003, fünf Jahre vor dem Crash im September 2008. Wenn man es heute liest, erkennt man vieles von der Krise wieder. Deswegen passt es gut, dass der kanadische Regisseur David Cronenberg „Cosmopolis“ nun verfilmt hat. Der Vorlage gegenüber ist er treu geblieben, die Dialoge hat er streckenweise Wort für Wort übernommen.
Die Szene, in der die Selbstverbrennung stattfindet, zieht im Film noch schneller vorüber als im Buch; sie ist so unauffällig inszeniert, dass man sie fast übersehen könnte, und das ist kein Zufall: Was vor den Fenstern der Limousine vonstatten geht, berührt weder Eric Packer (Robert Pattinson), noch dringt es in den Film ein. Solange sich der Antiheld in seinem gepanzerten, nach dem Vorbild von Marcel Prousts Arbeitszimmer mit Kork ausgeschlagenen Vehikel befindet, nimmt er kaum Notiz von jener schwerfälligen Form der Wirklichkeit, die aus Fleisch und Knochen, aus Dienstleistungsjobs und aus Mietwohnungen, aus Rentenkürzungen und Entlassungswellen besteht. Das heißt aber gerade nicht, dass er in einer Fantasiewelt lebte: Indem er die Datenströme auf den vielen Displays im Wageninnern kontrolliert, ist er in einem viel größeren Maße Herr über die Wirklichkeit als all die Demonstranten auf der Straße.
„Cosmopolis“ spielt an einem einzigen Tag. Packer trotzt den Warnungen seines Sicherheitschefs, unbedingt will er einen Friseursalon auf der West Side aufsuchen, also bewegt er sich auf erratischer Bahn durch den Stau von Manhattan – eine Odyssee Richtung Kindheit, denn den Salon pflegte er zusammen mit seinem Vater zu besuchen. Während dieser Irrfahrt hält er Hof in seiner Limousine, ihn suchen Mitarbeiter auf, eine Kunsthändlerin, die zugleich seine Geliebte ist, seine Cheftheoretikerin, seine ätherische Ehefrau, ein Arzt, der ihm minutenlang im Rektum herumtastet, auf der Spur einer asymmetrischen Prostata.
Diese Asymmetrie ist ein Schlüsselbegriff für den Film, denn im Kontrast zur gedämpften äußeren Handlung gibt es einen Überschuss an Information, der Film arbeitet mit Reizentzug und Reizüberflutung zugleich. Dialogsätze fließen unablässig wie ein depersonalisierter stream of consciousness; sie kreisen, unter anderem, um den Höhenflug des Yen (im Buch) und des Yuan (im Film), um die Unverwundbarkeit der firmeneigenen Sicherheitssysteme, um die Käuflichkeit der Bilder von Mark Rothko und um die Macht der Zukunft über die übrige Zeit.
Im Lauf dieses Tages steigt der Kurs des Yuan so hoch, dass Packer ruiniert ist, er hatte auf Kurssturz spekuliert. „Ich habe den Yuan nicht verstanden“, sagt er, der normalerweise jede Kursschwankung verlässlich im Voraus berechnet. Parallel dazu hat er eine anonyme Todesdrohung erhalten, und es hat nicht den Anschein, als wolle er ihr entkommen. DeLillos und Cronenbergs Antiheld geht dem Verderben sehenden Auges entgegen.
Der Berliner Kulturwissenschaftler Joseph Vogl hat ein bemerkenswertes Buch namens „Das Gespenst des Kapitals“ geschrieben, in dem er den ökonomischen Theorien der Gegenwart das Heilsversprechen austreibt. Skeptisch blickt er auf die Vorstellung, die deregulierten Märkte hielten sich selbst im Gleichgewicht und wir alle profitierten von ihrem freien Spiel. Vogl nennt diesen Glauben „Oikodizee“. Seine Argumentation eröffnet er mit einer intensiven Lektüre von DeLillos Roman. Wenn man, wie er schreibt, in Packer eine Allegorie auf den Finanzkapitalismus erkennt, dann hat dieser Finanzkapitalismus einen mächtigen Todestrieb.
Was „Cosmopolis“ gelingt, ist eine ganze Menge. Die Asymmetrien des Films, das Nebeneinander von Überschuss und Mangel, der Todeswunsch des Protagonisten, die Art und Weise, wie sich der Film gegen die Außenwelt abschirmt und dabei den handelsüblichen Kinorealismus verweigert, all dies bildet ein Narrativ für etwas, was sich sonst meist der Erzähl- und Darstellbarkeit entzieht oder elend verknappt wird wie zuletzt in Oliver Stones „Wall Street“-Sequel. Bei DeLillo und Cronenberg werden die Aporien des gegenwärtigen Finanzsystems in eine komplexe Fiktion verwandelt, an deren Ende das, was Vogl „Oikodizee“ nennt, entzaubert ist.
Etwa zehn Minuten vor Schluss fällt ein Schuss, und ein blutiges Loch klafft in einer Hand. Vielleicht führt es zu weit zu fabulieren, dass in dieser Szene Adam Smith’ viel zitierte, unsichtbar ordnende Hand zerschossen wird. So viel aber steht fest: Die Wunde tut höllisch weh. Wirklich.
■ „Cosmopolis“. Regie: David Cronenberg. Mit Robert Pattinson, Juliette Binoche u. a. Kanada/Frankreich 2012, 112 Min.