: Das raue Erwachen des Deutschen
In „Dr. Alemán“ von Tom Schreiber richtet ein Arzt in Kolumbien aus besten Absichten Schlimmes an
Graham Greene hat solche Geschichten geschrieben: Von Männern aus reichen und friedlichen Ländern, die im Wien der Nachkriegszeit, in Vietnam oder auf Haiti aus besten Absichten Schlimmes anrichten. Diese blauäugigen Romantiker erleben schnell ein raues Erwachen, wenn sie in Situationen gestoßen werden, deren Komplexität sie mit ihren fest gefügten Moralvorstellungen nicht gewachsen sind. Genau solch ein moderner Antiheld ist Marc, ein 26jähriger Medizinstudent aus Deutschland, der sein praktisches Jahr in einem Krankenhaus im kolumbianischen Cali ableisten will.
Dort wird er von seinem Oberarzt gleich mit einem „Heil Hitler“ begrüßt, und seine Entwicklung im Laufe des Films ist so gravierend, dass diese Beschimpfung, wenn sie am Schluss noch einmal ausgesprochen wird, plötzlich gar nicht mehr so abwegig klingt. Der junge Mann wird im Krankenhaus zwar von ersten Minute an buchstäblich mit der Nase in die Schusswunden der Patienten gestoßen, aber wie korrupt und gefährlich es unter den Drogenclans, die die Stadt beherrschen, zugeht, wird ihm auch dann noch nicht bewusst, nachdem er auf einer Taxifahrt überfallen und halbnackt auf der Straße zurückgelassen wird.
Stattdessen geniest er die vermeintliche Freiheit des Lebens in der Fremde, sucht das Abenteuer mit schönen Frauen, Drogen und jungen Bandenmitgliedern, die ihn bei seinen Streifzügen durch die Favela beschützten, was ihm selber aber erst viel zu spät klar wird. Er freundet sich mit einer Kioskbesitzerin an und ahnt nicht, wie prekär seine Situation zwischen denn Fronten eines Drogenkrieges ist, mit dem ein brutaler Bandenboss die Vormachtstellung im Viertel erlangen will. Marc ist fasziniert von diesem anderen, riskanteren Leben, und er verliert sich unaufhaltsam in dessen Chaos.
Der junge deutsche Regisseur Tom Schreiber ließ sich durch die Erlebnisse eines Schulfreundes zum diesem Film inspirieren, der tatsächlich ein Jahr als medizinischer Praktikant in Cali verbrachte und dessen Briefe von dort immer düsterer und verstörender wurden. Der Film wurde komplett an den Originalschauplätzen gedreht und mit der gleichen Konsequenz werden die Filmfiguren von Einheimischen gespielt, von denen viele Laiendarstellern direkt von der Straße weg gecastet wurden. Von einer kleinen Ausnahme abgesehen ist August Diel in der Titelrolle der einzige deutsche Darsteller.
Wie immer wirkt der Schauspieler ein wenig distanziert und überheblich, und diese Ausstrahlung kommt seiner Rolle hier sehr zugute. Sein Dr. Aleman ist auch immer ein verzogener Junge, und dadurch bekommt man als Zuschauer ein irritierend, ambivalentes Verhältnis zu ihm, das dem Film eine eigene Unruhe gibt, die ihn vielleicht interessanter wirken lässt, als er es eigentlich ist.
Denn obwohl sich Schreiber große Mühe gibt, den Film atmosphärisch, in Darstellung und Ausstattung authentisch wirken zu lassen, fehlt ihm der genaue Blick für die Details, den ein einheimischer Filmemacher hat, und der Filme wie „City Of God“ und „Amores perros“ auszeichnet, denen Schreiber hier offensichtlich nacheifert.
Zudem macht wieder einmal die Synchronisation vieles kaputt, denn eine Nuance des Films besteht darin, dass Marc mit seinem Schulspanisch oft gar nicht genau mitbekommt, wovon die anderen reden. Hier sprechen nun alle ordentliches Hochdeutsch, was besonders absurd wirkt, wenn Marc „in deutsch“ mit seinen Eltern telefoniert, und die anderen im Raum parallel dazu „in spanisch“ ein Gespräch führen. Wilfried Hippen