: „In einer Stadt wie Berlin wäre der Krause nicht glücklich“
DER BULLE Wir sind mit Horst Krause am S-Bahnhof Bellevue verabredet, er wohnt um die Ecke. Auf den ersten Blick irritiert das ein wenig: Den Mann aus dem „Polizeiruf“ – dessen Figur genauso heißt wie er selbst – verortet man eher in Brandenburg als im Berliner Westen. Zu DDR-Zeiten stand Krause vor allem auf der Bühne, der große Kino- und Fernseherfolg kam erst nach der Wende
■ Der doppelte Krause: Horst Krause, 71, ist Schauspieler und spielt im „Polizeiruf 110“ des RBB seit 2001 den Polizeihauptmeister Horst Krause, Assistent von Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon). Mit der Figur Horst Krause entwickelte der RBB weitere TV-Formate („Krauses Fest“, „Krauses Kur“, zuletzt „Krauses Braut“).
■ Der Werdegang: Nach dem Besuch der Schauspielschule in Schöneweide (1964–67) war Krause Schauspieler an Bühnen in Parchim, Karl-Marx-Stadt und Dresden. Den ersten großen Kinoerfolg hatte er nach der Wende: Er spielte in Detlev Bucks „Wir können auch anders“ (Deutscher Filmpreis als bester Darsteller). Später wirkte er unter anderem in Bucks „Männerpension“ und dem TV-Film „Das Mädchen Rosemarie“ von Bernd Eichinger mit. „Schultze gets the blues“ (2003) brachte ihm den Preis für den Besten Hauptdarsteller beim Stockholm Filmfestival ein. 2012 erhielt er den Brandenburger Verdienstorden.
■ Der Bodenständige: Horst Krause hält nicht viel von Empfängen und Schauspiel-Business. Er sagt: „Wenn ich den roten Teppich schon sehe, würd ich am liebsten wieder abhauen.“ (jut)
INTERVIEW JENS UTHOFF FOTO JULIA BAIER
taz: Herr Krause, lassen Sie uns über Horst Krause 1 und Horst Krause 2 sprechen.
Horst Krause: Was heißt jetzt Krause 2 und was Krause 1?
Die Person, die vor mir sitzt, wäre Nummer eins. Und Nummer zwei der Polizeihauptmeister Horst Krause, den Sie spielen. Fangen wir doch mit dem an: So ein Dorfpolizist wie dieser Krause, das ist doch eine reine Kunstfigur, oder?
Ich hab sonst wenig mit der Polizei zu tun, aber ich würde sagen, dass es auch heute noch solche Polizisten gibt. Oder ich hoffe, dass es sie noch gibt. Kunstfigur, so was kann ich nicht beantworten. Ich versuche, Menschendarsteller zu sein. Und am liebsten stelle ich Menschen dar, denen ich täglich begegne. Mit den Schwierigkeiten, mit den guten und den schlechten Seiten.
Was ist dieser Polizist Krause für ein Mensch?
Ein sehr bestimmender Mensch. Er hat einen guten sozialen Umgang, ist korrekt, höflich. Und er liebt seinen Beruf sehr. Er ist ein Übriggebliebener aus vergangenen Zeiten, der auch ein anderes Deutschland kennengelernt hat als das, in dem er jetzt lebt. Er muss leider feststellen, dass in dieser Gesellschaft auf der einen Seite viel geleistet und im öffentlichen Sektor auch viel gespart werden muss. In dieser Gesellschaft sind die Menschen ein bisschen sehr respektlos, merkt er.
Er ist ein Wertkonservativer – mögen Sie das an der Figur?
Ich versuche, diese Werte zu erhalten. Ich bin durchaus wertkonservativ. Auch mir sind Respekt und Höflichkeit wichtig.
Sind Sie der Figur nahe?
Sagen wir so, ich bin mit dem Polizeiruf vom RBB verwachsen. Wir haben daraus ja auch noch die Krause-Filme entwickelt. Wenn der da aufm Dorf Polizist ist, ist es doch für das Publikum vielleicht interessant, was das für ein Mensch ist. Das soll auch fortgesetzt werden. Die Krause-Filme kann ich noch machen, wenn ich im Rollstuhl sitze, aber der Polizist Krause muss bald mal in Rente gehen. Ganz höre ich aber nicht auf. Als Schauspieler hört ma nich uff.
Wie kam es überhaupt dazu, dass die Figur wie Sie heißt?
Das hat der Regisseur Bernd Böhlich so gewollt. Den Böhlich kannte ich noch aus DDR-Zeiten. Der hat mich dann als Polizist besetzt. Von dem kommt auch mein Dienstmotorrad mit Seitenwagen. Dann hat er mich Krause genannt. „Wieso soll der nicht Krause heißen?“, fragte er mich. Und als es um den Vornamen ging, sagte er: Na, Horst natürlich.
Ist es ein Problem, jemanden zu spielen, mit dem man einiges gemeinsam hat?
Nein, das ist überhaupt kein Problem, wenn man sich kennt und um seine Wirkung weiß – und wenn man die Figur genau kennt. Ich muss ja nur Situationen spielen. Ich muss der Figur Fleisch geben. Das Drehbuch ist das Skelett, und der Schauspieler gibt den Figuren Seele.
Hat der Brandenburger Polizeiruf im Gegensatz zu vielen Tatorten die Funktion, die Probleme in ländlicheren Gegenden darzustellen?
Ja, der Krause ist ein Dorfpolizist, der nah an den Problemen der Menschen dort ist. Er lebt auf dem Land, er kennt alle. Ich glaube, in der Stadt könnte er gar nicht existieren. In einer Stadt wie Berlin wäre er nicht glücklich.
Was mögen Sie denn an Berlin?
Besser wäre die Frage „Was mochten Sie an Berlin?“ Das Berlin, das ich kannte, war übersichtlich, nicht üppig, leicht bescheiden. Es wurde sich um soziale Belange gekümmert, um die Bildungseinrichtungen, es war eine bürgernahe Stadt. Als Bürger hatte man Ansprechpartner, die sich um die Belange des Volkes kümmerten. Davon sehe ich heute nicht mehr viel. Man lässt Stadtviertel und Kulturgüter verfallen und errichtet auf der anderen Seite protzige Bauten wie das Stadtschloss. Der Palast der Republik war zwar in gewisser Weise ein Prunkbau, aber immerhin war er auch für die Bürger da.
Sie haben bereits im Polizeiruf des DDR-Fernsehens mitgewirkt. Wie groß ist der Unterschied zu heute?
Was die Figuren betrifft, gibt es eigentlich keinen. Damals hat die Figur die Interessen des Staates vertreten und heute auch. Nur dass es heute eben ein anderer Staat ist.
Ihr aktueller Fall spielt in der Nähe von Beelitz im Berliner Speckgürtel. Sie sind in der Gegend aufgewachsen, oder?
Ich bin in Ludwigsfelde aufgewachsen. Wir waren aus Westpreußen umgesiedelt worden, und meine Mutter ging mit uns Kindern nach Ludwigsfelde.
Wie sind Ihre Erinnerungen an Ihre Kindheit dort?
Mein Vater kam als Kriegsinvalide aus der Gefangenschaft wieder. Meine Mutter ging arbeiten und er wirtschaftete zuhause herum. Ich kann nicht meckern über meine Kindheit und Jugend. Nach der achten Klasse bin ich von der Schule abgegangen und habe Dreher gelernt. In Ludwigsfelde gab es das Fahrzeugwerk, wo der „Roller Berlin“ hergestellt wurde, später auch Lkws. Vorher war das ein Daimler-Benz-Werk, das zerbombt worden ist. Ich hatte gar keine Lust, als Dreher zu arbeiten, aber es ergab sich eben so.
Und wie kamen Sie dann zur Schauspielerei?
Zunächst mal hat sich durch einen Zufall was geändert: Ein Freund von mir wurde von der Volkspolizei eingesperrt, weil Freunde von ihm Scheiße gebaut hatten und die ihn für schuldig hielten. Ich war auch damals schon ein engagierter Mensch. Als Lehrling war ich in der Agitprop-Gruppe. Ich habe dagegen protestiert, dass der Junge eingesperrt wurde – und zwar mit dem Satz aus der Nationalhymne „Dass nie eine Mutter mehr / Ihren Sohn beweint“. Die FDJ delegierte mich daraufhin auf die Bezirksjugendschule in Schwante. Dort brachte man mir bei, den Satz richtig zu denken und zu verstehen.
Inwiefern hat Sie das verändert?
Wir lernten die Grundlagen des Marxismus und Leninismus, das war richtig interessant.
Hat also funktioniert?
Ja, hervorragend. Ich kam nach Hause und habe meinem Vater gesagt: „Hör auf, Rias zu hören!“
Und wieso hatte das Einfluss auf Ihre berufliche Karriere?
Über die FDJ wurde mir eine Stelle in einem Jugendklub in Brandenburg an der Havel angeboten. Da sollte ich „Sektionsleiter für Interessengemeinschaften“ werden – was sollte das denn schon wieder heißen? Ich hatte keine Ahnung, was ich da sollte. Nach einem Jahr haben sie mir vorgeschlagen, zurück an die Basis zu gehen. Also kam ich in einen Kfz-Betrieb. Dort hatte ich Zeit zu überlegen, was ich werden will. Es gab da gerade ein Jugendtheater, das einen Hauptdarsteller für einen Krimi suchte. Ich bewarb mich und spielte den Captain Steve in einem Stück namens „Kaution“. Die Premiere lief hervorragend. Da stand fest, ich wollte Schauspieler werden.
Und dann gingen Sie auf die Schauspielschule?
Ich bin auf einen schreibenden Arbeiter gestoßen, das war eine weitere wichtige Begegnung. Es gab den Zirkel schreibender Arbeiter, die haben sich getroffen und Prosa und Lyrik verfasst. Und der hat mir gesagt, was ich gut einüben und vorsprechen konnte an der Schauspielschule. Dann habe ich mich in Schöneweide beworben. Kurz bevor ich zum Vorsprechen sollte, bekam ich von der NVA die Einberufung zur Musterung. Ich hab ein paar Tage durchgesoffen, danach viel Kaffee getrunken und wurde für nicht tauglich befunden. Der Weg für die Schauspielschule war frei.
Wie fand das Ihre Familie, dass Sie Schauspieler wurden?
Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung bin ich nach Hause gefahren, mein Vater war im Garten. Da habe ich ihm erzählt, wo ich war und gesagt, dass ich jetzt Schauspieler werde. Der hat kein Wort gesagt, nur genickt. Meine Mutter stand später weinend in der Küche. „Der Papa hat mir alles erzählt“, hat sie gesagt, „dass du zum Zirkus gehen willst als Clown.“ (lacht)
Bis zu Ihrem Durchbruch sollte es dauern. Der kam erst 1993 mit „Wir können auch anders“.
Entscheidend war, dass ich nach der Wende auf Detlev Buck traf, der mir mit dem Most eine der Hauptrollen für den Film gegeben hat. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar. Der Buck mit seiner Art, den hätte ich mir auch gut bei uns im Osten vorstellen können, weil der so pur ist. Und Joachim Król war ein angenehmer Partner.
War das ein typischer Nachwende-Film?
Bei den Figuren, Kipp und Most, erlebte ich es zum ersten Mal, dass welche aus dem Westen in den Osten kamen, die ’n Ding anner Schippe hatten. Mir war bekannt, dass nur ganz Kluge rüberkamen, um die Ost-Wirtschaft in Schwung zu bringen, um blühende Landschaften zu schaffen. Erst vor Kurzem hatte ich ein Gespräch mit einem Westberliner, der mir erzählen wollte, warum die DDR kaputtgegangen ist: Weil wir dusslig waren da drüben. Da hab ich ihm gesagt: Ihr habt aus der Geschichte nichts gelernt. Sonst hättet ihr nicht ’ne Ossi-Tante zur Kanzlerin gewählt und gleich noch einen Präsidenten aus dem Osten hinterher. Da stimmt doch was nicht.
Hat es Sie persönlich gefreut, dass Ostdeutsche in diese höchsten Ämter gekommen sind?
Das ist mir gar nicht so wichtig. Der Bessere soll gewinnen. Aber wenn ich die Parteien heute beobachte, sehe ich da keinen Besseren. Im Moment sieht das alles sehr neblig aus.
Sie selbst sind nach der Wende ein extrem gefragter Darsteller geworden.
Ja. Komischerweise hab ich meinen Kollegen früher schon immer gesagt: Meine Zeit, die kommt, wenn ich so um die 50 bin. Irgendwie hab ich da so eine Vorahnung gehabt.
Und dann haben Sie unter anderem mit Bernd Eichinger gedreht.
Ja, es war kurz nach dem Dreh von „Dicke Freunde“ mit Josef Bierbichler, als mich das Büro von Bernd Eichinger anrief. Eine Frau sagte mir, der Herr Eichinger würde gerne ein Casting mit mir machen. Ich sagte ihr: Grüßen Sie Herrn Eichinger herzlich und richten Sie aus, dass ich sowas nicht mache. Hätte ich gewusst, wer Eichinger ist, wäre meine Antwort vielleicht anders ausgefallen. Besetzt hat er mich dann trotzdem.
„Schultze gets the blues“ von 2003 war dann noch mal sehr erfolgreich und bekam etliche Auszeichnungen.
So ’n Pferd hab ick (hält die Hand 20 Zentimeter über den Tisch).
Ein Pferd?
Das war der Preis beim Stockholmer Filmfestival. Ein Pferd aus Metall.
Wie kam es zu dem Film?
Die wollten den Schultze mit mir besetzen. Erst wollte ich aber nicht, weil es eine Low-Budget-Produktion war. Also haben wir ausgehandelt, dass meine Gage angepasst wird, sobald der Film eine bestimmte Summe eingespielt hat.
Hat er sie eingespielt?
Er hat sie eingespielt.
Hätte der Film auch Krause gets the blues heißen können?
Eigentlich ja.
Glauben Sie, Sie haben immer viel Krause gespielt?
Das ist doch klar. Ich bediene Situationen. Ich bin kein Chargenspieler. Ich will mich nicht mit ihm vergleichen, aber der große französische Schauspieler Jean Gabin war auch immer Jean Gabin. Und dennoch ein hervorragender Schauspieler.
Wie lebt denn der echte Krause heute privat?
Leicht bescheiden, ein wenig zurückhaltend. Und ich stelle immer wieder fest, dass es sich wunderbar alleine lebt. Herrlich! Man kommt nach Hause, man schließt auf und wieder ab und hat seine Ruhe. Zu schön. Kein böses Wort, kein „Wo kommst’n her?“ und „Wo warste?“
Waren Sie mal verheiratet?
Noch bin ich auf der Suche. Es ist schwer für mich, die richtige zu finden (grinst). Aber meine Devise lautet: Nie aufgeben.
Sie mögen die Frauen nicht so?
Ich mag die Frauen wie alle anderen Menschen auch. Mal mehr, mal weniger.
Wann mehr, wann weniger?
Weniger ist manchmal mehr.