: „In der Tiefe berühren“
OPTIONEN Woran merkt ein Mensch, dass sein Leben gelingt? Der Soziologe Hartmut Rosa sagt: an Resonanz-Erfahrungen. Und leitet daraus auch politische Forderungen ab
■ Jahrgang 1965, ist Professor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bei Suhrkamp erschien 2005 „Beschleunigung – Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ und aktuell „Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung: Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik“.
INTERVIEW UWE KRÜGER
taz: Herr Rosa, Sie haben das ultimative Kriterium für ein gutes Leben gefunden? Hartmut Rosa: Ultimativ wäre vielleicht anmaßend. Aber ich glaube, dass Resonanz sehr wichtig ist.
Was bedeutet denn Resonanz?
Ich meine damit, dass einem Menschen die Welt als antwortend, atmend, tragend, wohlwollend oder sogar gütig erscheint. Eine Beziehung zwischen zwei Personen zum Beispiel ist dann eine Resonanzbeziehung, wenn sie sich in der Tiefe berühren und sich wechselseitig antworten.
Wie sind Sie auf dieses Kriterium gekommen?
Über die Beschäftigung mit der These, dass wir in unserer Lebensführung immer auf Anerkennung aus sind, also dass wir für unsere Leistungen wertgeschätzt und als Mensch geliebt werden wollen. Ich sage: Ja, das stimmt, aber das ist nicht alles. Resonanzerfahrungen schließen diese Anerkennungserfahrungen ein, aber auch noch weitere, die wir für wichtig und wertvoll halten.
Nämlich?
Ich sehe in der modernen Kultur noch drei Bereiche. Erstens: ästhetische Erfahrungen. Die Kunst ist seit dem 18. Jahrhundert ein ganz großes Resonanzfeld geworden. Wenn Menschen zum Beispiel Musik hören und ganz darin aufgehen, machen sie tiefe Glückserfahrungen. Zweitens: die Natur. Am Ozean zu stehen und die Wellen heranrollen zu hören – da machen viele die Erfahrung, dass zwischen den Wellen draußen und dem eigenen Inneren eine Beziehung besteht. Und zum Dritten die Religion. Die Idee des Gebets ist ja, dass man sich an einen Gott wendet, der einem antwortet und das Gefühl gibt, getragen zu sein.
Sie haben sich zuvor mit Beschleunigung beschäftigt. Was hat Resonanz damit zu tun?
Sehr viel. Die Beschleunigung unseres Lebens führt dazu, dass uns die Dinge und andere Menschen tendenziell fremd werden. Wir interagieren mit ihnen nur noch instrumentell. Es fehlt die Zeit dafür, dass man sich Dinge zu eigen macht und dass man sich von ihnen berühren lässt. Diese Entfremdung ist genau das Gegenteil von Resonanzerfahrungen, sie ist das Verstummen der Welt. Wer entfremdet ist von der Welt, der erfährt sie als kalt, feindlich oder zumindest gleichgültig.
Welchen praktischen Nutzen hat nun Ihre Resonanzthese?
Ich hoffe, dass damit sowohl die Gesellschaft als auch der Einzelne einen neuen Maßstab gewinnt, um Handlungsoptionen zu beurteilen. Meine Diagnose ist, dass wir quantitative Steigerungsraten als Ersatz für Qualitätsprüfungen genommen haben. Man denkt, es war ein gutes Jahr, weil man ein bisschen mehr verdient, seinen Freundeskreis erweitert hat, seine Optionen vermehrt hat. Wir müssen aber weg davon, solche Zuwächse per se als etwas Gutes zu betrachten.
Und besser fragen: Spüre ich Resonanz? Schwinge ich mit?
Oder auch: Wo in meinem Leben habe ich Kontexte, die ich als entfremdet oder entfremdend wahrnehme? Und was brauche ich, um Resonanzräume zu sichern oder zu vergrößern?
Erheben Sie auch politische Forderungen? Brauchen wir ein Ministerium für Resonanzförderung?
Ein Resonanzministerium sehe ich eher nicht. Aber ich finde, dass Resonanz eine Richtschnur für alle möglichen politischen Debatten werden sollte. Ob man über die richtige Bildungspolitik, die richtige Familienpolitik oder die richtige Arbeitspolitik nachdenkt, stets ist es sinnvoll zu schauen, wie man Resonanzräume vergrößern und Entfremdung vermindern kann.
Sind Sie mit Ihrer Resonanz-These eigentlich noch Soziologe, der Gesellschaft beschreibt, oder schon Philosoph, der sagt, was sein sollte?
Ich sehe meine Position als die eines Sozialphilosophen. Wenn ich gesellschaftliche Schieflagen analysiere, ist das Normative ja nicht weit. Wenn ich Vorträge über Beschleunigung halte, fragen die Leute am Ende immer: Ja, aber was sollen wir denn jetzt tun, wie kommen wir da raus?
Und? Erfahren Sie Resonanz auf Ihren Lösungsvorschlag?
Wenn ich darüber spreche, wird es meistens mucksmäuschenstill im Raum.
■ Uwe Krüger, 33, lebt als Journalist in Leipzig und ist seit 2007 taz-Genosse