: Rheinische Zahlenspiele
GELD Für Frauen im Westen ist der Heiratsmarkt immer noch attraktiver als der Arbeitsmarkt. Daran ändert auch die schönste Forschung nichts
■ ist Arbeitsmarkt- und Bildungssoziologin. Sie leitet das Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Vor kurzem erschien ihr Buch „Schulaufgaben“, eine kritische Analyse des deutschen Bildungssystems (Pantheon).
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten. Manche erreichen uns sogar alle Jahre wieder, jedes Mal in leicht variierter Form. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) konnte Anfang dieses Jahres in Sachen Männer- und Fraueneinkommen Neues melden.
Manche von uns dachten ja immer noch, Frauen verdienten viel weniger als Männer, nämlich rund ein Viertel. Diesen Unterschied hat das Statistische Bundesamt für Westdeutschland errechnet. Nein, lautet die frohe Kunde vom Rhein, wir irren uns. Frauen verdienen fast so viel wie Männer. „Der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern liegt in Deutschland aktuell bei weniger als 2 Prozent“, lautet die Schlagzeile des Instituts.
Wir haben es mit einem Zahlenspiel zu tun, das jährlich zur Aufführung kommt. Wie kann man den Unterschied zwischen 23 auf 2 Prozent erklären?
Die Forscher erläutern das in ihrer Zusammenfassung: „Die IW-Wissenschaftler haben für den Gehaltsvergleich erstens Faktoren wie Teilzeitbeschäftigung, Bildungsstand und Dauer der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt. Dadurch reduzierte sich der Lohnabstand, der auf Grundlage des Sozio-oekonomischen Panels berechnet wurde, von 25 auf 11 Prozent. Zweitens haben sie den Umfang familienbedingter Auszeiten – etwa zur Kindererziehung – in die Berechnungen einbezogen. Dabei stellten die IW-Wissenschaftler fest, dass die Lohnlücke weiter schrumpft, wenn die Frauen nur kurze Zeit zu Hause bleiben: Dauerte die Job-Pause maximal 18 Monate, reduzierte sich der Gehaltsunterschied zu den Männern von 11 auf weniger als 2 Prozent.“
Verschwörer am Werk?
Und die gute Nachricht wird noch besser: Sogar in der Situation der Fast-Geschlechter-Gleichheit, die das Institut 2012 meldete, hat es bis heute nochmal eine Verbesserung gegeben, denn mit dem gleichen rechnerischen Vorgehen kam das IW 2012 noch auf 4 Prozent Differenz zwischen den Geschlechtern.
Das alles ist eine Spielerei, die dem so wichtigen Thema nicht gerecht wird. Hier ist aber keine Männerverschwörung am Werk; es zeigt sich eher eine Schwäche von Forschern, die höchst präzise und hochdifferenziert rechnen, wiegen, Kausalitäten suchen, feinste Nuancen herausarbeiten – und dann manchmal den Blick für das Ganze zu verlieren drohen.
Hier ein anderer Blick auf dieselben Zahlen – und auf so manches, das in dieser Rechnung eigentlich nicht unter den Tisch fallen sollte. Die Männer in dieser Berechnung sind real, die Statistik-Frauen dagegen fiktiv. Frauen sind zwar viel häufiger erwerbstätig als früher, aber die Quote der in Vollzeit berufstätigen Frauen ist von 1985 bis 2011 zurückgegangen – von 68 auf 54 Prozent aller erwerbstätigen Frauen. Frauen arbeiten mehr als dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer. Und das häufig auch noch in Kleinst-Teilzeit. Diese bringt kaum Geld, verhindert jeden beruflichen Aufstieg und führt selten zurück zu 80 Prozent oder zur Vollzeitarbeit.
Herunterfeilen an der Differenz
Dazu kommen die anderen Faktoren, die beim Herunterfeilen an der Differenz ausgeblendet werden. Frauen arbeiten eher in Berufen, die als Frauenberufe gelten und daher schlechter entlohnt werden: in der Bildung, dem Gesundheitswesen, der Pflege, im Service. Frauen machen real viel längere Pausen als die Männer, weil es im Westen nur für 22 Prozent ihrer Kinder unter drei Jahren einen Betreuungsplatz oder eine Tagespflege gibt. Die Öffnungszeiten der Kindergärten passen nicht zu einer Vollzeiterwerbsarbeit, die der Schulen noch weniger. Kleine Teilzeit, geringer entlohnte Berufe, strukturell erzwungene Pausen – all das heißt: weniger Aufstiegschancen, geringere Erwerbszeiten, weniger Lohn im Laufe der Jahrzehnte. Das ist die Welt der realen Frauen. Fiktive Größen werden mit realen Größen verglichen. Was bringt uns das? Es wird allerhöchste Zeit, das Spiel nicht mitzuspielen. Das gilt auch für manches Medium. Der Tagesspiegel etwa gibt zwar brav die Runterrechnerei des IW in seinem Artikel am 15. Januar 2013 wieder, titelt aber „Nur noch ein kleiner Unterschied“. Ein Hoch auf den kritisch-distanzierten Journalismus!
Bitte aus dem Trott geraten!
Auch alle, die sich für eine geschlechtergerechte Entlohnung einsetzen, sollten mal aus dem Trott geraten. Der Gender Pay Gap Day gehört abgeschafft – und neu eingeführt, und zwar als Gender Income Gap Day. Denn die entscheidende Größe ist das Erwerbseinkommen am Ende jeden Monats und im gesamten Lebensverlauf. Wenn man das für die beiden Geschlechter berechnet, liegt das monatliche Einkommen von Frauen im Schnitt weit unter der Hälfte dessen, was Männer im Monat verdienen. Die Differenz ist nicht kleiner, sondern in Wirklichkeit doppelt so hoch wie die oft zitierten 23 Prozent.
Die Wirklichkeit verkennt, wer nicht das gesamte Leben in den Blick nimmt. Nur wer auf die Höhe der Rente aus eigener Erwerbsarbeit schaut, hat das Ganze im Blick. 2011 lag die Regelaltersrente westdeutscher Männer im Durchschnitt bei 644 Euro – die der Frauen im Schnitt bei 335 Euro.
Wie wenig sich für Frauen bezahlte Arbeit über den gesamten Lebensverlauf betrachtet lohnt, zeigt auch der Vergleich mit der abgeleiteten Rente: Die auf der Erwerbstätigkeit des Mannes basierende Witwenrente betrug 2011 in Westdeutschland 226 Euro mehr als die selbst erarbeitete Rente (nämlich 561 Euro im Monat). Der Heiratsmarkt ist also für westdeutsche Frauen immer noch lohnender als der Arbeitsmarkt. Mit dem neuen Versorgungsrecht wird selbst der Heiratsmarkt zusammenbrechen, und noch mehr Frauen werden auf Sozialgeld angewiesen sein.
Die Nachricht von der fast erreichten Lohngleichheit ist eine Ente. Was wir brauchen, ist eine gute Betreuungsinfrastruktur, die Frauen die Wahl lässt; Betriebe, die Beruf und Familie vereinbar machen und Pausen nicht sanktionieren; und eine Kultur, die Arbeit zwischen den Geschlechtern gleichgewichtiger verteilt. Männer sollten im Lebensdurchschnitt 32 Stunden arbeiten, Frauen, die erwerbstätig sein wollen, auch. Erst wenn 32/32 als Standardmodell möglich geworden ist, wird aus der Ente eine echte Neuigkeit. JUTTA ALLMENDINGER