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Archiv-Artikel

Der Patriarch stellt sich quer

EURO-BETRIEBSRAT Beim Hamburger Logistik-Konzern Kühne + Nagel kämpft der Betriebsrat seit zwölf Jahren gegen den Mehrheitseigner um einen europäischen Betriebsrat. Vor Gericht hat er gewonnen. Doch einen Euro-Betriebsrat gibt es immer noch nicht

EU und Betriebsrat

Die Vorgänge bei Kühne + Nagel ließen die Europäische Kommission tätig werden.

■ In die Richtlinie zur Gründung von Euro-Betriebsräten ist jetzt ausdrücklich ein Auskunftsrecht verankert worden.

■ In Kraft tritt dieses Auskunftsrecht aber erst nächstes Jahr, wenn die neue Richtlinie in Landesgesetze umgesetzt worden ist.

■ Unterstützung leistet die „European Transport Worker Federation“, der Geld von der Europäischen Kommission bewilligt wurde. Damit soll im Januar die erste Sitzung des Kühne + Nagel Euro-Betriebsrates organisiert und finanziert werden.

VON KAI VON APPEN

Es gibt sie immer noch: Die alleinigen Herrscher über ein Firmenimperium. So einer ist wohl Klaus-Michael Kühne (63), Ex-Vorstandsvorsitzender der Spedition „Kühne + Nagel“, der nunmehr über seine „Kühne Holding AG“ 55,75 Prozent der Anteile an der „Kühne + Nagel Global Logistik AG“ hält. Seit mehr als 12 Jahren verhindert Kühne erfolgreich die Bildung eines Europäischen Betriebsrat (EBR) nach dem Europäischen Betriebsratsgesetz (EBRG). Er wolle keinen „Betriebsrats-Tourismus“ verkündete Kühne. „Kühne hat einfach die Töchterunternehmen angewiesen, die notwendigen Auskünfte nicht zu geben“, sagt die Hamburger Fachanwältin für Arbeitsrecht, Carola Greiner-Mai, die den Kühne + Nagel Konzernbetriebsrat vertritt.

Die Kühne + Nagel ist eine Unternehmensgruppe, die international tätig ist. Herrschendes Unternehmen ist Klaus-Michael Kühnes Holding mit Sitz in der Schweiz. Weitere Unternehmen sind in vielen EU-Mitgliedsstaaten tätig und fallen daher als Gemeinschafts-Unternehmen unter das EBRG. Da die zentrale Leitung, die Kühne-Holding, nicht in einem EU-Staat ansässig ist, gilt fiktiv nach dem EBRG als „zentrale Leitung“ das Unternehmen mit den meisten Mitarbeitern – also Kühne + Nagel Deutschland. 1998 hat der Gesamtbetriebsrat von Kühne + Nagel erstmals die fiktive Leitung in Deutschland aufgefordert, ihm nach dem EBRG Auskunft über Anzahl der Beschäftigten und ihre Verteilung auf die EU-Mitgliedsstaaten zu geben sowie Namen und Anschriften der Betriebsräte in den Kühne + Nagel-Betrieben der EU-Mitgliedsstaaten – zwecks Konstituierung eines EBR. Die Unternehmensleitung antwortete, dass sie selbst nicht über diese Informationen verfüge, sondern nur die Schweizer Holding. Diese sei nicht bereit, die Daten herauszugeben. Die Kühne Holding sehe sich dazu nicht verpflichtet, da in der Schweiz Europäische Betriebsräte weder bekannt noch gewünscht seien.

Der Konzernbetriebsrat klagte vor dem Hamburger Arbeitsgericht auf Auskunftserteilung und bekam Recht. Kühne + Nagel legte Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht ein. Kühne + Nagel Deutschland verwies darauf, dass sämtliche Bemühungen, Informationen von Kühne + Nagel Unternehmen in anderen EU-Staaten zu bekommen, fehlgeschlagen seien. Der Konzernbetriebsrat bekam den Rat, doch die Schweizer Holding direkt zu verklagen. Außerdem wurden nun Geheimhaltungs-Verpflichtungen angeführt, denen zufolge es keinen Informationsanspruch der deutschen Gesellschaft gebe, weil diese dann möglicherweise schützenswerte Geschäftsgeheimnisse der im europäischen Wettbewerb tätigen Schwesterunternehmen erführe.

Diese Einwände ließ das Landesarbeitsgericht in der Berufung nicht gelten: Es sei die konzernrechtliche Verpflichtung der zentralen Leitung Deutschland diese Informationen zu besorgen. Gegen das Urteil zog Kühne + Nagel vors Bundesarbeitsgericht, das überwies das Verfahren zur Prüfung an den Europäischen Gerichtshof. Der kam ebenfalls zu dem Schluss, dass die zentrale Leitung Deutschland auf einen Auskunftsanspruch gegenüber ihren Schwesterunternehmen pochen könne. Sie sei verpflichtet, diese Informationen zu besorgen und könne den Konzernbetriebsrat nicht darauf vertrösten, sich die Auskünfte selbst zu besorgen. Das Bundesarbeitsgericht sprach dann auch im Juni 2004 dem Konzernbetriebsrat den begehrten Informationsanspruch zu.

„Kühne hat die Töchterunternehmen angewiesen, die Auskünfte nicht zu geben“

Carola Greiner-Mai, Anwältin

Nunmehr sah sich die zentrale Leitung Deutschland zum Handeln verpflichtet und versuchte im Internet mögliche Schwesterfirmen in Europa zu ermitteln, die allesamt Auskünfte verweigerten. Korrespondenzanwälte in 22 betroffenen Mitgliedsstaaten sind von Kühne + Nagel Deutschland beauftragt worden, entsprechende Verfahren gegen Schwesterunternehmen einzuleiten. Zur Vereinfachung einigte man sich darauf, drei Musterverfahren in Schweden, Österreich und der Slowakei durchzuführen. Sollten alle drei Verfahren zu Gunsten von Kühne + Nagel Deutschland ausgehen, wären die anderen Unternehmen bereit, ohne Gerichtsverfahren ihre Informationen preiszugeben. In Schweden und Österreich sind die Verfahren gewonnen worden, in der Slowakei ist das erstinstanzliche Verfahren zu Gunsten der Auskunftsansprüche entschieden worden. Die Berufung läuft noch.

Einen Euro-Betriebsrat gibt es noch immer nicht. „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sechs Jahre nach Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahren in Deutschland die Informationsansprüche noch immer nicht realisiert werden konnten“, sagt Greiner-Mai. Der Fall sei ein Beispiel, wie ein einziger Unternehmer Gesetze aushebeln und die Wahl eines Euro-Betriebsrat blockieren könne.