: Der schwäbische Pflasterstein
STUTTGART 21 Hunderte Verletzte durch Wasserwerfer, Pfefferspray und Polizeiprügel. Doch die baden-württembergische Landesregierung beharrt darauf, dass die Gewalt im Schlosspark von „aggressiven Demonstranten“ ausgegangen ist. In Wahrheit flogen statt der behaupteten Pflastersteine bloß Kastanien
STUTTGART taz | Steinwürfe, Reizgas, Barrikadenbauten, Angriffe auf Polizeifahrzeuge: Die baden-württembergische Landesregierung bemüht sich, die Demonstranten im Schlosspark gegen das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ zu kriminalisieren. Doch Augenzeugen und Demonstrationsteilnehmer sagen: Es flogen keine Pflastersteine, wie vom baden-württembergischen Innenministerium am Donnerstagabend zunächst behauptet, sondern Kastanien. Niemand habe Reizgas eingesetzt. Jugendliche hätten einen Polizei-Lkw bestiegen. Die Bänke eines Biergartens seien benutzt worden, um sich vor einem Wasserwerfer-Strahl zu schützen. Und es sei vereinzelt zu Flaschenwürfen gekommen, doch Umstehende hätten das Werfen sofort unterbunden.
Bei dem Polizeieinsatz waren zwischen 130 (Behördenangaben) und etwa 400 (Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21) Menschen verletzt worden, darunter viele Jugendliche. „Wir haben im Augenblick keinerlei Anhaltspunkte für Fehlverhalten der Polizei“, sagte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) gestern. Die Einsatzkräfte seien von der Aggressivität der Demonstranten entsetzt gewesen. „Wenn sich Mütter mit Kindern der Polizei in den Weg stellen, dann müssen sie eben auch mit körperlicher Gewalt weggebracht werden“, sagte er weiter. Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf erklärte den Wasserwerfereinsatz – den ersten seit Jahrzehnten in Stuttgart – zu einer angenehmen Dusche: Unter den Planen und Regenschirmen hat man es vor dem Wasserwerfer „schon aushalten“ können, sagte er.
Baden-Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner warf den Demonstranten vor, selbst daran schuld zu sein, dass so viele Kinder verletzt wurden: „Es kann nicht sein, dass Kinder in einer solchen Demonstration bewusst nach vorne geschoben werden“, sagte sie.
Dagegen halten Demonstrationsteilnehmer, das Aktionsbündnis, Gewerkschafter und die Oppositionsparteien im Land und im Bund. „Politik in Rambo-Manier“, nannten SPD und DGB den Polizeieinsatz. Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von einer „brutalen Bulldozer-Politik“. Es „ist eine skandalöse Art und Weise, Schüler und ältere Damen mit Pfefferspray zu besprühen“, sagte er. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) warf der CDU in der taz vor, sie wolle die Protestbewegung spalten.
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