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Archiv-Artikel

Schafe plus Fremde

FREITAGSCASINO VON ULRIKE HERRMANN Selbst Neuseeland ist von der Finanzkrise betroffen. Die Lösung: Einbürgerungen

Ulrike Herrmann

■ ist die wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Ihre Wirtschaftskolumne „Freitagscasino“ erscheint einmal im Monat, jeweils an einem Freitag, auf dieser Seite.

Wie viele Schafe hat Neuseeland? 70 Millionen, wie der Reiseführer behauptet? Oder nur 55 Millionen, wie es auf der Homepage der deutschen Auswanderer heißt? Es ist schwer vorstellbar, dass der Export von Kiwis, Wein und Wolle diese Nation ernähren soll, und dennoch scheint es neben der Landwirtschaft keine weiteren bedeutenden Wirtschaftszweige zu geben – wenn man einmal vom Verleih von Wohnmobilen absieht, mit denen dann Zehntausende von ausländischen Touristen die Nord- und Südinsel umkurven.

Neuseeland ist ein Rätsel: Offiziell gehört es zu den Industrieländern, ist auch Mitglied in der OECD – nur Industrie hat es fast keine. Und nach einem kurzen Goldrausch in den 1860ern sind auch die Rohstoffe weitgehend erschöpft. Wie also verdienen die Neuseeländer ihr Geld?

Reich scheinen die meisten nicht zu sein. Die neuseeländische Regierung führt gerade eine Umfrage durch, welche Transportmittel benutzt werden – wobei auch erhoben wird, wie viel die Einzelnen verdienen. Wer ausgelost wird, muss mitmachen. Auch Touristen, wenn sie zufällig den Weg des Fragepersonals kreuzen. Noch nie habe ich erlebt, dass ein taz-Gehalt Ehrfurcht auslöst, aber in Neuseeland gehöre ich damit in das obere Drittel der Angestellten.

Reich in Neuseeland?

Doch auch in Neuseeland kann man zu Geld kommen, wie der konservative Premier John Key vorführt. 2008 wurde er ins Amt gewählt, und noch immer staunen die neuseeländischen Zeitungen über sein Vermögen. „Der reichste Premier, den wir je hatten“ – mit diesem Superlativ wird er gern umschrieben. Knapp 25 Millionen Euro soll er besitzen – und steht damit auf die Liste der reichsten Neuseeländer.

Mehr als ein Jahr nach seinem Amtsantritt veröffentlichen die neuseeländischen Magazine noch immer Homestorys über ihren Premier, in denen ausführlich beschrieben wird, dass seine Villa derart viele Zimmer habe, dass sich dort „eine ganze Rugby-Mannschaft“ unterbringen ließe. Für Volksnähe sorgt dann der Hinweis, dass seine Katze ein Mischling sei. Key hat sein Vermögen in einem Geschäftszweig angehäuft, der zunächst so gar nicht zum Klischee der Schafsnation Neuseeland zu passen scheint: Er war Devisen- und Derivatehändler bei der US-Investmentbank Merrill Lynch. Doch tatsächlich ist es ein äußerst treffendes Symbol, dass Neuseeland jetzt von einem Spekulanten regiert wird, denn dieses kleine ferne Land ist längst zu einem Spielball der weltweiten Finanzmärkte geworden.

Von wegen „eine andere Welt“

Das Auf und Ab der Wechselkurse dringt bis in den Alltag vor. „Dollar stronger“, meldete etwa die Lokalzeitung Greymouth Star kürzlich. Die neuseeländische Währung hätte gegenüber dem Euro, dem Yen und dem britischen Pfund weiter an Wert gewonnen. Diese Nachricht findet sich ausgerechnet in einem Blatt, das eine Auflage von ganzen 4.300 Exemplaren hat und an der menschenleeren Westküste erscheint. Nur ein paar Milchbauern leben hier, die bis zur nächsten größeren Stadt 250 Kilometer und die Neuseeländischen Alpen überwinden müssen. Aber selbst in dieser Einsamkeit sind Wechselkurse wichtig.

Und die Kurssprünge sind tatsächlich enorm: Im Februar 2009 bekam man für einen Euro noch 2,55 neuseeländische Dollar – ein Jahr später sind es nur noch 1,97 Dollar. Dabei hat das Land unverändert vor allem Milch, Fleisch und Holz exportiert. Die rasanten Kursveränderungen können nur das Werk von Spekulanten sein.

Neuseeland ist ein Zielgebiet für den sogenannten „Carry Trade“, der die Zinsdifferenz zwischen verschiedenen Ländern ausnutzt. So liegen die Leitzinsen in den USA bekanntlich bei faktisch null Prozent; in der Eurozone sind es 1,0 Prozent. Daher verschulden sich die Spekulanten in diesen Währungen – und tauschen das Geld dann in neuseeländische Dollar um, weil in Neuseeland die Zinsen noch immer deutlich höher liegen. Die rege Nachfrage wertet den Dollar auf, so dass die Spekulanten nicht nur einen Zins-, sondern auch einen Kursgewinn verbuchen können.

Migranten als Geldmaschine

Die Einwanderer stabilisieren eine Immobilienblase, die ansonsten längst geplatzt wäre

Dieses Treiben ließe sich nur unterbinden, wenn auch die neuseeländische Zentralbank ihren Leitzins gen null senken würde, doch scheidet diese Maßnahme schon deswegen aus, weil sich Neuseeland zwar gern als „Exportwirtschaft“ bezeichnet, faktisch jedoch vor allem ein Importland ist – und chronisch mehr ein- als ausführt. Milch und Holz bringen auf dem Weltmarkt nicht genug, um all die Autos und Maschinen zu bezahlen, die ihren Weg nach Neuseeland finden. Das Land ist überschuldet, und die internationalen Kreditgeber erwarten natürlich Zinsen für ihre Darlehen.

Steigt jedoch der neuseeländische Dollar weiter unkontrolliert, dann verteuert sich automatisch auch die Milch, die auf dem Weltmarkt verkauft werden will; Abnehmer werden rar. Um diesem Teufelskreis zu entkommen, forciert Neuseeland eine Wachstumspolitik der eigenen Art: die Einwanderung. Seit 2000 hat sich die Zahl der Neuseeländer von 3,857 auf aktuell 4,35 Millionen erhöht. Das Kalkül ist schlicht und wird von den heimischen Analysten gar nicht erst geleugnet: Man spekuliert auf das Geld der Migranten. Viele von ihnen haben Besitztümer in der Heimat verkauft, um ein neues Anwesen in Neuseeland zu erwerben. Dafür zahlen sie gern auch Preise, die kein Neuseeländer mehr aufbringen könnte, wirken die Immobilien doch billig auf die Neuankömmlinge. Hier können sie sich Grundstücke und Häuser leisten, die für sie in Europa unerschwinglich wären. Deswegen nehmen sie dann auch gern in Kauf, dass der Durchschnittslohn bei nur 60 Prozent der anderen Industriestaaten liegt. Die Einwanderer stabilisieren damit eine Immobilienblase, die ansonsten längst geplatzt wäre.

Neuseeland hat sich damit auf eine besondere Form des exponentiellen Wachstums eingelassen: Die Bevölkerung muss immer schneller steigen, damit der Lebensstandard für alle möglichst stabil bleibt. Es lebt also nicht nur von seinen Schafen, sondern auch von den Fremden, an die es seine Pässe austeilt.