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Archiv-Artikel

Schreiben in einer Blase

LITERATURBETRIEB Weltfremdheit ist das Problem vieler junger deutscher Schriftsteller. Eine Erwiderung auf Dirk Knipphals und Enno Stahl

Marko Martin

■ verließ im Mai 1989 als Kriegsdienstverweigerer die DDR. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin und veröffentlichte kürzlich in der Anderen Bibliothek seinen Erzählband „Die Nacht von San Salvador. Ein Fahrtenbuch“.

Den Unterschied zwischen dem westlichen und dem östlichen Intellektuellen beschrieb Witold Gombrowicz vor über einem halben Jahrhundert im argentinischen Exil als die „schlichte Tatsache, dass Ersterer nie richtig eins in die Fresse gekriegt hat“. Doch bei aller Aversion gegen anämische, hornbebrillte Jungliteraten, die sich in so manchem Kommentar zur deutschen Nachwuchsliteratur Bahn bricht: Erstens sind die Kritisierten ja keineswegs Intellektuelle, ja nicht einmal Intellektuellendarsteller; zweitens könnte man sich durchaus für sie freuen – in einer ungerechten Welt ist eine behütete Mittelschichtkindheit fraglos ein Privileg. Die Erfahrung sozialer und politischer Verwerfungen garantiert schließlich keine „relevante Literatur“, was auch immer dies sein mag.

Goethe-Institut-Hopping mit Tablets und Visitenkarten

Dennoch ließe sich der Stoßseufzer über das Bonmot, dass die Schweiz nach 500 Jahren Demokratie nichts weiter hervorgebracht habe als die Kuckucksuhr, sehr wohl auf zahlreiche der aus Schreibschulen direkt in Verlagskataloge und Stipendiumsreigen hineingeglittene deutsch schreibende Akademikerkinder ausweiten. Dabei ist nicht ihr homogenes Herkunftsmilieu das Problem, sondern ihre habituelle und mentale Waschlappigkeit, die bei allem schicken Vernetztsein doch von einer frappierenden Abwehr gegen die Gerüche der Welt zeugt.

Wer sich vor allem darum sorgt, einem stilistischen Textgebot gedimmter Lakonie Folge zu leisten, es mit kritischer Reflexion „nicht zu übertreiben“ und sogar bei Darstellungen etwa der Sexualität den Normbereich des Neobiedermeier nicht zu verlassen, wird kaum je ahnen noch vermitteln können, was Freiheit heißt – weder literarisch noch lebensweltlich.

Ein Autor, der mit seinem Debütroman flugs auf vom Goethe-Institut gepamperte Reise zu gehen hofft – wird er/sie dann in faszinierendster Weltgegend wirklich noch wagen, den Inzuchtkokon des teutonischen Kulturbetriebs zu verlassen? Eher nicht. Denn man könnte ja eine nützliche Kontaktaufnahme mit einem ebenfalls in die Ferne entsandten Kritiker oder Lektor verpassen, der/die aus vergleichbar limitierter Erfahrung interessiert wäre an irgendeinem neuen braven „Romanprojekt“.

Wer auch nur einmal zuhören musste, wie deutsche Literaten über Reisen sprechen, auf denen sie mit dem oder jenem zusammengetroffen sind, eine Zeitschriftenveröffentlichung „festgemacht“ hatten oder auch nicht, dem wird das kalte Grausen kommen, gemischt mit Mitleid und (warum auch nicht) einem Gran Verachtung.

Verlagskataloge als Währung für staatlich geförderte Autoren

Ob es hier, wie Enno Stahl in seinem vorangegangen Debattenbeitrag andeutet, unbewusst darum geht, dem bürgerlichen Mainstreammilieu die kulturelle Dominanz zu bewahren, sei dahingestellt. Eher scheint es, als wäre da ein Defilee der Furchtsamen unterwegs, mit Tablets und Stipendienbescheinigungen ausgestattet wie einst die Nonnen mit Katechismus und Gebetsbüchlein, ohne die sie sich ebenso wenig aus dem Haus getraut hätten.

Manchmal ist es aber auch lustig: Es war bei einem der trotz hauptstädtischen Wir-sind-so-kosmopolitisch-Gedröhns so recht raren wirklich internationalen Abende. Ein russischer Romancier hatte im Kreise seiner deutschen Kollegen getafelt, und ich hatte das Vergnügen, mit dem inzwischen im Exil Lebenden in ein Gespräch über Odessa zu rutschen, über Katajew, Isaak Babel und verlorene urbane Vielfalt. Woraufhin mich ein deutscher Lyriker ernst und halblaut fragte, ob mich etwa ein „Forschungsprojekt“ mit Odessa verbinde.

Was sich letzte Woche bei einem ähnlichen Abend wiederholte: Eine südafrikanische Schriftstellerin, die gerade in der Stadt war, erzählte mit Kenntnis und Emphase über blinde Flecken in dem aktuell laufenden Mandela-Film, die hierzulande nicht wahrgenommen worden waren. Zu dumm nur, dass während unseres Gesprächs ein preisgekrönter Berliner Kollege erdschwer im Türrahmen des abendlichen Salons ausharren musste, ehe er endlich seine Visitenkarte loswerden konnte: Vielleicht ergäbe sich mal eine Einladung nach Kapstadt?

In der Tat verblüffend: Hatte man in den Jahren nach 1989 vor allem gewisse Ossis mit dieser Mischung aus intellektueller Bräsigkeit, provinzieller Verdruckstheit und schamlosem Antichambrieren assoziiert, so scheint diese Mentalität nun über die gesamte „Kulturnation“ geschwappt zu sein. Ob es wohl helfen würde, wenn manche deutsche Autoren mal hören würden, was, sagen wir, zwischen Zagreb und Tel Aviv an mehr oder minder gutmütiger Spottrede im Schwange ist über ihren ebenso braven wie eilfertigen Funktionärshabitus?

Als hätten Jörg Fauser und Hubert Fichte nie gelebt, trumpft der literarische Biedersinn auf

Schön, dass es Einwanderer und ihre Geschichten gibt

Was Dirk Knipphals in der jetzigen Debatte eher neutral als Ähnlichkeit zwischen „kreativ-künstlerischem Bereich“ und Angestelltenmilieu beschreibt, fordert jedoch nicht nur lebensweltlich seinen Preis. Man lese nur in den saisonalen Verlagskatalogen die Inhaltsangaben der staatsgeförderten Romane: Alle die Road-Movie-Travestien „einer Autofahrt an die Küste, nach der nichts mehr so ist, wie es zuvor war“, die stilistisch hochgepumpten oder im Gegenteil ängstlich lapidar erzählten Familiengeschichten innerdeutscher Befindlichkeiten, die fast mechanisch wiederkehrenden Figurennamen Jan, Paul, Jonas oder Anna (mitunter darf es auch eine häschenhafte Jule sein), dazu das heulende Elend prenzlauer-bergischer Scheidungsgeschichten – wie froh ist man da, dass es hierzulande noch Einwanderer und ihre Geschichten gibt, von Katja Petrowskaja bis Abbas Khider.

Dennoch: Es scheint inzwischen so, als hätte Jörg Fauser nie gelebt, als wären Hans Christoph Buch, Hubert Fichte und Christoph Ransmayr nie auf Reisen gegangen, als hätte der junge Wolf Wondratschek (ehe er zum gehätschelten klassizistischen Langweiler wurde) nie mit seiner genialen Lyrik die Gesichter der wagemutigen Weltfreunde zum Leuchten gebracht. Schräge Ironie der Geschichte: Eine Dekade nach Ende der DDR mit ihren Hornbrillenfunktionären trumpft erneut purer Biedersinn auf.

MARKO MARTIN