3.000 ANSCHLÄGE AUF DIE KOALITION: ANDREA KOLLING ERKLÄRT, WELCHE RÜSTUNGSPOLITIK DER SENAT VERFOLGEN SOLLTE : Dr. Carsten Sieling und der kleine grüne Drache
■ Die Nachwahlrangeleien haben die Programme verflüssigt: Es tauchen Pläne auf, Ideen werden konkretisiert und Vorhaben benannt, von denen vor dem 10. Mai noch gar nicht so recht die Rede war. So wollen die designierten Koalitionspartner ihre Profile schärfen infolge ihrer Stimmverluste.
■ Mit ihrer Gastkommentar-Serie hilft die taz Grünen und SPD dabei – indem sie AkteurInnen der Zivilgesellschaft mit ihren Forderungen an die künftige Regierung zu Wort kommen lässt – in einem Text von 3.000 Anschlägen.
■ Heute: Die Politikwissenschaftlerin Andrea Kolling
Nach wie vor ist Bremen eine Rüstungshochburg. Die Zahl der Arbeitsplätze in der Rüstungsproduktion liegt, gemessen am Bundesdurchschnitt, sechsmal höher, ähnlich das Bruttosozialprodukt. Auf den Fahnen von SPD und Grünen steht eine restriktive Rüstungspolitik.
Aber hat sich Rot-Grün von der großen Koalition unterschieden, mit Blick auf Produktion und Export von Rüstung? Irgendwas Einklagbares?
Der neue Senat wird, wie der alte, bemüht sein, Rüstungsproduktion kleinzureden. Bestenfalls wird er bei kritischen Fragen auf die Zuständigkeit der Bundesregierung in der Frage der Rüstungsbeschaffung und exporte verweisen und die Wichtigkeit der Arbeitsplätze sowie die ökonomische Bedeutung dieser Branche betonen.
Der neue Senatspräsident Carsten Sieling wird nicht umhin kommen, die Rüstungskonversion – die Umstellung von militärischer Produktion auf zivile – zu betonen. Er hat darüber promoviert. Doch das ist lange her. Konkret passiert ist seit dem Ende des Bremer Konversionsprogrammes 2001 nichts. Jede Wette: Das bleibt so, abgesehen von verbalen Ergüssen.
Ein Bremen mit weniger Rüstung ist nichts für die politischen Gestaltungsmächte. Was soll da kommen, was bisher nicht kam? Ohne Geld und massiven Druck erst recht nicht. Die wenigen Profiteure der Rüstung leben gut in Bremen und „umzu“, mit meist gut bezahlten, von Männern besetzten Ingenieurs-Arbeitsplätzen. Alles soll so bleiben, wie es ist. Eine Bedienung von Partikularinteressen, gegen die sich kaum einer wehrt. Von der arbeitsplatzfixierten SPD ist nichts Zukunftsweisendes zu erwarten. Dazu gilt es, rüstungserhaltende Wirtschaftskompetenz zu stärken. Die Einladung der CDU-Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann in Bremer Rüstungsbetriebe zu Wahlkampf-Zeiten war eine Kampfansage.
■ 61, Politikwissenschaftlerin aus Bremen, war von 2007 bis 2014 Vorsitzende der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung.
Gleichzeitig ist die Koalition mit der CDU eine Option. Die Grünen werden weiter still sein, das Feld der SPD und später der CDU überlassen und dafür OHB auf europäischer Ebene protegieren. Auch über militärische Forschung an den Hochschulen oder die OHB-Professur wird es keine Diskussion geben. Eine ernsthafte innovative Debatte über eine Veränderung der industriepolitischen Struktur: Fehlanzeige. Dennoch: Man könnte, wenn man wollte, angesichts der Korruptionsfälle in Bremer Rüstungsbetrieben eine Bundesratsinitiative starten – mit der Forderung, keine öffentlichen Aufträge oder Genehmigungen an Rüstungsunternehmen zu vergeben, die Schmiergelder gezahlt haben. Der Bestechung im Rüstungsgeschäft sollte der Kampf angesagt werden. Stattdessen fließen die 43 Millionen Euro von Rheinmetall, gezahlt wegen Bestechung in Griechenland, in den allgemeinen Haushalt ein. Warum nicht in einen Fonds zur Förderung ziviler Produktion?
Carsten Sieling blickt ängstlich auf den kleinen grünen Drachen, der auf der Kasse sitzt, einen rechten SPD-Flügel, eine wartende CDU. Am Ende der Legislaturperiode wird man nicht mal sagen können: Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet. Weil es keinen Tiger gibt und niemand, der zu springen wagt. Vertane Jahre! Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein.