: All inclusive: Familienkrach, Flüchtlingsdrama
SOMMERFERIEN Ignoranter, verliebter Vater gegen engagierten Sohn: „Implosion“ (0.20 Uhr, ZDF)
Sommerferien. Die Schule mal für ein paar Wochen vergessen. Der 17-jährige Thomas (Sven Gielnik) ist weit weg von zu Hause. Ein Strandcafé an irgendeiner spanischen Costa Blanca/Brava/del Sol. „Hallo Thomas“, sagt die Frau (Carolina Clemente), die schon dasitzt: „Machst du hier Urlaub?“ „Das is’ meine Spanischlehrerin“, sagt Thomas zu seinem Vater (Hans-Jochen Wagner). Und: „Lass uns abhauen!“ Der Vater will nicht abhauen: „Ja, Zufälle gibt’s!“
Nur ist dieser Fall kein Zufall. Augenblicke später finden die Hände von Vater und Lehrerin zueinander, der Vater erklärt knapp: „Wir sind zusammen.“
Implosion, Schock – aber immerhin die Möglichkeit, Oben-ohne-Fotos von der schönen Lehrerin per MMS zu verschicken. Der Vater schwebt auf Wolke sieben: „Genau das hab ich mir gewünscht! Sonne, Strand, Meer. Liebe. Alles so einfach. So sausimpel. So supersausimpel. Endlich wieder lebendig!“
Sommertage und eine komplizierte zwischenmenschlich-familiäre Konstellation – für einen Berliner-Schule-Film wäre das Stoff genug. Siehe „Ferien“ von Thomas Arslan, siehe „Nachmittag“ von Angela Schanelec. Sören Voigt hat auch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) studiert, ihm ist es nicht genug.
„Endlich wieder lebendig!“, suhlt sich also der Vater in seinem Glück. „Vierzehn tote Migranten und ein lebendiger Tourist“, konstatiert Thomas. Das nämlich waren die ersten Filmbilder: Leichen von Menschen mit schwarzer Hautfarbe treiben im Wasser. Bootsflüchtlinge brechen ein in das Idyll eines Touristenstrandes. Aber der Vater in seiner Feel-good-Ignoranz hat nichts mitbekommen.
Mehr als 10.000 afrikanische Boatpeople sollen in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken sein. Eine Folge der Krimireihe „Unter Verdacht“ fällt einem ein, ansonsten ist das Thema im deutschen Spielfilm kaum präsent. Vielleicht liegt es daran, dass die EU das Problem konsequent an die Mittelmeerländer delegiert hat. Als Deutscher kann man vor dem Problem wohl nur dann nicht länger die Augen verschließen, wenn man die Ankunft eines Flüchtlingsboots als Tourist vor Ort miterlebt. Es sei denn, man ist so ignorant wie Thomas’ Vater, dann geht es auch unter diesen Umständen.
Thomas ist jugendlich unbedarft und also aufgeschlossen und gewährt der 20-jährigen Kongolesin Djamile (Eye Haidara) Asyl in seinem Hotelzimmer. Er will sie mit nach Deutschland nehmen und plant schon die Heirat. Der Vater entpuppt sich zunehmend als Abziehbild von „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill. Als Staatsanwalt weiß er Bescheid, er betet Thomas die verübten Delikte vor – und will das Strafgesetz für sich selbst nicht gelten lassen: §§ 185, 223 StGB, das sind die entsprechenden Paragrafen zu Beleidigung und Körperverletzung.
Zu dem eskalierenden Vater-Sohn-Konflikt kommen dann auch noch die Menschenhändler, die Ansprüche auf Djamile anmelden und mit denen Thomas fertigwerden muss. Das mag sich als Plot etwas überkonstruiert lesen, aber Sören Voigt (Buch und Regie) lässt in seinem dritten Langfilm sehr souverän und plausibel eins auf das andere und aus dem anderen folgen. Das mitunter durchaus dramatische Geschehen erzählt er bemerkenswert unaufgeregt. Wer es suchen wollte, der könnte es hier finden: das Beiläufige der Berliner Schule.
Ach, und das ist nun natürlich eine Frage der Perspektive: Soll man Voigt nun noch dafür loben, dass er bei der Besetzung und Schauspielerführung auch so souverän war? Oder soll man einfach sagen, dass die vier Hauptdarsteller sehr gut spielen?
JENS MÜLLER
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