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Archiv-Artikel

Väter auf Zeit gesucht

Weil sie in der verkopften Schule von Heute benachteiligt sind, brauchen Jungs Erfolgserlebnisse, sagt Frank Beuster, Autor des Buches „Die Jungenkatastrophe“. Der Hamburger Lehrer sucht Männer, die als Paten ihre Freizeit mit Jungen verbringen

FRANK BEUSTER ist Lehrer in Bergstedt, Unidozent und Autor von „Die Jungenkatastrophe“ (Rowohlt, 8,90 )

INTERVIEW: KAIJA KUTTER

taz: Herr Beuster, Sie sind Lehrer in Hamburg und haben ein Buch über die „Jungenkatastrophe“ geschrieben. Steht es so schlimm um unsere Jungs?

Frank Beuster: Nicht alle Jungs haben es schwer. Aber es gibt viele Jungen, für die spielt sich schon sehr früh eine wirkliche Katastrophe ab, die ihre Zukunft bedroht. Weil wir als Gesellschaft Anforderungen stellen, die sie nicht erfüllen können, haben sie schon in der Grundschule das Gefühl, ich bin nicht gut genug, man mag mich nicht.

Welche Anforderungen?

Stillsitzen, Ordnung halten, zuhören. Die Anforderungen sind sehr hoch, die Jungs kommen nicht mehr nach. Früher gab es viel mehr Möglichkeiten für die Jungs zu punkten. Die konnten sich sagen, ich hab zwar keine super Schrift, aber klettere ganz toll. Die Schule wurde verkopft und der Bereich der geforderten Fähigkeiten immer mehr eingeengt. Das Sinn entnehmende Lesen zum Beispiel ist eine unabdingbare Qualifikation für die Wissensgesellschaft. Das verlangt aber frühes Training und Stillsitzen. Jungs haben aber durch das Testosteron einen stärkeren Bewegungsdrang.

Aber die meisten Jungs können doch lesen.

Sie können es. Sie üben es nur so selten. Das führt zu weniger Leseerfolg. Viele Jungs haben nicht so viel Interesse, sich in eine Erfahrungswelt, die nur in Worten aufgeschrieben ist, entführen zu lassen. Würden sich mehr von der realen Welt, von Natur, realen Gegenständen und Bildern beeindrucken lassen. Weil das fehlt, fahren sie so auf Computer ab, wo Realität zumindest in bewegten Bildern dargestellt wird.

Also ist Schule nicht jungsgerecht?

Ja. Schule ist eher so gestaltet, dass Mädchen dort klarkommen. Zudem gibt es dort einen deutlichen Männermangel. Ein Mann kommt oft nur als Rektor vor. Und leider werden die rein kognitiven Anforderungen verschärft. Durch den zwölfjährigen Weg zum Abitur und die Vergleichsarbeiten wird Lernen verdichtet. Die Lehrer müssen die Kinder bestmöglich auf die Prüfungen vorbereiten, es wird im Gleichschritt gelernt, geprüft und gesiebt. Das müsste sich ändern, aber ich weiß als Lehrer, wenn ich meine Schüler schlecht vorbereite, schwäche ich sie. Die Noten und Abschlüsse sind von enormer Bedeutung.

Wie sähe eine jungengerechte Schule aus?

Wir müssen die Talente und Fähigkeiten der Jungen ansehen. Sie können vieles, was in der Schule nicht von Bedeutung ist. Ich würde sie unter anderem zu Spezialisten ihrer Kompetenzen machen. Jungs brauchen Erfolge und sehr viel Lob.

Brauchen wir Jungsschulen?

Das wäre nicht nötig. Aber ich erlebe im Unterricht, dass Jungs auftauen, wenn die Mädchen nicht da sind. In text- und sprachintensiven Fächern könnte man Jungen und Mädchen stundenweise trennen. Und ich würde Jungs in der 8. Klasse ganz rausnehmen und zum Beispiel auf dem Bauerhof leben lassen.

Was können Eltern tun?

Sie sollten beide, Mutter und Vater, ihrem Sohn zur Seite stehen. Ich habe selber zwei und weiß, wie schwierig das ist. Eltern wollen, dass ihre Kinder glücklich in einer abgesicherten Zukunft leben. Deshalb machen sie auch Druck. Die sagen nicht: Toll, dass du das PC-Spiel im 15. Level geschafft hast!, sondern: Schreib erst mal deine Gedichtanalyse! Manche Jungs, die zu Hause ständig bemeckert werden, werden dann mamataub.

Sie haben an der Gesamtschule Bergstedt ein ungewöhnliches Projekt gestartet. Väter sollen Paten werden für Jungs, die zu wenig männliche Bezugspersonen haben.

Stimmt, wir haben eine Gruppe von neun Vätern und zwölf Jungen, die mal alle zusammen und mal zu zweit schöne Dinge in der Freizeit tun. In den meisten Fällen sind es Jungs, die keine Väter haben. Es gab bei uns zwar viele von Müttern geleitete AGs, aber keine Väter, die so etwas Simples wie Fußball anbieten.

Und nun soll sich dies nach Schneeballprinzip verbreiten?

Ja. Ich biete an, an anderen Schulen Väterabende abzuhalten und Lehrer über das Modell zu informieren. Väter erleben schnell, wie schön es ist, mit Jungs etwas zu machen, die dankbar sind. Männer haben etwas davon, wenn sie sich um Jungs kümmern. Es gibt berufstätige Väter, die würden das machen, haben aber wenig Zeit. Deshalb habe ich jetzt Unternehmen vorgeschlagen, sie mögen unter ihren Mitarbeitern für dieses Patenprojekt werben und ein solches Engagement fördern und honorieren. Fast die Hälfte unserer Jungs wächst ohne Männer auf, sie sind mehr als in Not. Wir müssen einen gesellschaftlichen Brand löschen.