: Deutschland will kein Billiglohnland sein
KONJUNKTUR Die Bundesregierung hält höheres Salär für nötig, um die Binnennachfrage zu stärken
RAINER BRÜDERLE, FDP
VON HANNES KOCH
Für höhere Löhne und mehr Investitionen in Deutschland setzt sich neuerdings die Bundesregierung ein. Dieser wirtschaftspolitische Sinneswandel markiert eine Relativierung ihrer bisherigen Strategie, Wachstum vor allem durch hohe Exporte zu erreichen. Vor der Tagung des Internationalen Währungsfonds an diesem Wochenende in Washington reagiert die Regierung damit auf Kritik an der Exportstärke der deutschen Wirtschaft. Deutschland überschwemme die Welt mit seinen Ausfuhren und schädigt damit andere Länder.
Diese These vertreten seit geraumer Zeit die französische und die US-Regierung. Die starke deutsche Exportwirtschaft trage damit zu „weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten“ bei. Deutsche Exporte verdrängen auf den internationalen Märkten beispielsweise italienische Produkte, wodurch der Mittelmeerstaat Probleme bekommt und sich zunehmend verschuldet.
Dieses Argument ist aber nicht nur gegen Deutschland gerichtet, sondern mehr noch gegen China und Japan. Deswegen hat die US-Regierung beim Gipfel der mächtigsten Wirtschaftsnationen (G20) 2009 einen „Rahmenplan für ausgeglichenes Wachstum“ durchgesetzt. Darauf reagiert nun das Bundesfinanzministerium mit einem 15-seitigen Papier. Neu daran: Während die Bundesregierung die Argumente der Gegenseite früher im wesentlichen zurückwies, nimmt man sie nun ernst und lässt auch Zugeständnisse erkennen.
Zum einen räumen die Mitarbeiter von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein, „dass die realen Arbeitnehmerlöhne zwischen 2000 und 2008 in Deutschland gefallen sind“. Die Exporte wurden damit relativ billiger gegenüber Produkten anderer Staaten. „Hier zeichnet sich jedoch eine Trendwende ab“, schreibt das Ministerium, „so sind die Löhne im zweiten Quartal 2010 im Vorjahresvergleich um real 2,3 Prozent gestiegen.“
Dass dies mehr ist als eine Beschreibung, zeigen Äußerungen von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Er begrüßte, dass die Löhne in deutschen Unternehmen angehoben würden – eine für liberale Wirtschaftspolitiker seltene Aussage. Brüderles Begründung: „Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich.“
Zweitens plädiert das Finanzministerium dafür, dass die bislang niedrigen privaten und öffentlichen Investitionen steigen sollen. Auch dies ist ein Mittel, um die Fixierung auf den Export zu verringern. „Die Strukturreformen der Bundesregierung zielen darauf ab, Investitionen im Inland attraktiver zu machen.“
Ökonom Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie (IMK) betrachtet die Äußerungen als „deutliche und richtige Akzentverschiebung“. Allerdings fragt Horn, wo die praktischen Konsequenzen blieben. Nähme die Regierung ihre eigenen Erkenntnisse ernst, müsste sie beispielsweise versuchen, so Horn, Investionen in den Ausbau von Stromleitungen steuerlich zu erleichtern.