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Archiv-Artikel

In die Zeit gefallen

WUNDER Die defizitäre Wochenzeitung „Rheinische Merkur“ wird von der katholischen Kirche gekreuzigt. Doch 2011 soll sie als Minibeilage der „Zeit“ wiederauferstehen

Wie viele der rund 45 fest angestellten „Merkur“-MitarbeiterInnen weiterbeschäftigt werden, ist unklar

VON STEFFEN GRIMBERG

Im Juni stand es schon auf der Kippe: Der katholischen Kirche wüchsen die Verluste beim traditionsreichen Rheinischen Merkur über den Kopf, hieß es. Eine erneute hausinterne Lösung mit Sparrunden, Personalabbau und den üblichen Maßnahmen verspreche keine anhaltende Verbesserung. Eine Lösung müsse her – zur Not eine drastische.

Jetzt ist es offiziell: „Die Gesellschafter des Rheinischen Merkur haben beschlossen, eine Kooperation mit der Wochenzeitung Die Zeit einzugehen. Ziel ist es, die Kernkompetenz des Rheinischen Merkurs unter gewandelten Bedingungen des Medienmarktes weitestgehend zu sichern“, verklausulierte eine Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz 24 Stunden nach dem Beschluss den Schritt: Nach über 60 Jahren stellt das Blatt sein Erscheinen ein.

Ab 2011 werden eine Handvoll Merkur-RedakteurInnen eine sechsseitige Wochenbeilage für die Zeit produzieren, die den Namen Rheinischer Merkur. Christ + Welt tragen wird. Als „Schatzkästlein geistiger und geistlicher Inhalte rund um das große Thema der Religionen, der Kulturauseinandersetzungen, auch der gesellschaftspolitischen Debatten“, wie Merkur-Chefredakteur Michael Rutz schon Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe der bischöflichen Entscheidung im Deutschlandradio Kultur sagte.

Nur noch rund 36.000 bezahlte Abonnements hat der Merkur aktuell, fast genauso viele Exemplare gehen überwiegend kostenlos an katholische und andere kirchliche Einrichtungen. Die Verluste sollen jährlich im einstelligen Millionen-Euro-Bereich liegen. Das war der nicht eben armen katholischen Kirche, die über neun Bistümer und die Deutsche Bischofskonferenz den Merkur finanziert, zu viel.

Dabei sind in Zeiten sich verändernder Mediennutzung gerade den Wochentiteln gute Überlebenschancen prophezeit worden: Sie könnten die Grundversorgung für interessierte Menschen, denen die Zeit für die tägliche Zeitungslektüre abhandengekommen ist, übernehmen. Allein profitiert nur die Zeit von diesem Trend, ihre Gesamtauflage wächst.

Dass nun die Zeit vom Ende des Merkurs profitiert – für die Beilage wird schließlich marktüblich gezahlt, außerdem erhalten alle Merkur-Abonnenten, die bei der Stange bleiben, künftig die Zeit –, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Das Modell indes ist alles andere als neu. Vielmehr gibt es hier eine Art Ökumene der christlichen Publizistik. Als 2000 die Evangelische Kirche wegen zu großer Zuschussbedürftigkeit ihr Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt dichtmachte, kam Chrismon heraus: ein Magazin in SZ-Magazin-Optik, das heute Zeit, SZ und anderen Blättern allmonatlich beiliegt.

Wie viele von den rund 45 fest angestellten Merkur-MitarbeiterInnen weiterbeschäftigt werden, ist unklar, die „Gesellschafter werden die sozialen Belange fair berücksichtigen und sich aktiv um neue Arbeitsplätze bemühen“, heißt es bei der Bischofskonferenz. „Die Kollegen sind teilweise preisgekrönte und immer hervorragende Journalisten, um die wir uns jetzt natürlich ein bisschen Sorgen machen“, sagt Chefredakteur Rutz. Bei der gestrigen Betriebsversammlung habe eine „Stimmung wie auf einer Beerdigung“ geherrscht, sagen Teilnehmer.

Der katholische Filmdienst und das Medienfachblatt Funkkorrespondenz, die ebenfalls von der katholischen Kirche mitfinanziert werden und beim Merkur in Bonn sitzen, sind von der Einstellung nicht betroffen. Sie gehen nun offenbar verlagstechnisch unter das Dach der Katholischen Nachrichten Agentur.

Unklar bleibt bei alldem, welche Rolle die Erzdiözese Köln und ihr erzkonservativer Bischof Joachim Kardinal Meisner beim Ende des Rheinischen Merkurs spielen. Im Sommer hatte es geheißen, Meisner sei wegen der ihm zu liberal erscheinenden Berichterstattung des Merkurs nicht mehr zum weiteren Engagement bereit und würde das Geld lieber in seine Bistumspresse stecken. Denn dort habe er mehr Einfluss. Die Bischofskonferenz dementierte derlei Gerüchte natürlich als „Unsinn“.