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Archiv-Artikel

Kritik abgeklemmt

ÄGYPTEN Das Regime setzt den Sender al-Dschasira wegen dessen Protestberichten unter Druck

Wegen seiner ausführlichen Berichterstattung über die regierungskritischen Proteste in Ägypten hat Informationsminister Anas al-Fekki am Sonntagvormittag über al-Dschasira ein „Arbeits- und Empfangsverbot“ verhängt. Das Verbot umfasse alle Aktivitäten des katarischen Satellitensenders in Ägypten. Die Sendelizenz sowie die Presseausweise der al-Dschasira-Mitarbeiter seien ab sofort ungültig, gab al-Fekki über die staatliche Nachrichtenagentur Mena gegen 9 Uhr morgens bekannt.

Den Sender und seine Mitarbeiter ließ das zunächst unbeeindruckt. Über Twitter erklärte ein Korrespondent zwei Stunden nach dieser Ankündigung, man berichte trotz des Verbots weiterhin live aus Ägypten. Er wisse nicht, „wer das Verbot durchsetzen solle“. Erst um kurz vor 12 Uhr mitteleuropäischer Zeit twitterte ein anderer Korrespondent, al-Dschasira könne nun weder auf Englisch noch auf Arabisch empfangen werden. Eine Stunde später schlossen Sicherheitsbeamte in Zivil das Büro des Senders in Kairo und unterbanden die Satellitenverbindung zur Zentrale in Katar.

Am Vortag hatte sich die Polizei vielerorts hilflos zurückgezogen, statt gegen die Proteste vorzugehen. Auch die Zukunft von Informationsminister al-Fekki ist unsicher. Präsident Husni Mubarak kündigte bereits vor Tagen den Austausch des Kabinetts an.

Al-Dschasira informiert seit Tagen unter dem Schlagwort „Wut in Ägypten“ umfassend über die Proteste gegen die Regierung Mubarak: Korrespondenten berichten aus allen größeren Städte des Landes von Unruhen, dem Unmut gegen die Regierung, Chaos, Toten und der Ohnmacht der ägyptischen Polizei. Außerdem zeigte der Sender stundenlange Liveberichte von Demonstration und Gewaltausbrüchen und lässt Regierungsgegner zu Wort kommen, die den Rücktritt Mubaraks fordern.

Ein Liveblog über die Ereignisse auf der Al-Dschasira-Seite war am Sonntag einige Stunden nicht mehr zu erreichen. Aktuelle Nachrichten aus Ägypten erhielten die Leser trotzdem – über Twitter-Statusmeldungen von Korrespondenten des Senders, die in die Website des Senders integriert sind.

Al-Dschasira gilt in den meisten arabischsprachigen Ländern als wichtigste Informationsquelle, die, anders als die staatlichen Programme, für Neutralität steht, Diskussionen zu gesellschaftlichen Streitthemen anregt und auch kritischen Stimmen Raum gibt. Über Satellit ist der Sender in nahezu allen arabischsprachigen Ländern verfügbar. KERSTIN GRIESSMEIER