: „Die Angst fährt im Hintergrund immer mit“
RENNZIRKUS Jörg Jaksche kehrt nicht in den Profiradsport zurück – obwohl er es wollte. Vor vier Jahren hat er als Kronzeuge im Dopingskandal ausgesagt
■ Leben: Anfang der neunziger Jahre entbrennt der 1976 geborene Jörg Jaksche für den Radrennsport. Vorher spielt er Basketball. Schon 1992 wird er deutscher Juniorenmeister mit dem Straßen-Vierer des RC „Die Schwalben“ München. Ab 1997 steigt er beim italienischen Rennstall Polti in den Profirennsport ein. Heute lebt er bei Kitzbühel und studiert in Innsbruck
■ Aufstieg: Edelhelfer, Hoffnungsträger, Kronprinz – so nennen ihn die Medien. Allerdings hat er auch Pech. Etliche Stürze und Brüche etwa verhindern gute Tour-de-France-Platzierungen. Jaksches große Erfolge: Sieger bei Paris–Nizza 2004, Sieger bei der Mittelmeer-Rundfahrt 2004, Zweiter beim Tirreno-Adriatico 2006
■ Fall: Kurz vor der Tour de France 2006 fliegt der spanische Arzt Eufemiano Fuentes wegen Blutdopings auf. Jaksche wurde von ihm bedient, aber er leugnet es ein Jahr lang. Dann packt er aus, gibt zu, dass er seit 1997 dopt, legt als Kronzeuge die Dopingstrukturen offen und wird ein Jahr gesperrt. Im Radsport gilt er als Persona non grata. Kein Rennstall nimmt ihn. Erst im Februar 2011 steht er kurz vor einem Vertrag mit dem Team Christina Watches. Im letzten Moment sagt er ab.
taz: Herr Jaksche, im Rennsport waren Sie ein bekannter Name. Bis Sie vor vier Jahren in Sachen Doping reinen Tisch machten und aussagten – als Kronzeuge. Aber was ist jetzt? Haben Sie ein neues Leben angefangen?
Jörg Jaksche: Ja, seit Anfang März studiere ich BWL in Innsbruck.
Wie ist das Studentenleben?
Anstrengend. Man merkt, dass es schwierig ist, wieder zu lernen. Als es losging, hatte ich Schwierigkeiten mit der anspruchsvollen Lektüre. Da habe ich mir eine Seite durchgelesen und konnte mich danach an nichts mehr erinnern. Ich fühle mich, als hätte ich in den letzten siebzehn Jahren mein Gehirn auf französischen Landstraßen verbraten und verbrannt. Es braucht jetzt einfach alles drei Gehirnumdrehungen mehr, bis es läuft.
Wo wollen Sie hin mit dem Studium?
Als Sportler machst du Sachen, die unnütz sind. Von A nach B fahren, von weißem Streifen zu weißem Streifen fahren, vom Start zum Ziel. Es geht darum, wer als Erster da ist und sonst nichts. Mit dem normalen wirtschaftlichen Kreislauf bist du nur in einer ganz bestimmten Weise konfrontiert: körperliche Leistung bringen, Verträge verlängern und dabei das Maximale herausholen. Man hat nur eine Dimension – die nach vorne.
Und jetzt?
Das ist nicht mehr so einfach. In welche Richtung willst du gehen? Welche Kurse musst du belegen? Da muss ich zugeben: Davon habe ich keine Ahnung.
Und welche Kurse haben Sie belegt?
Erst mal die schweren. Mathematik und Wirtschaftsinformatik.
Schaffen Sie das?
Ich tue mich schwer. Ich würde eigentlich lieber etwas Konkretes arbeiten. Ich bin wahrlich kein Typ für die Theorie. Ich wäre nie Wissenschaftler geworden. Das ist mir viel zu trocken. Aber wenn du als Angestellter einen Job haben willst, dann musst du eben etwas vorweisen können.
Machen Sie das auch, um vom Radsport loszukommen?
Ich habe zwei Jahre in Italien gearbeitet, bei einer Firma, die Radsportprodukte herstellt – Watt-Messer zur Leistungsmessung. Und da habe ich gemerkt, dass mir das nicht guttut. Ich war einfach immer mit meiner Vergangenheit konfrontiert, mit einem Teil des Lebens, den ich in einer nicht gerade angenehmen Art abgeschlossen habe. Deshalb bin ich auch ganz froh, dass ich aus Italien weggekommen bin. Da drehte sich doch ganz viel um Radsport. Das war zu viel Erinnerung, zu viel Nostalgie.
Sie wollten immer wieder in den Radsport zurück. Spüren Sie, wenn es um Radsport geht, so etwas wie eine Sehnsucht nach Rückkehr?
Die gibt es. Aber mit zunehmendem Alter gewöhne ich mich an das Leben ohne Radsport. Ich fange an, die Dinge mehr aus der Distanz zu betrachten. Das liegt sicher auch daran, dass ich nicht mehr dauernd von Leuten umgeben bin, die aus dem Radsport kommen. Als ich noch in Italien gewohnt habe, bin ich jeden Mittag mit Mario Cipollini, dem ehemaligen italienischen Sprinterstar, Rad gefahren. Da redest du über die alten Zeiten. Und schon bist du wieder mitten drin. Das ist jetzt nicht mehr so.
Aber Sie fahren schon noch Rennrad?
Ja, jedoch anders. Ich habe einen neuen Freundeskreis, mit dem ich jetzt losziehe. Da fahren wir etwa von Kitzbühel aus nach Chiemsee zu einer bestimmten Eisbude mit dem Rad. Und keiner muss Erster sein.
Haben Sie jetzt ein anderes Verhältnis zu Ihrem Körper als in der Zeit, in der Sie sich für Rennen fit halten mussten?
Ja, ich hatte ein sehr intensives Verhältnis zu meinem Körper. Das basierte auf einem mehr oder weniger gesunden Halbwissen. Dein Leben dreht sich um Werte – Hämoglobin, Hämatokrit. Du siehst die Zahlen und weißt, wie gut du drauf bist.
Das ist jetzt anders?
Ich habe keinen Radcomputer, keine Pulsuhr, kein Watt-Leistungsmessgerät, nichts dergleichen mehr. Das hat auch etwas damit zu tun, dass ich mich nicht mehr mit der Vergangenheit konfrontieren will.
Können Sie ohne diese Zahlen Ihre Form noch einschätzen?
Form? Ich habe keine Form mehr.
Wie haben Sie das früher gemacht?
Da bist du den Berg hochgefahren und hast bei einer bestimmten Zeit soundso viel Watt geleistet. Dann hast du festgestellt, dass dein Körpergewicht zu hoch ist, dass du abnehmen musst, um soundso viel Durchschnitts-Watt bei einer bestimmten Herzfrequenz zu bringen.
Haben Sie Ihren Körper missbraucht?
Du lebst sehr intensiv mit deinem Körper. Du bekommst viele Massagen. Du versuchst auch, dich extrem um deinen Körper zu kümmern. Aber jetzt im Nachhinein merke ich, dass ein Sportlerdasein sehr auslaugend ist. Auch wegen des Dopings. Du fliegst sehr oft, musst am Zoll vorbei. Du bist immer angespannt.
Man benötigt kriminelle Energie in der Branche.
Das war keine absichtliche kriminelle Energie. Das war Mittel zum Zweck. Du wolltest ja niemandem wehtun. Ich habe nichts gestohlen. Ich habe mich nicht bereichert. Ich habe niemanden übers Ohr gehauen. Ich habe immer brav gezahlt für alles. Du willst kein Krimineller sein, du bist es eigentlich auch nicht, und doch hast du diesen kriminellen Touch.
Wie viel haben Sie denn ausgegeben für Doping?
Da wäre schon ein ordentlicher Sportwagen drin gewesen.
Gab es für Sie eine Grenze beim Dopen?
Es gab Sachen, die waren tabu: künstliches Hämoglobin aus Russland zum Beispiel. Da darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden, sonst bist du tot. Eufemiano Fuentes, der spanische Dopingarzt, konnte das besorgen, hat aber gesagt: Ich weiß nicht, ob das immer gekühlt gewesen ist. So etwas stand für mich nie zur Diskussion. Aber es gibt Leute, die das machen.
Und doch wären Sie um ein Haar in diesem Frühjahr in den Rennzirkus zurückgekehrt.
Ja, es gab ernsthafte Gespräche mit dem Team Christina Watches. Ich bin in gewisser Weise immer noch erfolgshungrig. Dann kamen aber die Meldungen über Riccardo Ricco …
… der Italiener, der sich mit in seinem Kühlschrank gelagerten Blutkonserven beinahe selbst umgebracht hätte.
Und die Meldungen, dass Patrik Sinkewitz positiv getestet wurde auf Wachstumshormone. Und dann merkst du, dass sich doch nichts geändert hat in der Radsportszene. Es sind ja auch noch immer die gleichen Leute dort tätig. Ich wäre vor den gleichen Fragen gestanden, vor denen ich schon einmal stand. Dann habe ich dem Team eine E-Mail geschrieben und abgesagt.
Aus einer Laune heraus?
Das war, wie wenn der Groschen gefallen wäre: Nein, es hat einfach keinen Sinn.
Haben Sie diese Absage bereut?
Ich war irgendwie glücklich, obwohl ich wusste, dass das meine letzte Chance war. Aber du kannst nicht als Doping-Kronzeuge zurückkehren und am Ende passiert mir das Gleiche wie dem Sinkewitz. Da brauchst du dich nirgendwo mehr sehen lassen. Du kannst nicht vier Jahre berichten, wie alles war, und am Ende verfällst du in die gleichen Muster wie damals und alles um dich herum wird wieder so, wie es früher war.
Angst vor dem Rückfall?
Vor dem Rückfall in die Realität. Dann bist du Fahrer bei Christina Watches und plötzlich machst du Dinge, wie sie der Ricco gemacht hat oder der Sinkewitz.
Sie wären um ein Haar im Team Christina Watches mit dem Dänen Michael Rasmussen gefahren, der 2007 als Führender von der Tour de France ausgeschlossen wurde und als einer der schlimmsten Vertreter der Doping-Zunft gilt.
Mir ist im Endeffekt egal, was der Rasmussen gemacht hat, weil der die gleichen Sachen gemacht hat wie A, B, C, D und F
Und wie Sie.
Und wie ich. Darüber kann ich mich nicht aufregen. Welche Konsequenzen er für sich persönlich daraus zieht, ob er leugnet oder nicht, das ist letztlich seine eigene Entscheidung. Ich bin weniger hart bestraft worden und musste mit den Konsequenzen leben.
Eine davon war, dass Sie lange keinen Vertrag bekamen, obwohl Sie unbedingt wieder Rennen fahren wollten.
Es gab viele Gespräche, die deshalb geführt wurden, um zu zeigen: Hört, hört, das Team verhandelt mit dem Jaksche! Dabei stand längst fest, dass die mich nicht anstellen würden. Der Radsport ist einfach voller Lügner und Heuchler. Wer holt sich schon den Nestbeschmutzer ins eigene Nest.
Gibt es unter den Fahrern auch solche Lügner und Heuchler?
Im Radsport kommt es schon öfters vor, dass Leute, die ein Dopingproblem haben, andere diskreditieren und kriminalisieren. Meistens sind die dann aber selbst aufgeflogen.
So tickt also die große Radsportgemeinschaft, von der immer die Rede ist.
Angeblich sitzen alle im gleichen Boot und fühlen sich als Mitglieder einer großen Familie und dann sticht dir plötzlich doch jemand ein Messer in den Rücken.
Haben Sie als Kronzeuge nicht auch Messer in Rücken gestochen?
Von mir ist nie ein Name gefallen. Das war auch nie meine Absicht.
Es ist wirklich nicht ganz einfach zu verstehen, was Sie – trotz all der finsteren Geschichten – immer wieder zum Radsport hinzog. Was ist das Tolle daran?
Radsport ist meine Passion. Und wenn du deine Passion mit Professionalität verbinden kannst, ist das super. Das Schöne am Radsport: Du kannst trainieren, wie du willst. Du bist nur von dir selbst abhängig. Und wenn du spürst, dass du erfolgreich sein kannst, dann fühlst du dich großartig. Klar macht das Training nicht immer Spaß. Aber eigentlich ist es doch toll, dann zu Hause zu sein, ein bisschen kaputt zu sein und zu wissen, dass man auf eine bestimmte Art ein sorgenfreies Leben hat.
Wie wäre es bei den Kollegen angekommen, wenn Sie tatsächlich jetzt zurückgekehrt wären?
Ich habe in den vier Jahren seit meinem Geständnis so viele harte Situationen durchstehen müssen. Ich denke da an die dreißig Stunden Verhör beim BKA. Da habe ich doch keine Angst vor irgendeinem Radler!
Auch viele Fans fühlen sich trotz aller Dopingskandale immer noch hingezogen zum Radsport.
Die Zuschauer sagen auf der einen Seite: Das ist eine dopingverseuchte Sportart. Und im selben Atemzug sagen sie: Bei dem, was die leisten müssen, geht das ja gar nicht anders. Das ist eine sehr katholische Einstellung. Es wird angeklagt, aber es wird im gleichen Satz auch wieder verziehen. Das ist wohl der Grund, warum der Radsport in vielen Ländern weiterhin so populär ist wie eh und je.
In Deutschland ist es ein wenig anders, da wird das Thema Doping auf einer hochmoralischen Ebene verhandelt.
Es gibt niemanden, der über mich den Stab brechen und sagen kann: Du bist ein Sünder. Der moralische Anspruch ist hier so hoch, dass ihm einfach niemand gerecht werden kann. So jemand wie Rudolf Scharping, der jetzt Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer ist, ist für mich keine moralische Instanz. Aber auch der normale Bürger, der mich als Sünder bezeichnet, ist für mich keine moralische Instanz, weil er das Konstrukt Radsport gar nicht kennt.
Wird der Radsport mit anderen Maßstäben gemessen als andere Sportarten?
Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen Doping und einem Fußballer, der einen Elfmeter schindet. Die Situation ist die gleiche: Du versuchst, durch einen Regelverstoß einen sportlichen Vorteil für dich rauszuschinden.
Hatten Sie ein schlechtes Gewissen, als Sie gedopt haben?
Nur meiner Familie gegenüber. Die wussten davon nichts. Mein Vater ist Arzt, mein Bruder auch. Und dann kamen Gerüchte auf, dass die mir etwas organisiert haben könnten. Das war mir sehr unangenehm. Da hatte ich schon ein schlechtes Gewissen.
Kam das erst nach dem großen Geständnis auf oder hatten Sie das die ganze Zeit über?
Erst danach. Vorher gab es nur die Angst: Hoffentlich passiert nichts. Die Angst fährt im Hintergrund immer mit. Aber wenn es einmal zehn Jahre gut gegangen ist, dann denkst du dir, dass da schon nichts passieren wird. Den anderen Fahrern und der Öffentlichkeit gegenüber hatte ich nie ein schlechtes Gewissen.
Hat das Publikum, das in den anderen Ländern immer noch die Radler verehrt, die Dopingpraxis nicht längst akzeptiert?
Radsport ist ein Sport des Volkes. Käme der Giro oder die Tour durch Österreich, zum Beispiel an den Jaufenpass, dann wäre das auch hier ein Spektakel. Die Leute würden da hinfahren, umsonst, es ist friedlich und sie bekommen drei bis vier Stunden Show geliefert. Gehe ich mit meiner Familie zu Bayern München ins Olympiastadion, dann bin ich 300 Euro los. Das fängt beim Parken an, dann sind da die Karten, es geht zu den Fanartikeln und dann kriege ich eine überteuerte Bratwurst, die noch nicht einmal schmeckt. Beim Radsport ist fast alles umsonst.
Wird es in Deutschland einmal ein Comeback des Radsports geben?
Hier gab es eine Generation, die alles aufgebaut hat. Es war die gleiche Generation, die dabei war, als alles kaputt gegangen ist. Jan Ullrich, Eric Zabel oder Rolf Aldag, dieses ganze T-Mobile-Team war in gewisser Weise das Bayern München der deutschen Radfahrer. Die haben alle gedopt und dadurch das ganze Image zerstört.
Schauen Sie die Rennen noch im Fernsehen an? Zählen Sie selbst noch zu den Fans?
Ich haben dazu keinen Zugang mehr. Das ist durch. In gewisser Weise interessiert es mich schon noch, aber ich schaue mir das nicht mehr an. Vielleicht kommt das irgendwann einmal wieder, wenn eine neue Generation Radfahrer unterwegs ist. Aber das Schlimmste sind doch die Betreuer, die hinten im Auto mitfahren. Leute wie Bjarne Riis zum Beispiel, der gedopte Toursieger von 1996, die sich dann selbst beweihräuchern und die Superleistung ihres Teams mit neuen Trainingsmethoden erklären. Und ich weiß genau: Jungs, daran liegt es nicht.
Haben Sie noch Kontakt zu Profis?
Zu Mario Cipollini ab und zu. Regelmäßig in Kontakt bin ich noch mit Matthias Kessler. Der gehörte ja zur gedopten T-Mobile-Radler-Crew, aber der ist auch raus aus dem Radsport. Nein, ich bin weg.
■ Andreas Rüttenauer ist taz-Sportredakteur und radelt genauso gern wie Jörg Jaksche