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Archiv-Artikel

Und was noch alles zu sagen ist

RAF-GOSSIP Großspurig angekündigt, kein Erkenntnisgewinn: Anja Röhls Erinnerungen an ihre einstmalige Stiefmutter Ulrike Meinhof

Eigentlich sollte das Buch den Titel „Die Mutter meiner Schwestern“ tragen. Dass über Anja Röhls Erinnerungen an Ulrike Meinhof nun „Die Frau meines Vaters“ steht, ist einem langwierigen und bizarren Rechtsstreit zwischen den Zwillingen Meinhoffs auf der einen und deren Halbschwester Anja Röhl und dem Hambuger Verlag Edition Nautilus auf der anderen Seite geschuldet. Im Ergebnis des Streits wurde nicht nur der Titel verändert. Im Buch sind auch all die Stellen geschwärzt, die Aussagen über die beiden Kinder der Mitbegründerin der Roten Armee Fraktion beinhalteten.

Anja Röhl, die 1955 geborene Tochter des Publizisten und Konkret-Gründers Klaus Rainer Röhl, beschreibt in dem Buch ihre Jugend in den 1950er und 60er Jahren. Im Arbeiterviertel Hamburg-Barmbek herrscht noch die Dumpfheit der Nachkriegszeit. Die Mutter, als Alleinerziehende geächtet, ist erst spät am Abend zu Hause. Der Vater ist Zyniker, ist übergriffig und manipulierend, er wird aber von der linken Schickeria in Hamburg hofiert. Als sie fünf Jahre alt ist, stellt ihr der Vater Klaus seine neue Freundin vor: Ulrike Meinhof. Für das Kind ist die spätere Terroristin die einzige Erwachsene, die es wirklich versteht, bei der es keine Angst haben muss vor Strafe und bei der es sich zugehörig fühlt. So weit, so einfach.

Anja Röhl hat schon einmal für gehöriges Aufsehen gesorgt. Vor drei Jahren, in einem langen Interview mit der Illustrierten Stern. Darin warf sie ihrem Vater einen jahrelangen Missbrauch vor. „Einen der wichtigsten Männer, die offen Pädophilie propagiert haben, habe ich in der eigenen Familie gehabt, er heißt Klaus Rainer Röhl und war mein Vater. Er lebt noch, aber der Satz ‚Er ist mein Vater‘ will mir nicht über die Lippen“, gab Anja Röhl zu Protokoll.

In „Die Frau meines Vaters“ knüpft Anja Röhl an diese Vorwürfe an. „Langsam wandern seine Hände unter die Bettdecke“, schreibt sie, „sie wandern unter ihr Nachthemd, so wie man kein Kind berührt … Sie gibt keinen Laut von sich. Ungestört kann er sie nun betasten, am Bauch, an den Hüften und über ihre noch unterentwickelte Brust.“

In einem offenen Brief an den Stern warf der beschuldigte Vater seinerzeit alle Vorwürfe zurück: „Die Gründe für die Verleumdungen liegen, denke ich, nur zum kleineren Teil in der Tatsache, dass Anja Röhl ein Buch schreibt und sich durch die aktuelle Missbrauchsdebatte sicher auch für dieses Projekt Aufmerksamkeit erhofft.“ Der eigentliche Hintergrund sei ein politischer, so Papa Röhl: „Es geht um die Weißwaschung der RAF-Ikone Ulrike Meinhof. Seit Mitte der siebziger Jahre bemüht sich Anja Röhl um die Rehabilitierung der RAF, deren Mitglieder sie als mutige Kämpfer für eine andere, gerechtere Welt missversteht. Besonders engagiert kämpft Anja Röhl für die posthume Heldenverehrung der Ulrike Meinhof, als deren ideologische Nachlassverwalterin sie sich wähnt.“

Auch Bettina Röhl fand ebenfalls harte Worte. In einem Zeitungsinterview warf sie der Halbschwester vor: „Hier wird Trittbrettfahrerei im Angesicht eines öffentlichen Diskurses über Pädophilie betrieben, die finde ich abscheulich. Ich stehe weder als ‚Terroristentochter‘ noch als ‚Pädophilentochter‘ für die Phantasien der einen und die Phantasien der anderen Seite zur Verfügung.“

Die Lektüre von „Die Frau meines Vaters“ macht es nicht einfacher, sich in diesem Familienstreit mit sicherlich heftigen Verletzungen bei allen Beteiligten auf die eine oder die andere Seite zu schlagen. Festhalten lässt sich aber entgegen allen Ankündigungen: Um Ulrike Meinhof geht es nur an zweiter Stelle.

WOLFGANG GAST

Anja Röhl: „Die Frau meines Vaters. Erinnerungen an Ulrike“. Edition Nautilus, Hamburg 2013, 160 Seiten, 18 Euro