: „Das Problem liegt in Osteuropa“
Doch der Westen setzt seine Werte aufs Spiel, wenn er zu Frankreichs Vorgehen gegen die Roma schweigt, meint Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma
■ 64, ist Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Seit 1981 leitet er den Verband, den er mit begründet hat. Für seine Bürgerrechtsarbeit erhielt er 2008 das Bundesverdienstkreuz. Er lebt in Heidelberg.
INTERVIEW DANIEL BAX
taz: Herr Rose, seit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens zieht es viele Roma in den Westen – allein nach Frankreich sollen 15.000 Roma ausgewandert sein. Wie sollen westliche Staaten damit umgehen?
Romani Rose: Wir können dieses Problem nicht in Westeuropa allein lösen. Aber wir lösen es auch nicht, indem wir die Leute in Gefahr und Elend zurückschicken. Diese Menschen fliehen vor dem Rassismus und der Arbeitslosigkeit, die bei Roma in Osteuropa mancherorts über 90 Prozent liegt. Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs standen 85 Prozent von ihnen in Lohn und Brot. Jetzt sind sie herausgefallen aus dem Arbeitsmarkt – und manche suchen eben im Ausland ihr Glück.
Was kann der Westen tun?
Die EU hat Beitrittsverhandlungen mit diesen Ländern geführt. Dabei ging es auch um europäische Werte wie den wirksamen Schutz von Minderheiten. Der Westen muss einfordern, dass diese Rechte auch eingelöst werden. Und die Politik in Osteuropa muss die Gleichberechtigung der Roma vorantreiben. Und wir erwarten auch, dass die Justiz die rechtsradikalen Täter, die Verbrechen an Roma begehen, zur Verantwortung zieht.
In Italien gab es eine ähnliche Debatte wie jetzt in Frankreich. Dort werden jetzt über 7.000 Sinti und Roma aus Rom in isolierte Großlager umgesiedelt. Ist das richtig?
Es muss darum gehen, diese Leute menschenwürdig unterzubringen und ihnen eine Perspektive zu bieten. Dafür gibt es in Italien auf lokaler Ebene durchaus eine Reihe von positiven Beispielen. Langfristig muss es natürlich darum gehen, mehr Druck auszuüben und mehr dafür zu tun, dass die Leute in ihrer Heimat leben können und dort eine Perspektive haben.
Auch Deutschland will über 12.000 Roma, die hier leben, schrittweise in das Kosovo zurückschicken – darunter 5.000 Kinder, die größtenteils hier geboren sind. Ist das besser als das, was jetzt in Frankreich passiert?
Wir kritisieren auch diese Abschiebungen. Sie sind nicht angemessen, zumal die Roma systematisch aus dem Kosovo vertrieben wurden: Sie sind Opfer der letzten ethnischen Säuberung in Europa. Aber den Abschiebungen in Frankreich ging eine hässliche Debatte voraus, in der ohne Scheu all die Klischees und Stereotype aufgerufen wurden, die wir aus unserer 600-jährigen Geschichte kennen. Man stelle sich vor, irgendwo in Westeuropa würden Politiker mit solchen Tönen gegen die jüdische Minderheit hetzen: dieses Land wäre zu Recht isoliert!
Roma, heißt es oft, wollten sich gar nicht integrieren. Wie viel Schuld tragen sie selbst an ihrer Armut und ihrer Bildungsferne?
Damit wird doch nur der Rassismus gegen Roma gerechtfertigt. Die Wahrheit ist, dass sie systematisch ausgegrenzt werden. In vielen Ländern gibt es für ihre Kinder eigene Schulen, die qualitativ schlechter ausgestattet sind. Roma haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt, weil ihnen in Tschechien der Zugang zum Gymnasium verwehrt wurde, und haben Recht bekommen. Und das ist nur ein Beispiel.
Was sagen Sie jemandem, der sich über bettelnde Roma ärgert?
Natürlich gibt es Roma, die betteln. Aber ist das ein reines Roma-Problem? In manchen Medien wird das so dargestellt. Aber die Bettler, die ich in der Fußgängerzone von Heidelberg treffe, sind keine Roma. Und solange sie nicht aggressiv betteln, stört es mich nicht.
2005 bis 2015 wurde in Osteuropa offiziell zur „Roma-Dekade“ erklärt. Was ist seitdem passiert?
Es gibt auch Verbesserungen. Zugleich aber hat die Gewalt gegen unsere Minderheit zugenommen. Allein in Ungarn gab es sechs Morde, die von Rechtsextremen gezielt an Roma begangen wurden. Das Klima für diese Gewalt wird von Politikern geschaffen, die alte Vorurteile bedienen.
Die EU engagiert sich mit eigenen Programmen für die Roma. Kann sie eine Art Schutzmacht sein?
Es geht nicht um Schutzmacht. Die Roma sind Bürger Europas. Ich bin deshalb froh, dass der Kommissar für Menschenrechte des Europarates, Thomas Hammarberg, das französische Vorgehen kritisiert hat. Was wir nicht verstehen, ist, dass die Europäische Kommission es nicht kommentieren möchte.
Färbt das schlechte Vorbild aus Osteuropa auf den Westen ab?
Wir sind schockiert über die Ereignisse in Frankreich – ausgerechnet in diesem Land, das für Freiheit und Gleichheit steht. Aber zum Glück ist Sarkozy nicht ganz Frankreich. Und auch in Osteuropa gibt es viele, die Roma als gleichwertigen Teil der Gesellschaft betrachten und den Rechtsextremismus und Antiziganismus dort bekämpfen.