: Der Schatzsucher
ORTSTERMIN Ein australischer Journalist erklärt, wie eine internationale Recherchegruppe Steuerbetrügern auf die Spur kam. Sieht so die Zukunft des Journalismus aus?
GERARD RYLE ERKLÄRT, WARUM ER MIT ANDEREN JOURNALISTINNEN INFORMATIONEN TEILT
AUS BERLIN DANIEL BOUHS
Man stelle sich vor: Zwischen der üblichen Post liegt eine Festplatte, darauf Gigabytes aus dem Innenleben sonst anonymer Steueroasen – große Namen, viele Zahlen. Gerard Ryle hat das erlebt. Der Australier, damals noch Redakteur im Hamsterrad der Zeitung Sydney Morning Herald, schob seinem Haustechniker eine Menge Bier zu. Jenseits des Arbeitsalltags kämpften sie sich durch das Material. Das Großprojekt „Offshore-Leaks“ entstand.
Das war vor knapp zwei Jahren. Nun sitzt Ryle unweit des Berliner Alexanderplatzes und blickt zurück. Zwei Dutzend Kollegen kleben an seinen Lippen und sind baff ob des Aufwands, den Ryle betrieben hat. Sie diskutieren die „Internationalisierung der Recherche“ und damit über so etwas wie Premium-Journalismus im digitalen Zeitalter.
Das ZDF ist neidisch
„Mir war klar: Die Geschichte wird besser, wenn da mehr Leute dran arbeiten“, sagt der Journalist. Er tat etwas gänzlich Ungewöhnliches: Ryle gab seinen Scoop aus den Händen und teilte das exklusive Material mit mehr als hundert Journalisten weltweit, darunter dem NDR, der so einen „Einblick in das Schattenreich der Steueroasen“ geben konnte, zeitgleich mit anderen wie der Washington Post und dem britischen Guardian.
Mit in der Runde sitzt Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF. Er macht keinen Hehl draus, dass er „schon ein wenig neidisch“ darüber ist, dass Ryle mit dem Hamburger Sender kooperierte statt mit seinem: „Wir hätten das gerne gehabt.“ Ryle aber hält den Kreis seiner Vertrauten klein. Nur vier deutsche Journalisten sind Teil seines Konsortiums – drei von der Süddeutschen Zeitung und der einstige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo. Auch der NDR war nur Teil der Aktion, weil die SZ mit den Norddeutschen seit Jahren zusammenarbeitet und den Aufwand verteilen wollte.
Theveßen lässt durchblicken, dass er internationale Kooperationen vorantreiben möchte – und darin ein Stück weit die Zukunft der Investigation sieht. „Wir haben ja auch Partnersender wie NBC und BBC“, sagt er. „Aber große Projekte sind bislang nicht entstanden, denn das Schwierigste ist es, dafür das nötige Vertrauen aufzubauen.“ Ryle hat dafür offenbar das glücklichere Händchen – und nicht zuletzt: das passende Material.
Seinen Datenschatz teilte er dann auch nicht unbedingt aus Nächstenliebe mit Kollegen, sondern auch aus ganz pragmatischen Überlegungen. „Ich wollte nicht von 50 Ländern verklagt werden“, sagt er. Risikoverteilung ist also ebenso Teil seiner Strategie, zu der auch gezielte Expansion gehört. Ryle sammelt Geld von Stiftungen und hat für seinen Verein ICIJ, den er seit 2011 leitet, einen eigenen Rechercheur verpasst. Der soll nach Material Ausschau halten und dann, wenn es sich lohnt, die handverlesenen Kollegen in aller Welt aktivieren.
Üppige Informationsernte
Dem Verein geht es dabei vor allem um Erreichbarkeit. Mithin sei es „unfassbar schwer“, gezielt einzelne Medien mit frischem Material zu versorgen – auch deshalb sei mit Wikileaks einst eine Plattform jenseits des Journalismus entstanden, glaubt Ryle. Die Runde diskutiert über die Sicherheit solcher Portale. Das ZDF prüft ein eigenes.
Mit dem Wettlauf um brisantes Material geht allerdings auch ein anderer Kampf einher: der um die nötigen Ressourcen. Obwohl Datenjournalisten, die mit Programm- und vor allem Programmierkenntnissen auf die Ernte üppiger Informationsfelder spezialisiert sind, mit an Bord waren, sei er sich sicher, dass „Offshore-Leaks“ noch immer Schätze berge – allen Anstrengungen zum Trotz, sagt Ryle. Man müsse ja auch mal weiterziehen.
ZDF-Mann Theveßen beklagt unterdessen, dass sein Haus Personal streichen müsse – und die Aktualität im Zweifel Vorrang vor der Investigation habe. Tatsächlich zwingt die Kontroll-Kommission KEF den Sender nach Jahren des Ausbaus jetzt auch mal wieder abzubauen – und dafür 75 Millionen Euro bei den Ausgaben für Mitarbeiter zu sparen. Aber nicht nur das sei ein Problem: „Außerdem ist es für Kollegen einfacher, erfolgreich zu sein, wenn sie möglichst oft vor der Kamera stehen.“
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