: „Muss ich mich Blinden beschreiben?“
BERÜHRUNGSÄNGSTE Das Leidmedien.de-Team will Journalisten den Umgang mit behinderten Menschen erleichtern
■ Die Macher: Raul Krauthausen (32), Projektentwickler und Vorstand von Sozialhelden e. V; Rebecca Maskos (37), Projektleiterin, freie Journalistin und Expertin für Disability Studies; Lilian Masuhr (27), Projektleiterin und freie Journalistin; Andi Weiland (27), Projektmitarbeiter und Pressesprecher bei Sozialhelden e. V.
■ Der Verein: Sozialhelden e. V. wurde 2004 von Jan Mörsch und Krauthausen gegründet und will mit kreativen Ideen auf soziale Probleme aufmerksam machen. Bekannt wurde er vor allem durch wheelmap.org, eine Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte.
INTERVIEW LEONIE GEIGER
taz: Herr Krauthausen, wie ist die Idee zu „Leidmedien.de – Über Menschen mit Behinderungen berichten“ entstanden?
Raul Krauthausen: Bei der Berichterstattung über Menschen mit Behinderung ist uns aufgefallen, dass nicht nur Themen wie Inklusion oder Barrierefreiheit im Mittelpunkt standen, sondern auch die Leistungen, die ein Mensch „trotz seiner Behinderung“ geschafft hat. Das stimmt aber nicht. Viele andere und ich haben es mit der Behinderung geleistet. Man wird als Mensch mit Behinderung schnell Held oder Opfer. Wir wollten einen Ratgeber anbieten, wie man solche Sachen vermeidet und warum man sie vermeiden sollte. Zusammen mit der Robert Bosch Stiftung, die uns finanziell unterstützt, wurde dann leidmedien.de aufgebaut.
Wo liegt das Problem in der Berichterstattung?
Krauthausen: Das Problem ist, dass viele Menschen ohne Behinderung gar keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben und dadurch hauptsächlich die Bilder aus dem Fernsehen kennen. 90 Prozent der Informationen, die Leute in Deutschland über Menschen mit Behinderung haben, stammen aus den Medien, weil das Leben hier sehr getrennt stattfindet. Wir finden es schade, dass immer diese entwertenden Bilder rüberkommen. Dass ein Rollstuhl gleich die Assoziation weckt, an ihn gefesselt zu ein. Aber der Rollstuhl ist ein Hilfsmittel, das erst Freiheit und Mobilität ermöglicht.
Was bietet leidmedien.de?
Rebecca Maskos: Wir haben versucht, die ganzen Klischees und Floskeln zu sammeln, ihre Bedeutungen zu klären und bessere Formulierungsvorschläge zu geben. Wir thematisieren aber auch Herangehensweisen. Beispielsweise werden Menschen mit Behinderung häufig geduzt, oder es wird nicht mit ihnen geredet, sondern mit dem Werkstattleiter oder der Mutter. Wir wollen zeigen, dass sich nicht immer alles um die Behinderung dreht und sie kein fortwährendes Leiden bedeutet. Außerdem wurden Hintergrundinformationen zusammengestellt: statistische Daten, Begriffserklärungen und Geschichtliches.
Lilian Masuhr: Wir klären auch Fragen, die aufkommen, wenn man Menschen mit Behinderung interviewt: Wie gebe ich jemandem die Hand, der keine hat? Muss ich mich einem Blinden beschreiben? Denn wenn diese Fragen nicht geklärt werden, gibt es für den Journalisten schon am Anfang des Interviews eine Barriere.
Wie soll das Projekt fortgeführt werden?
Andi Weiland: Die Seite ist in sich abgeschlossen. Wir werden vielleicht noch Artikel nachreichen oder auf Feedback reagieren. Und wir können uns aber schon vorstellen, Workshops anzubieten, wenn nachgefragt wird. Aber wir wollen nicht die Deutungshoheit haben, sondern nur eine Grundlage geben, um sich zu informieren und sensibilisiert zu werden.
Krauthausen: Wir hoffen, dass dadurch ein anderes Verständnis für dieses Thema herrscht. Wir beißen nicht. Nur über ein Miteinander erreicht man eine Sensibilisierung für die Problematik. Wir wollen den Journalisten keinen Vorwurf machen. Denn auch sie haben häufig sehr wenig Kontakt zu Menschen mit Behinderung. Das ist zwar nicht unser Hauptthema auf der Seite, aber trotzdem setzen wir uns dort auch dafür ein, dass es mehr Menschen mit Behinderung in den Medien gibt. Sowohl als Redakteure als auch Autoren. Aber auch, dass sie mehr als Experten zu Themen, die nicht unbedingt etwas mit Behinderungen zu tun haben, befragt werden.
Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt?
Masuhr: Es war ein kreativer Prozess, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Selbst wir im Team hatten manchmal Unsicherheiten, wie man bestimmte Sachen ausdrückt. Für mich war es zum Beispiel neu, darüber nachzudenken, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen „Der Behinderte“ und „Der behinderte Mensch“.
Krauthausen: Ich habe gelernt, dass ein Blinder, nur weil er keine Farben und kein Licht kennt, nicht in Dunkelheit lebt.