DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Der Pöbel-Baron schmeißt hin
WAS SAGT UNS DAS? Pirat Christopher Lauer alias @schmidtlepp findet Twitter auf einmal nervig und hört auf
Kann jemand, der Twitter nicht nutzt, noch bei den Piraten bleiben? Ist er damit nicht per Definition von jeder Form der parteiinternen (und parteiexternen) Kommunikation – und damit faktisch bei der Partei des Internets, der Transparenz und der ungezügelten Nölerei – ausgeschlossen?
Christopher Lauer, innen- und kulturpolitischer Sprecher der Piraten, ihr wohl bekanntestes Gesicht und Vorsitzender der Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, mag nicht mehr. Zeitfresser, Stressfaktor, zerfaserte Kommunikation, kein erkennbarer Nutzwert. Twitter sei für ihn damit jetzt gestorben, schreibt er in einem Gastbeitrag für die gestrige Ausgabe der FAZ.
Twitter kostet Zeit. Und manchmal auch Nerven. Und man sollte den Leuten, die mit einem kommunizieren wollen, antworten. Auch wenn das nicht immer lustig, nett und freundlich ist. So funktioniert Social Media. Und so funktioniert vor allem auch die Piratenpartei. Ungefiltert und transparent.
Wenn sich nun ausgerechnet Lauer darüber mokiert, dass er da auf Twitter Dinge lesen muss, die er gar nicht lesen will, dann ist das ungefähr so, als würde der Papst nicht begreifen, warum manch Homosexueller aus der Kirche austritt. Ein bisschen Realitätsverlust. Kaum vorstellbar nämlich, dass Lauer alias @schmidtlepp sich die Fragen „Muss es gesagt werden?“, „Muss es jetzt gesagt werden?“ und „Muss es jetzt von mir gesagt werden“ vor dem Senden der meisten seiner insgesamt über 60.000 Tweets gestellt hat.
Die Piraten haben noch genügend Mitglieder, die 140 Zeichen auf Twitter absetzen, das muss nicht die Sorge sein. Nur: Wie pöbelt Christopher Lauer denn jetzt gegen Parteikollegen und andere Politiker? Nur noch per SMS, die dann ja auch manchmal an die Öffentlichkeit gelangen? Wie mischt er sich in Debatten ein? Wie will er verfolgen, was seine Partei so treibt, wenn nicht auf diesem Kanal, auf dem sich sonst jeder tummelt, der sich Pirat nennt? Und was macht er künftig bei Podiumsdiskussionen, wenn er gerade nicht selbst redet? Wohin mit seinen Händen? Vielleicht fängt er an zu stricken.
STEFFI DOBMEIER