: Wagemutige Schreibkraft aus Österreich
AUTOR David Schalko kann viel, macht viel und nimmt sich viel heraus: Er ist Fernsehmacher, Drehbuchautor und Romancier. Gerade erschien sein zweiter Roman, „Knoi“, ein absurder Thriller mit hohem Unterhaltungswert
VON ARNO FRANK
Es ist nicht ohne Tragik, wie wir in Deutschland immer angestrengt über den Kanal oder gleich den Atlantik spähen, wenn wir nach gutem Fernsehen suchen. Vielleicht wäre es angebracht, wenn wir uns alle einmal umdrehen, das Fernglas absetzen und diesen toten Winkel namens Österreich in Augenschein nehmen würden. Denn der vielleicht einfallsreichste Regisseur im deutschsprachigen Raum, der wagemutigste Fernsehmacher und der originellste Drehbuchautor, sie alle leben in Wien.
Und sie alle wohnen, ach, in einer Brust: der von David Schalko. Der 40-Jährige hat eine Late Night Show erfunden, bei der alle Kameras unbeweglich an Fäden hängen. Er hat „Das Wunder von Wien“ produziert, eine Mockumentary über den Sieg der österreichischen Nationalmannschaft bei der EM 2008 – mit Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge, die über Österreich reden, als wär’s Brasilien. Er hat die „Show ohne Namen“ erfunden, ein knapp halbstündiges TV-Format, in dem ein irrlichternder Essay aus dem Off in rasanter Schnittfolge mit Bewegtbildern aus dem Archiv des ORF unterlegt und – damit nicht genug – mit eingeblendeten Zusatzinformationen überfrachtet wird. Da ist „Sunshine Airlines“, ein wöchentliches Kulturmagazin aus der Zukunft, das von – immer anderen – Zwillingen moderiert wird, die immer mit der gleichen Stimme sprechen. Er hat Theaterstücke inszeniert, einen Roman von Thomas Glavinic („Wie man leben soll“) verfilmt und zwei Filme mit Josef Hader gedreht („Aufschneider“, „Heaven“).
Die ganz persönliche Hölle
Und dann gibt es da noch die Serie „Braunschlag“ über ein Kaff im ländlichen Waldviertel an der tschechischen Grenze, dessen Bürgermeister das Gemeindevermögen verzockt hat und der nun vor dem Nichts steht – bis ihm die Idee kommt, eine Marienerscheinung könnte wieder Geld in die Kassen spülen. Es tritt der korrupte Bürgermeister auf, dessen frustrierte Ehefrau, es gibt noch korruptere Politiker aus Wien, phlegmatische Polizisten, einen kauzigen Waldläufer, den alkoholkranken Wirt, einen seit Jahren entlaufenen Schäferhund, einen schneidigen Emissär des Vatikans und viele andere Figuren, für die „liebenswert“ das falsche Wort wäre. Es spricht aber für die Liebe ihres Schöpfers Schalko, dass er sie am Ende alle zu jeweils der Hölle schickt, die sie verdienen.
Nach zwei Jahren „Braunschlag“, sagt Schalko, „war die Sehnsucht groß, mal wieder alleine ein Buch zu schreiben und sich nur damit zu beschäftigen“. Wir sitzen am Stand seines Verlages auf der Frankfurter Buchmesse, wo er sich nicht einmal dadurch aus der Ruhe bringen lässt, dass plötzlich sein Kumpel Sven Regener samt Entourage anrauscht. Der muss dann eben warten „und noch einen Sekt trinken“, sagt Schalko.
Er hat schon Sexkolumnen geschrieben für den Wiener und Bücher, Gedichte, Kurzgeschichten, auch Romane, zuletzt eine Satire über das homoerotische Verhältnis eines charismatischen Politikers zu seinem Adlatus – worin sich nicht zu Unrecht ein gewisser Stefan Petzner wiedererkannte, jener Politiker, der vom soeben verunglückten Jörg Haider auf einer Pressekonferenz als seinem „Lebensmenschen“ schluchzte. Petzner klagte erfolglos gegen „Weiße Nacht“, was sehr zum Erfolg dieser romanhaften Studie über Macht, Populismus, Körperkult und Verführung – kurz: den „Feschismus“ der FPÖ – beitrug.
An Schalkos neuem Roman, „Knoi“, fällt daher umso mehr auf, dass er unpolitisch ist. Erzählt wird die Geschichte von Jakob, der im Urlaub Jennifer kennenlernt, einen Unfall verursacht, den sie gelähmt überlebt, worauf sie beide aneinander gebunden sind. Und die Geschichte von Jakobs Exfreundin Rita, die jetzt mit dem Zahnarzt Lutz zusammen ist, der Sex mit Frauen bevorzugt, die er zuvor mit Propofol betäubt hat. Lutz’ unkonventionelles Begehren richtet sich bald auf Jennifer, die er mit einer Injektion versehentlich tötet und die Leiche verschwinden lassen will – und ab da verwandelt sich der Roman in einen absurden Thriller mit hohem Unterhaltungswert. Für Schalko ist das „so eine Art Geistergeschichte, weil man das Gefühl hat, dass die Figuren keine Figuren sind, sondern Geister, Geister von sich selbst“.
Erzielt hat er diesen seltsamen Effekt durch seine, wie Schalko es nennt, „mäandernde“ und dabei ungeheuer melodische Sprache, mit der er das Innenleben der handelnden Personen abtastet. Über Jakobs Eltern erfahren wir nur, dass die „ihr Leben lang die Köpfe geschüttelt hatten. Zuerst über ihre eigene Existenz, dann über die der anderen, dann darüber, dass sie jemanden gefunden hatten, mit dem man über all das die Köpfe schütteln konnte, im Besonderen über die Existenz eines gemeinsamen Kindes, dann über das Zustandebringen eines zweiten Kindes, über die daraus resultierende Koexistenz und schließlich darüber, nach der geglückten Aufzucht der beiden Kinder noch immer existent zu sein. Vom ersten bis zum letzten Tag ein schwindelerregendes und alles und jeden fortbeutelndes Kopfschütteln. […] Und als Jakob selbst einmal den Kopf schüttelte und sagte: Sechs Euro für eine Suppe, da wusste er, dieses Kopfschütteln war auch bei ihm angekommen.“
Diese Sprache, sagt Schalko, sei „sehr aufwendig in der Herstellung. Ich schreibe nicht fünf Seiten am Tag, sondern zwei.“ Zum Schreiben hat er immer wieder „die beiden Alben von Gonzales“ gehört, Solo-Piano, aber nur zur Einstimmung, „weil sich das sonst mit dem Rhythmus der Sprache vermischt“. Ein Roman sei „eine eigene Art der Kartografierung der Welt“, ein Drehbuch dagegen „nur eine Gebrauchsanweisung“. Als Regisseur arbeitet er ohnehin nur, um seine eigenen Texte vor der „Verschandelung“ zu bewahren. Wenn er selbst Romane liest, dann solche, die „nicht klassizistisch sind, sondern experimentell“, vor allem Japaner, gerade Murakami, weil der „so schnörkellos schreibt und vor allem nicht psychologisiert. Sonst wird überall Psychologie als Grundlage genommen, wie jemand stimmig handeln würde. Lustigerweise aber funktioniert das Leben so nicht.“
Spezifisch österreichisch
Die Szene, in der er sich in Wien bewegt, nennt er nur ungern „Boheme“ und Kollegen nur zögernd „Verbündete“. Denn Bündnisse sind wichtig in einem Land, dessen Neurosen – siehe den Haider-Kult – mitunter wesentlich stärker zutage treten als in Deutschland. „Das liegt auch an der Vergangenheit“, meint Schalko, „dass dieses riesige Reich so zusammengeschnurrt ist auf die kleine Fläche, die es heute hat.“ Eine Fläche, die laut Schalko übrigens nicht „schnitzelförmig“ (Bernd Eilert), sondern „wie eine Gitarre für Linkshänder geformt ist“. Mit Deutschland teilt Österreich ein schlechtes Stück seiner Vergangenheit und einen guten Teil seiner Psychosen, es eilt dem großen Nachbarn in manchem voraus und hinkt in anderem hinterher.
Nach „Knoi“ will sich Schalko erst wieder einer satirischen Serie für den ORF widmen, „satirisch in Anführungszeichen“, und dann sein nächstes Buch in Angriff nehmen. Ein historischer Roman soll es werden. Er trägt den Arbeitstitel „Die Geschichte des Windes“ und wird von der urkomischen österreichischen Kolonialzeit auf den Nikobaren handeln.
Sechs Österreicher harrten vier Jahre auf dem Archipel im Indischen Ozean aus, das sie im Handstreich für Wien beansprucht hatten. „Eigentlich ist es eine Hochstaplergeschichte“, sagt Schalko, und dass darin allein schon wieder das spezifisch Österreichische liege. Derzeit arbeitet er daran, die richtige Sprache für diese Geschichte zu entwickeln, und freut sich schon jetzt wieder auf die Auszeit vom Fernsehen. Gefragt, wie er seinen Beruf bezeichnen würde, muss David Schalko eine Weile überlegen. Dann sagt er das schön doppeldeutige Wort „Schreibkraft“, und man mag nicht widersprechen.
■ David Schalko: „Knoi“. Jung und Jung, Salzburg 2013, 272 Seiten, 22 Euro