: Ermüdender Kampf um Papiere
INTEGRATION Zwei Jahre lang hat die Ausländerbehörde einer 19-jährigen Staatenlosen Ausweispapiere verweigert – mit absurden Begründungen. Kein Einzelfall, so Initiativen
MARIAM MAHMUD
VON ZOÉ SONA
Mariam Mahmud* ist 19 Jahre alt und wohnt in Friedrichshain. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau mit höflichen Umgangsformen. Und sie weiß, was sie will: „Ich bin Berlinerin und ich möchte hier bleiben“, sagt sie mit ruhiger, sicherer Stimme. Sie hat ihren Hauptschulabschluss in der Abendschule nachgeholt und absolviert ein Praktikum in der Altenpflege. In ihrer Freizeit liest sie Krimis, aber auch medizinische Fachbücher. Bald will sie ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin beginnen – die Ausländerbehörde wusste dies lange zu verhindern.
Obwohl Mariam Mahmud in Berlin geboren ist, fließend Deutsch spricht und einen Schulabschluss hat, verweigerte ihr die Behörde zwei Jahre lang ein Ausweispapier, mit dem sie im alltäglichen Leben als Rechtsperson auftreten kann. „Ohne Ausweis kann ich noch nicht einmal eine Wohnung anmieten“, erklärt sie. Geschweige denn ein Konto eröffnen, einen Vertrag abschließen oder reisen.
Eigentlich erfüllt sie alle Voraussetzungen, um als deutsche Staatsbürgerin anerkannt zu werden. Doch die Ausländerbehörde hatte mehrfach beanstandet, Mariam Mahmud hätte sich nicht genügend bemüht, ihre Passpflicht zu erfüllen – sprich ihre Herkunft eindeutig zu belegen. Monatelang habe die Behörde nicht auf Anfragen nach dem Ausweispapier reagiert, berichtet Mahmud. Später seien immer absurdere Forderungen an sie gestellt worden, um ihre Identität nachzuweisen. Erst eine Klage beim Berliner Verwaltungsgericht führte letzten Endes zu der Identitätsbescheinigung.
Die Verzögerungstaktik der Ausländerbehörde ist nichts Neues: Thuy Nonnemann, die für den Migrationsrat in der Härtefallkommission des Landes Berlin sitzt, bestätigt, dass die Ausländerbehörde die Bewilligung von Ausweispapieren oft um Monate verzögere.
Viel Beratung nötig
Und eine Mitarbeiterin der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen (KuB) erklärt, dass gerade bei Palästinensern die Ausweispflicht ins Extreme getrieben werde. Ihr Kollege führt aus, dass ungefähr die Hälfte seiner Beratungsfälle Palästinenser seien, die auf die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis warten. Laut der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales leben rund 12.000 palästinensische MigrantInnen in Berlin. Zumeist sind sie als Flüchtlinge aus dem Libanon gekommen.
Die langen Wartezeiten würden für die AntragstellerInnen zur Belastungsprobe. Die KuB-Mitarbeiterin beschreibt die häufigen Folgen: „Die MigrantInnen werden durch die Passverzögerung handlungsunfähig, fühlen sich ausgegrenzt und erkranken oft chronisch. Gleichzeitig werden die Integrationsforderungen erhöht und der Druck wächst immens.“ Diesen Verlauf nahmen Mariam Mahmuds Einbürgerungsbemühungen zum Glück nicht. Sie konnte durch die Unterstützung der Jugendhilfe einen Anwalt beauftragen und auf ihren Forderung beharren. Vielen anderen MigrantInnen in Berlin ergeht es schlechter, die Fälle ähneln sich jedoch.
Mariam Mahmuds Mutter ist libanesische Palästinenserin, ihr Vater unbekannt. Mahmud ist bei Pflegeeltern und in Heimen, zuletzt in Betreuung der Jugendhilfe, aufgewachsen, weil ihre Mutter nicht in der Lage war, sich um sie zu kümmern. Das hatte auch Auswirkungen auf ihren Lebensweg: Sie hielt sich nicht an Regeln, schwänzte die Schule, flog aus Pflegeeinrichtungen. Trotz der schwierigen Umstände hat Mariam Mahmud es geschafft, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen: Sie hat einen Schulabschluss gemacht und führt ihren eigenen Haushalt. „Frau Mahmud hat in den letzten Jahren solche Fortschritte gemacht, dass die Jugendhilfe schon lange nicht mehr nötig wäre“, bestätigt auch ihr Betreuer, Eugen Bode. Doch erst wenn sie aus der Betreuung der Jugendhilfe entlassen wird, ist der letzte Schritt in die Unabhängigkeit getan. Die war eigentlich nur bis zu ihrem 18. Lebensjahr für sie zuständig, dann aber gezwungen für sie zu sorgen, bis sie ihre Identität selbständig mit einem Ausweispapier belegen konnte.
Nach Mariam Mahmuds erstem Antrag auf einen Ausweisersatz verstrichen drei Monate. Erst die Androhung einer Untätigkeitsklage konnte die Ausländerbehörde dazu bewegen, sich damit überhaupt zu befassen: Sie lehnte die Gewährung eines Ausweisersatzes schließlich ab, weil Mariam Mahmud nicht nachgewiesen hätte, dass sie nicht in zumutbarer Weise einen libanesischen Pass erhalten könne. Einen solchen Pass zu erhalten, sollte sich für sie allerdings als unmöglich erweisen: Ihre Mutter hat als libanesische Palästinenserin einen Status als Staatenlose. Die Identität ihres Vaters ist ungeklärt.
Mariam Mahmud legte gegen die Ablehnung des Ausweisersatzes Widerspruch ein und bekam wiederum erst nach Androhung einer Untätigkeitsklage Antwort von der Ausländerbehörde. Zwar wurden die Voraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis als gegeben anerkannt, trotzdem wurde ihr Widerspruch mit der immer gleichen Begründung abgelehnt, sie habe sich nicht zielstrebig genug um einen Pass bemüht. Mahmuds Anwalt Stefan Krauth beschreibt dieses Vorgehen als Zermürbungstaktik: „Die Ausländerbehörde hat auf Zeit gespielt und alles getan, um eine erfolgreiche Integration zu torpedieren.“
Erst die Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Ausländerbehörde scheint dem Fall eine Wendung gegen zu haben. Nachdem in einer ersten Anhörung auch der Richter Unverständnis über die Haltung der Ausländerbehörde zeigte, hielt plötzlich auch die Behörde Mariam Mahmuds Bemühungen für ausreichend, wie Kristina Tschenett von der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres erklärt. In Zuge dessen hat die Ausländerbehörde Mariam Mahmud in einem Vergleich angeboten, ihr den Ausweisersatz und die Niederlassungserlaubnis zu gewähren, wenn sie ihre Klage fallen lässt. Den Makel einer verlorenen Gerichtsverhandlung war der Ausländerbehörde eine weitere Verzögerung der Ausweispapiere scheinbar doch nicht wert.
Mariam Mahmud hat den Vergleich akzeptiert – und ihre Niederlassungserlaubnis inzwischen abgeholt. Deutsche Staatsbürgerin ist sie damit aber noch nicht.
* Name geändert