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Archiv-Artikel

Spuren der Verfolgung

AUSSTELLUNG Die Kunsthalle zeigt, was sie einst vom „Kunsthändler der Avantgarde“, Alfred Flechtheim, erwarb. Ihren Streit um Bilder von George Grosz betrachtet sie als „erledigt“

Die Grosz-Erben, beharrt die Kunsthalle, haben „keinen Anspruch“

VON JAN ZIER

Kein Wort kündet mehr vom erbitterten Streit. Und so hängen sie da nun, in der Kunsthalle – das „Stillleben mit Okarina“ und „Pompe funèbre“ von George Grosz, einem der politischsten Künstler der Weimarer Republik. Der Konflikt darüber, ob sie einst zu Unrecht verscherbelt wurden, ist vergessen. „Das ist erledigt“, sagt Dorothee Hansen von der Kunsthalle, „endgültig“. Noch vor ein paar Jahren wollten die Grosz-Erben beide Bilder abholen lassen. „Sie haben keinen Anspruch“, sagt Hansen.

Aber darum soll es in dieser Ausstellung ja auch gar nicht gehen. Sie ist Alfred Flechtheim (1878–1937) gewidmet, dem „Kunsthändler der Avantgarde“, einem der wichtigsten Protagonisten der Kunstszene im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Vor genau 100 Jahren eröffnete er seine erste Galerie. Flechtheim förderte nicht nur Grosz, sondern auch Max Beckmann oder Paul Klee und viele andere bedeutende KünstlerInnen. Von den Nazis diffamiert, muss er Deutschland 1933 verlassen. 15 Museen – darunter die Bremer Kunsthalle – haben sich nun zusammengetan, um das Schicksal des jüdischen Unternehmers und die Wege seiner Kunstwerke in die Museen nachzuzeichnen. „Alfred Flechtheim.com“ heißt das Projekt, die gleichnamige Homepage publiziert dazu eine Datenbank mit 324 Werken.

43 davon, aus der Sammlung der Kunsthalle, zeigt die Ausstellung, in einem einzigen Raum konzentriert, Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen von 17 KünstlerInnen. Ein markant grünes Stillleben von Max Beckmann ist darunter, das lange ein Aushängeschild des Museums war, die Bronze einer Tänzerin von Edgar Degas, ein Relief von Ernst Barlach oder Blätter von Marc Chagall oder Henri de Toulouse-Lautrec. Neben jedem der ausgestellten Werke steht seine Provenienz, ist aufgelistet, wer es wann von wem erwarb. Die meisten kamen vor 1932 in die Kunsthalle, unter ihrem Direktor Emil Waldmann, aber auch in den Siebzigern kamen noch Werke dazu, darunter besagte, sehr farbintensive Gemälde von Grosz.

Schon 1914 lieferte Flechtheim 30 Bilder für eine internationale Kunstausstellung nach Bremen – und machte damit zugleich Reklame für sich als Galerist. Im gleichen Jahr kaufte die Kunsthalle ein Bild des rheinischen Impressionisten Ernst te Peerdt, den Flechtheim wiederentdeckt und als „düsseldorfischen Liebermann“ gefeiert hatte. Te Peerdt geriet gleichwohl wieder in Vergessenheit.

Bei den Erben Flechtheims stieß das Projekt indes auf harsche Kritik – sie fühlen sich übergangen, Alfred Flechtheim.com muss deshalb ganz ohne die Unterstützung von dessen Erben auskommen. Hintergrund der Auseinandersetzung sind unter anderem Restitutionsansprüche: Von über 60 Bildern fordern die Erben Flechtheims die Rückgabe, Bremen ist nicht betroffen.

Dafür forderte Ralph Jentsch, der Vertreter der Grosz-Erben, zwei Gemälde von der Kunsthalle zurück, die Bremen einst erstanden hat. Grosz hatte sie Flechtheim vor seiner Emigration 1933 überlassen – aber in Kommission, so die Erben. Und damit hätten sie einen Anspruch auf Rückgabe gehabt. „Pompe funèbre“ wurde 1937, zusammen mit anderen Flechtheim-Nachlässen, in den Niederlanden versteigert. Manche sagen auch: billig und unter fragwürdigen Umständen verscherbelt. Inwiefern das Bild „verfolgungsbedingt“ in die Hände der Kunsthalle kam, war in der Vergangenheit umstritten.

Kuratorin Hansen sagt, Flechtheim habe Grosz’ Bilder keineswegs nur in Kommission genommen. Sondern als Gegenwert für die erheblichen Schulden des Künstlers einbehalten. Ein Brief von 1935 belege das. Zudem gebe es eine abschließende Entscheidung aus Österreich in einem ähnlichen Fall. Und die fiel zuungunsten der Grosz-Erben aus. Und so ist die Sache für die Kunsthalle nun geklärt, auf Alfred Flechtheim.com erscheint der Fall unproblematisch. Jentsch war gestern für die taz nicht zu erreichen.

Um ihre eigene Geschichte, insbesondere der Nazi-Zeit, näher zu erforschen, plant die Kunsthalle derzeit ein konkretes Forschungsprojekt, war gestern zu erfahren. Dessen Finanzierung ist aber noch ungesichert.

Bis 16. Februar