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Archiv-Artikel

Große Symbole gegen kleine Sünder

GIPFELLÜCKE Der EU-Gipfel will der Steuerflucht den Kampf ansagen. Doch die Konzerne knöpfen sich die Regierungschefs nicht vor, Großbritannien schonen sie

BRÜSSEL taz | Die Deutschen ärgern sich über Uli Hoeneß, die Franzosen schimpfen auf Gérard Depardieu. Doch über Apple, BASF oder Volkswagen redet keiner. Dabei schleusen die Konzerne viel mehr Geld am Fiskus vorbei als die steuerflüchtigen Promis. Über Briefkastenfirmen, Stiftungen und legale Steuertricks sparen die Multis Milliarden, doch niemand regt sich auf.

Wenn es nach den 27 Regierungschefs der Europäischen Union geht, soll dies vorerst auch so bleiben: Bei ihrem Gipfeltreffen am Mittwoch in Brüssel stehen nämlich nur die Steuerflüchtlinge und ihre europäischen Paradiese wie Liechtenstein oder die Schweiz am Pranger. Die sogenannten legalen Steuervermeidungsstrategien der Konzerne und ihrer Bosse hingegen wollen Kanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen ausklammern.

Für die Unternehmenssteuern seien andere Organisation wie die OECD – der Pariser Club der reichen Industrieländer – zuständig, hieß es gestern in Berliner Regierungskreisen. Beim EU-Gipfel wolle man sich auf den automatischen Informationsaustausch über Zinserträge konzentrieren und Druck auf EU-Staaten wie Luxemburg oder Österreich machen.

Dabei sind die Konzerne für den größten Teil der geschätzten 1.000 Milliarden Euro verantwortlich, die den EU-Staaten jedes Jahr durch Steuerflucht und Steuervermeidung durch die Lappen gehen. Das ist ungefähr so viel wie das gesamte EU-Rahmenbudget für die Jahre 2014 bis 2020. Würden die Steuern korrekt abgeführt, hätte Europa keine Schuldenkrise mehr.

Doch das scheint Merkel & Co. nicht zu interessieren. Aufgescheucht durch Skandale à la Hoeneß und Enthüllungen wie die Offshore-Leaks, wollen sie den Eindruck vermitteln, sich zu kümmern. In Wahrheit schieben sie Entscheidungen auf die lange Bank. Beschlüsse seien beim EU-Gipfel, der gerade mal drei Stunden dauern soll, nicht zu erwarten, heißt es in Berlin. Man wolle „unterstreichen, wie wichtig das Steuerthema ist“ – aber das war’s dann auch. Den Brüsseler EU-Politikern ist so viel Symbolpolitik suspekt. Sie fordern über die Parteigrenzen hinweg mehr Härte im Kampf gegen Steuersünder. Selbst der sonst eher zaghafte Kommissionschef José Manuel Barroso wagte sich am Dienstag aus der Deckung und verlangte mehr Einsatz. Zumindest eine „politische Verpflichtung“ müsse der EU-Gipfel bringen.

Bis Januar 2015 müsse ein System zum kompletten Informationsaustausch geschaffen werden. Dieser dürfe sich nicht länger auf Zinserträge beschränken. Vielmehr müsse er auf alle Einkommen ausgeweitet werden – Erträge aus Arbeit, Versicherungspolicen, Dividenden und Pensionen. „Dies ist machbar“, betonte Barroso.

Weiter wollen die Grünen im Europaparlament gehen. Man müsse endlich zu einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Unternehmenssteuer kommen, fordert die Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms. Nur so lasse sich verhindern, „dass sich Unternehmen – völlig legal! – für die Versteuerung ihrer Gewinne das Land aussuchen, in dem es die günstigsten Konditionen gibt.“

Doch davor schrecken die EU-Chefs zurück, auch Merkel. Schließlich hat sich die Kanzlerin die „Wettbewerbsfähigkeit“ auf ihre Fahnen geschrieben. Und dazu zählen nicht nur niedrige Unternehmenssteuern, sondern auch ein Steuerwettbewerb zwischen den Staaten.

Den deutschen Konzernen würde es nicht so gut gehen, wenn sie nicht immer wieder Schlupflöcher in Staaten wie Irland, den Niederlanden oder Belgien finden würden. Wenn die EU es ernst meinte mit dem Kampf gegen Steuersünder, dann müsste sie sich Großbritannien vorknöpfen. Denn viele der größten Steueroasen werden von London vertreten – wie die Cayman Islands, die Bermudas oder die Jungferninseln, die allein 40 Prozent aller Briefkastenfirmen auf der Welt beherbergen. Doch weder in Berlin noch in Brüssel wagt man es, Druck auf London auszuüben. Das könnte die Euroskeptiker auf der Insel anfeuern, fürchten EU-Diplomaten.

ERIC BONSE