: Die Steuerlüge der FDP
GELD 60 Prozent der milliardenteuren Steuerentlastung würden den Wohlhabenden zugute kommen – und nicht den kleinen und mittleren Einkommen, wie die Liberalen behaupten
VON HANNES KOCH
Rund 60 Prozent der Steuersenkung, die die FDP plant, würden den wohlhabendsten Bevölkerungsgruppen zugute kommen. Das geht aus Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) hervor, die der taz vorliegen. Rund 10 Milliarden Euro der insgesamt 16 Milliarden umfassenden Steuerentlastung würden demnach diejenigen Haushalte bekommen, die über mehr als 55.000 Euro zu versteuerndes Einkommen verfügen.
Als die FDP am vergangenen Dienstag ihr neues Steuermodell vorstellte, behaupteten Finanzexperte Hermann Otto Solms und NRW-Minister Andreas Pinkwart, die Steuersenkung entlaste „insbesondere die unteren und mittleren Einkommensbereiche“. Die Liberalen wollen den bisherigen progressiven Tarif der Einkommensteuer durch ein Modell mit fünf Belastungsstufen ersetzen. Auch Gering- und Normalverdiener hätten Vorteile, der größte Teil der absoluten Entlastung würde sich aber trotzdem bei den oberen Einkommen konzentrieren. Diese Sicht bestätigte RWI-Finanzwissenschaftler Nils aus dem Moore.
Die Forscher haben die Zahl der steuerpflichtigen Haushalte in Deutschland in zehn Dezile zu jeweils 2,81 Millionen Fällen unterteilt. Die Haushalte des zweiten Dezils mit den niedrigsten Einkommen (5.548 bis 12.033 Euro jährlich) würden durch die FDP-Reform um durchschnittlich 11 Euro pro Jahr entlastet. Diese Einkommensgruppe hätte dadurch insgesamt 31 Millionen Euro mehr pro Jahr. Mittlere Einkommen (sechstes Dezil, 30.618 bis 36.540 Euro) kämen etwas besser weg. Dort würden Haushalte durchschnittlich 500 Euro weniger zahlen, insgesamt 1,4 Milliarden.
Am oberen Ende der Einkommensskala nähme der Vorteil stark zu. Die Haushalte des neunten Dezils würden mit durchschnittlich 1.249 Euro jährlich profitieren. Sie sparten insgesamt 3,5 Milliarden Euro Steuer. Die höchsten Einkommen (ab 74.100 Euro) würden um jeweils 2.246 Euro entlastet. Das reichste Dezil zahlte demnach 6,3 Milliarden Euro weniger Steuern.
Bei der FDP dementiert man diese Verteilungswirkung der Reform nicht. Sie sei eine „Folge der Tarifentlastung im unteren Bereich“, die sich nach oben fortsetze, heißt es im Büro von Hermann Otto Solms. Außerdem verweisen die Liberalen darauf, dass die „relative Entlastung für die unteren und mittleren Einkommen“ am größten sei. Dieses Argument unterstützen auch die Berechnungen des RWI. Gemessen an ihrer bisherigen Steuer sparen die Haushalte des zweiten Dezils durchschnittlich 14 Prozent, die des obersten 6,2 Prozent. Oben allerdings ergeben 6,2 Prozent viel höhere absolute Entlastungen als 14 Prozent unten.
„Diesem Effekt könnte man im Rahmen eines Stufentarifs nur durch eine spürbare Anhebung des Spitzensteuersatzes entgegenwirken“, sagt RWI-Forscher aus dem Moore. Das plant die FDP aber nicht. Die Realisierungschancen des FDP-Konzepts stehen in den Sternen. Welche Steuerreform die Union mittragen würde, ist unklar. Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute lehnen eine Reform à la FDP ab. Sie schreiben: „Steuersenkungen, die vor allem einzelne Gruppen begünstigen, können die allgemeine Bereitschaft, den erforderlichen Sparkurs mitzutragen, untergraben.“