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Archiv-Artikel

Stifter außer Kontrolle

BERTELSMANN, BOSCH & CO Die Zahl der gemeinnützigen Stiftungen steigt, ihr Einfluss wächst. Was sich jetzt ändern muss

Matthias Holland-Letz

■ Diplomvolkswirt, freier Journalist in Köln. Arbeitet vor allem für WDR (Hörfunk, Fernsehen und Internet), Deutschlandfunk sowie die Gewerkschaft GEW. Recherchiert seit 2008 zu gemeinnützigen Stiftungen.

Bosch und Bertelsmann gehören dazu. Ebenso der Unternehmensberater Roland Berger, die Großverlegerin Friede Springer und SAP-Milliardär Dietmar Hopp. Sie alle sind mit einer gemeinnützigen Stiftung eng verbunden. 1999 lag die Zahl der Stiftungen bürgerlichen Rechts in Deutschland bei rund 8.000. Heute sind es 19.551. Ein beispielloser Boom, ermöglicht vor allem durch die Steuergesetze der Regierungen Schröder und Merkel. Wer stiftet, darf heute bis zu einer Million Euro von der Steuer absetzen. Was dazu führt, dass der Fiskus im Einzelfall annähernd 500.000 Euro zur Stiftungsfinanzierung zuschießt. Hinzu kommt: Gemeinnützige Stiftungen zahlen weder Körperschaftsteuer noch Gewerbesteuer, auch von Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer sind sie befreit.

Gutes tun ist gar nicht schwer

Kein Zweifel, Stiftungen tun Gutes. Sie fördern Bildung, Wissenschaft, Kunst und Kultur. Sie lindern Armut oder wollen Umweltschutz und Völkerverständigung voranbringen. Doch viele Stifter vertreten knallharte Interessen. Sie zielen darauf, Schulen, Universitäten, Kultur und Soziales nach eigenem Gusto umzubauen. Unternehmer gründen Stiftungen, um den Fortbestand ihrer Firma zu sichern, um Steuern zu sparen oder politisch Einfluss zu nehmen. Vermögende Privatleute stiften, um ihre sozialen Netzwerke auszubauen. Privater Nutzen, von der öffentlichen Hand mit Millionensummen gefördert. Höchste Zeit, zu überlegen, was sich am Stiftungswesen ändern muss.

Transparenz. Wie hoch sind die Einnahmen? Wer zählt zu den Großspendern? Wohin fließen die Ausgaben? Gemeinnützige Stiftungen sind lediglich gegenüber Stiftungsaufsicht und Finanzamt verpflichtet, ihre Daten offenzulegen. Dort bleiben sie unter Verschluss. Bürgerinnen und Bürger haben kein Recht auf Auskunft. Nur wenn die Stiftung will, gibt es Einblick.

Geht es nach der übergroßen Mehrheit der Stiftungen, soll dies auch so bleiben. Das zeigt die Resonanz auf die „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“, gestartet 2010 von Transparency International. Sie will Vereine und Stiftungen zu mehr Offenheit verpflichten. Doch bislang beteiligen sich keine 60 der 19.551 Stiftungen.

Was wäre, wenn der Gesetzgeber auf den Plan treten würde? Das könnte so aussehen: Im ersten Schritt verabschieden die Bundesländer Transparenzgesetze für Stiftungsaufsichtsbehörden. Damit müssen sie künftig den Bürgerinnen und Bürgern Auskunft geben. Im nächsten Schritt zwingt ein Gesetz alle Stiftungen, die mehr als – sagen wir – 30.000 Euro pro Jahr einnehmen, wichtige Dokumente regelmäßig zu veröffentlichen. Dazu zählt der Jahresbericht mit Einnahmen und Ausgaben. Transparenzvorschriften, die in den USA bereits lange gelten.

Reicher als angegeben

Stiftungsvermögen. Wie reich ist die Bertelsmann-Stiftung? Das Stiftungskapital betrage 618 Millionen Euro, lautet die Antwort der Gütersloher Großstiftung. Doch damit nennt sie lediglich den Buchwert. Die Bertelsmann-Stiftung besitzt 77,6 Prozent der Anteile am Bertelsmann-Konzern (RTL, Gruner + Jahr, Random House, Arvato). Der Hamburger Stiftungsrechtler Peter Rawert schätzte 2011 den damals aktuellen Marktwert des Stiftungskapitals, auch Verkehrswert genannt, auf „mehr als 10 Milliarden Euro“. Auch Krupp-Stiftung, Robert-Bosch-Stiftung oder die Hamburger Körber-Stiftung veröffentlichen lediglich den Buchwert. Der Gesetzgeber könnte dieses Versteckspiel beenden. Indem er die Stiftungen verpflichtet, jeweils zum Jahresende den tatsächlichen Wert (Verkehrswert) ihres Stiftungsvermögens zu veröffentlichen.

Steuerliche Förderung. Die Gesetze der Regierungen Schröder und Merkel befeuerten nicht nur den Aufschwung des Stiftungswesens. Sie sorgten auch dafür, dass die Staatsausgaben im Verhältnis zur gesamten Wirtschaftsleistung sanken. 1999 lag die sogenannte Staatsquote bei 48,2 Prozent, 2012 waren es 45 Prozent. Mehr Stiftungen, weniger Staat, das ist politisch gewollt. Will eine Bundesregierung die politische Umkehr einleiten, so müsste der Gesetzgeber den steuerlichen „Sonderabzug“ für Stifter senken. Beispiel: Statt bis zu 1 Million Euro darf der Stifter nur noch maximal 300.000 Euro von der Steuer absetzen. Auch die Möglichkeiten, Spenden an Stiftungen steuerlich geltend zu machen, ließen sich einschränken.

Demokratisierung. Stiftungen sind per se undemokratische Einrichtungen. Allein der Stifter entscheidet, welchen Zweck die Stiftung verfolgt und wie Vorstand, Beirat und andere Gremien besetzt werden. Das sei ungerecht, urteilte der US-amerikanische Autor Mark Dowie bereits 2001. Schließlich seien es die Steuerzahler, die beim Errichten einer Stiftung Geld zuschießen. Dowie fordert: Ein Drittel der Sitze im Lenkungsgremium der Stiftung geht an Personen, die vom Parlament ernannt wurden.

Kein Zweifel, Stifter tun Gutes. Sie fördern Bildung, Wissenschaft und Kultur. Aber viele vertreten knallharte Interessen

Peanuts für Bosch

Unternehmensstiftungen. Gehört das Unternehmen einer gemeinnützigen Stiftung, habe dies viele Vorteile, sagt die Stiftungslobby. Die Gefahr, dass Erbstreitigkeiten die Firma ruinieren, entfällt. Auch ist das Stiftungsunternehmen vor feindlicher Übernahme geschützt. Alles richtig. Dennoch ist das Modell umstritten. So besitzt die Robert-Bosch-Stiftung zwar 92 Prozent am Weltkonzern Robert Bosch GmbH. Sie hat aber keine Stimmrechte – und wird von den Konzernlenkern regelmäßig mit Peanuts abgespeist. Beispiel: Im Jahr 2012 erwirtschaftete Bosch einen Gewinn von 2,34 Milliarden Euro nach Steuern. Davon bekam die Stiftung rund 4 Prozent – magere 69 Millionen Euro. Ganz oder mehrheitlich im Besitz einer gemeinnützigen Stiftung befinden sich auch die Unternehmen Fresenius (Medizintechnik, Kliniken), Körber (Maschinenbau), Mahle (Automobilzulieferer) oder Possehl (Mischkonzern).

Auch hier ist Abhilfe möglich. Stiftungen, die mehr als 20 Prozent an einem Unternehmen halten, könnten verpflichtet werden, einen festen Prozentsatz des Gewinns, den das Stiftungsvermögen erzielt, zugunsten der Allgemeinheit einzusetzen. Dann wäre nicht nur die Bosch-Stiftung gezwungen, weit mehr als bislang für wohltätige Zwecke auszugeben. MATTHIAS HOLLAND-LETZ