: Mindestlöhne sind nicht kontrollierbar
BESCHÄFTIGTE In neun Branchen in Deutschland gelten mittlerweile Mindestlöhne. Doch die sind für Arbeitgeber durch einfache Tricks umgehbar. Und der prüfenden Behörde fehle Personal, kritisiert die Gewerkschaft IG BAU
MICHAEL WINKELMANN, FKS
AUS BERLIN EVA VÖLPEL
In Deutschland erhalten mittlerweile rund 2,2 Millionen Beschäftigte aus neun Branchen einen Mindestlohn. Doch es gibt viele Möglichkeiten für Arbeitgeber, diese zu umgehen – und dies aufzudecken, ist kompliziert.
Zuständig dafür ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Sie untersteht der Zollabteilung des Bundesfinanzministeriums und beschäftigt bundesweit an 113 Standorten 6.500 Mitarbeiter. Viel zu wenige seien das für die erst einige Jahre alte Aufgabe Mindestlohnkontrolle, findet Klaus Wiesehügel, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Er forderte Ende letzter Woche 4.800 weitere Zollkontrolleure. „Wenn die Mindestlöhne effizient überwacht werden sollen, führt an zusätzlichem Personal kein Weg vorbei“, sagte Wiesehügel. Allein im Baugewerbe habe man es jährlich mit rund 60.000 Baustellen zu tun und täglich würden bis zu vier Millionen Gebäude geputzt.
„Mindestlohnkontrollen sind immer ein Teil der Schwarzarbeitskontrollen“, erklärt Michael Kulus, Sprecher des Berliner Hauptzollamtes. „Wir kontrollieren zudem, ob Steuern gezahlt werden, eine Aufenthaltsgenehmigung vorliegt oder ein Gewerbe angemeldet ist.“
Bei der FKS geht man anonymen Hinweisen nach oder führt Stichprobenkontrollen durch. „Aber wenn sie die Geschäftsunterlagen eines Unternehmens prüfen, bekommen sie oft nur das zu sehen, was sie sehen sollen“, sagt Kulus.
2008 befragte die FKS in Berlin 20.000 Arbeitnehmer und prüfte 3.700 Unternehmen. Wie viele Mindestlohnverstöße aufgedeckt wurden, darüber liegen keine gesonderten Angaben vor. 2008 verschaften Zahlen der Sozialkasse des Berliner Baugewerbes einen ersten Eindruck: Nach der Auswertung von Daten zu Arbeitszeiten und Löhnen schätzte die Kasse, dass mindestens jeder dritte der rund 1.800 mittelständischen Baubetriebe in Berlin den Mindestlohn nicht zahle. Bei solchen Verstößen droht Arbeitgebern ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro.
„Getrickst wird vor allem über fingierte Stundenaufzeichnungen“, erklärt Michael Winkelmann, Bereichsleiter der FKS Berlin. Mehr Hinweise, wie man Arbeitgebern auf die Schliche kommt, will er nicht geben.
„Zum Teil müssen Beschäftigte Blankounterschriften abliefern, dann trägt der Chef nachträglich statt 55 geleisteter Arbeitsstunden 40 ein“, wird Frank Schmidt-Hullmann, Sprecher der IG BAU, deutlicher. Im Baugewerbe und bei den Gebäudereinigern seien Mindestlohnverstöße besonders häufig.
Während man auf dem Bau vor allem über Arbeitszeiten trickse, geschehe es bei den Gebäudereinigern über die Fläche. „Beschäftigte bekommen einen neuen Arbeitsvertrag, die zu reinigende Fläche wird größer, obwohl es nicht zu schaffen ist“, erklärt Peter Riedel, Fachreferent für die Gebäudereinigung bei der IG BAU. Ein Problem ist, dass es keine allgemein anerkannten Richtwerte gibt, welche Flächen in welcher Zeit realistisch geputzt werden können. Derzeit erarbeitet die IG BAU dafür Empfehlungen.
Doch wären allein mit mehr Zollbeamten effektivere Kontrollen für den größer gewordenen Aufgabenbereich möglich? 2008 monierte der Bundesrechnungshof in einem Bericht, dass die vorgegebene Außendienstquote von 50 Prozent von den FKS-Mitarbeitern „deutlich verfehlt“ werde. Die als „Regelfall gedachte Prüfung am Ort der Leistungserbringung war in der Praxis die Ausnahme“, stellten die Rechnungsprüfer fest. Im Klartext heißt das: Zu viele Zollbeamte sitzen im Büro, statt vor Ort zu kontrollieren. Der Bericht führt auch aus, dass in strukturschwachen Regionen wie Schwedt oder Oderberg ein Personalüberhang bestehe – während in strukturstarken Gebieten wie Großstädten schlichtweg Personal fehle.