: Der Traum vom Fliegen
ROBOTER Schon Karl Marx dachte über eine Welt nach, in der Maschinen die Drecksjobs erledigen. Bringen Arbeitsdrohnen diese Utopie nun zurück?
verweigert die Königin von England aus Furcht vor der Verdrängung von Arbeitsplätzen das Patent für eine Strumpfstrickmaschine Quelle: „The Future of Employment“
1811
zerschlagen Arbeiter in Nottingham aus Protest gegen die zunehmende Automatisierung Maschinen in Papier- und Textilfabriken Quelle:„Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte“
1844
kommt es in Schlesien zum Weberaufstand, weil durch die Konkurrenz mit moderneren Webstühlen die Löhne immer weiter fallen Quelle: „140 Jahre Weberaufstand in Schlesien“
1909
wird in Missouri der „Anti-Automobile Club“ gegründet. Farmer pflügen Straßen um und verteilen Schlacke, die Reifen zerstört Quelle: „Motorphobia“
1983
glauben drei Viertel der Deutschen, dass der Computer Arbeitsplätze vernichtet. Rund fünfzig Prozent haben Angst vor Rechnern Quelle: „Der Spiegel“ 50/1983
2033
könnten laut einer Studie 47 Prozent der Arbeitsplätze, die es heute in den USA gibt, durch Maschinen ersetzt worden sein Quelle:„The Future of Employment“
VON DANIEL SCHULZ, JOHANNES GERNERT (TEXT) UND STEPHANIE F. SCHOLZ (ILLUSTRA-TION)
Das Übelste, was Bernd Schmidt an diesem Donnerstagmorgen passieren kann, ist, dass seine Drohne im Starkstrom der Hochspannungsleitung auf einer Anhöhe vor Kassel verglüht. Ziemlich unerfreulich wäre das, der radkappengroße Rahmen mit den sechs Propellern und der Spiegelreflexkamera ist mehr als 30.000 Euro wert.
Aber die Arbeit, die Bernd Schmidts Flugroboter gleich an einem Strommast auf einem Stoppelacker vorführen soll, erledigen sonst Menschen. Monteure, die aus einer Helikoptertür hängen oder Industriekletterer in Schutzkleidung. Wenn sie Leitungen prüfen, durch die 20.000 Volt fließen, riskieren sie mehr als ihre teure Ausrüstung.
Es ist einer der Gründe, warum die Firma, für die Schmidt arbeitet, immer mehr Leute dazu bringt, Drohnen zu lieben.
Bernd Schmidt saß mit fünf Jahren zum ersten Mal in einem Hubschrauber, Flughafen Kassel-Calden. Er ist später für den Rettungsdienst geflogen und hat dann eine Modellflugschule aufgemacht. Wahrscheinlich würde er heute noch dort arbeiten, hätte nicht irgendwann die Sache mit den Drohnen angefangen und eine Firma in Kassel ihm eine Stelle angeboten.
In der alten Kaserne im Technologiepark der Stadt entwarf ein Diplommathematiker mit Kollegen vor drei Jahren den Aibot. Eine fliegende Kamera. Ihr Unternehmen nannten sie Aibotix. „AI“ wie „Artificial Intelligence“, wie künstliche Intelligenz. „Bot“ wie „Roboter“. Heute suchen Aibots die Rotorblätter von Windmühlen nach Löchern von Blitzeinschlägen ab, sie inspizieren Brücken oder checken Pipelines. Fast jede Woche hören sie in der alten Kaserne von irgendeinem neuen Konkurrenten auf ihrem Markt.
Bernd Schmidt ist mittlerweile 33 Jahre alt und trägt den Titel „Chief Test Pilot“. Deshalb steht er an diesem Donnerstag im August mit der klobigen Fernsteuerung in der Hand auf dem Feldweg zwischen Stoppelacker und Maisfeld. An deutsche Konzerne wie Eon oder RWE verkaufen sie ihre Aibots schon. Vorhin hat er einen für zwei Gäste eines slowakischen Energieversorgers um den Strommast kreisen lassen.
Bei Aibotix hat man sich lange geweigert, die Drohnen, die sie in den Katakomben der alten Kaserne zusammenbauen, auch Drohnen zu nennen. Die Sprachregelung hieß: Hexakopter. Ein Minihelikopter mit sechs Propellern. Drohnen waren die Kriegsmaschinen, die für die USA in Pakistan auf Knopfdruck Leben vernichteten. Drohnen waren die Geldvernichtungsgeräte, die in Deutschland Verteidigungsminister fast zu Fall brachten. Drohnen waren die Vorboten eines Überwachungsstaates. Drohnen waren definitiv kein Produkt, mit dem ein hessisches Start-up in der Welt erfolgreich für die deutsche Technologieführerschaft werben konnte.
Bis im Dezember Jeff Bezos verkündete, sein Unternehmen Amazon wolle Pakete irgendwann mit Drohnen ausliefern. Es war ein PR-Coup mitten im Weihnachtsgeschäft. Es wirkte aber auch wie die Teilrehabilitierung eines Fluggeräts. Drohnen konnten auch nützlich sein. Der Begriff der zivilen Drohne stand plötzlich in vielen Zeitungen und auf noch mehr Onlineportalen. Journalisten riefen bei Aibotix an und erkundigten sich, wann die ersten Lieferdrohnen losfliegen würden.
Zurzeit schaffen sie in den Katakomben der Firma bis zu vierzig Aibots im Monat. Die Nachfrage wächst ständig. Sie brauchen dringend mehr Platz.
Auch der Absatz von günstigen Hexakoptern für zu Hause steigt. Die Firmen auf den Onlinemarktplätzen haben begonnen, das Wort „Drohne“ in den Produkttitel aufzunehmen. Offenbar ist es spannender, eine Drohne zu kaufen als einen ferngesteuerten Modellhelikopter mit eingebauter Kamera.
Auf dem Feldweg über Kassel stellt Bernd Schmidt einen kleinen Bildschirm auf ein Stativ. Vor zwei Wochen erst war er in Abu Dhabi und hat künstliche Sandinseln vermessen. Sie überlegen dort auch, ob man mit Drohnen die Glasfassaden der riesigen Hochhäuser reinigen könnte. In Fukushima messen Flugroboter Strahlung.
Der Aibot steht auf dem Feldweg, sechs Propeller beginnen sich zu drehen. Es klingt, als würden irgendwo ein paar Motorräder um die Wette rasen. Die Drohne hebt ab, Richtung Strommast. Eine orange Scheibe, von der eine Kamera hängt.
Was können Drohnen außer töten?
Bernd Schmidt erklärt, wie man über den kleinen Bildschirm die Leitung betrachten kann, wie sich bestimmte Punkte einprogrammieren lassen, die der Aibot jedes Mal wieder abfliegt, wie man über GPS-Koordinaten einen virtuellen Käfig festlegen kann, den die Drohne nicht verlassen darf. Wie sie automatisch zurückkommt, wenn man auf den richtigen Knopf drückt. Wie sie einfach schwebt, wenn man gar nichts tut.
Schmidt schaut konzentriert. Es ist windig, und Böen sind gefährlich. Aber eben nur noch für die Drohne, nicht mehr für den Piloten. „Erhöhung der Arbeitssicherheit“ nennt seine Firma das auf ihrer Internetseite. Eins mehrerer „signifikanter Nutzenpotenziale gegenüber konventionellen Verfahren“.
Seit mehr Menschen darüber nachdenken, was Drohnen außer töten und spionieren noch alles können, schwingt immer auch die Hoffnung mit, dass diese Flugroboter den Leuten Arbeiten abnehmen könnten, die ihnen unangenehm sind. Gefährlich. Oder nervig. Das Rasenmähen oder Staubsaugen erledigen Roboter schon. Warum soll ein DHL-Bote sechs Stockwerke hoch- und runterkeuchen, wenn die Drohne die Pakete auf dem Balkon abstellen könnte?
Es ist die Wiederauflage der alten linken Utopie, dass Maschinen die Drecksjobs machen und der Mensch sich auf das Schöne konzentriert. Schon Karl Marx sagte eine Zeit vorher, in der „die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein“. Weil Maschinen sie erledigen.
Auf ihn beruft sich der Sozialphilosoph André Gorz in der Utopie, die er in dem Buch „Wege ins Paradies“ von 1983 entwirft. In dieser Zukunft hat sich der Kapitalismus selbst abgeschafft, weil alle Arbeiter durch Maschinen ersetzt worden sind. Die Eigentümer von Fabriken, die durch das Entlassen von Menschen Löhne sparen wollten, haben ihre eigenen Käufer wegrationalisiert. Und damit auch die Grundlage des Wirtschaftssystems. Geld gibt es nun fürs reine Dasein.
Eine neuere Version dieses Denkens haben Constanze Kurz und Frank Rieger vom Chaos Computer Club im vergangenen Jahr in ihrem Buch „Arbeitsfrei“ formuliert. Sie schreiben von Arbeitsplätzen, „die uns nicht mehr menschenwürdig erscheinen“, und der Vision, dass diese Arbeit besser und schneller von Maschinen erledigt werden könnte, statt durch immer niedrigere Löhne erhalten zu werden.
Sollte man mit dem Verwirklichen dieser Vision vielleicht dort anfangen, wo Arbeiter schon jetzt wie Maschinen behandelt werden? „Da wird der Mensch zum Roboter gemacht“, hat Ver.di-Chef Franz Bsirske vergangenen Winter über die Arbeit in den Lagern des Internetversandhändlers Amazon gesagt. „Das mag in Texas gehen, aber hier kann man mit Menschen so nicht umgehen.“
Er spricht von dem Arbeitsplatz, über den Simone Buchwald froh ist.
Simone Buchwald läuft zehn oder zwanzig Kilometer pro Tag, manchmal auch dreißig. „Nur stehen finde ich zu langweilig“, sagt sie. „Ich laufe gern.“ Für das Logistikzentrum von Amazon im hessischen Bad Hersfeld ist sie die ideale Arbeiterin. Ihr Arzt sagt, sie dürfe nicht lange stehen; sie hat Wasser in einem Bein. Das Gehen tut ihr gut.
Buchwalds Beruf heißt Pickerin, vom englischen Verb „to pick“ – etwas aufheben. Männer und Frauen, die in den weiten Hallen der Logistikzentren die Waren zusammensuchen, die dann verpackt und verschickt werden.
Den Arbeitsalltag von Leuten wie Simone Buchwald kennt man fast nur durch verdeckte Recherchen von Journalisten. 2012 ließ sich der französische Reporter Jean-Baptiste Malet über eine Zeitarbeitsfirma bei Amazon anstellen und schrieb darüber ein Buch. Das System Amazon ähnle „dem Kollektivismus der ehemaligen Sowjetunion“, sagte Malet in einem Interview, die Einzelnen hätten keine Rechte und Freiheiten. „Wie menschliche Roboter.“
Auch Adam Littler vom britischen Sender BBC schlich sich mit versteckter Kamera bei Amazon ein. „Ich bin total zerstört“, sagt er nach einer Nachtschicht. „Wir sind Maschinen, Roboter. Wir denken nicht selbst.“
Um von ihrer Arbeit zu erzählen, hat sich Simone Buchwald in den Partyraum ihres Einfamilienhauses gesetzt. Im Regal Modellautos von Ferrari, die alte Sammlung ihres Mannes. Daneben ein braunes Sofa, braune Stühle, braune Schränke. Das meiste ist gebraucht gekauft oder geschenkt, im Moment ist Simone Buchwald die Einzige in ihrer Familie, auf deren Konto regelmäßig Geld eingeht.
Weil Buchwald ihren Job mag und ihn behalten will, möchte sie nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht. Sie habe Angst, irgendeine Schweigeklausel aus ihrem Arbeitsvertrag zu verletzen.
Simone Buchwald parkt morgens ihr Auto vor einem riesigen grauen Kasten am Rand von Bad Hersfeld, der über 100.000 Quadratmeter misst.
„Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, diese Größe, das war extrem“, sagt Simone Buchwald. „Wir sagen Knast, weil so wenig Licht reinkommt.“
Vier Lager mit jeweils vier Stockwerken. Weiße Wände, graue Regale, in denen Millionen von Artikeln liegen. Nur noch wenige Bücher, mit denen Amazon einst groß wurde, dafür sehr viel Kleidung. Auf dem Fußboden kennzeichnen blaue Linien die Wege für Fußgänger, orangefarbene die für Fahrzeuge.
Aus einem Regal in der großen Halle nimmt sie sich ihren Scanner, ein schwarzes Gerät mit kleiner Tastatur und Display, aus dem, wenn man den Abzug drückt, vorn ein roter Laserstrahl kommt. „Hallo Simone“, steht dort, wenn sich Simone Buchwald morgens mit der Nummer auf ihrem Dienstausweis in das Gerät einloggt.
Später erscheint auf dem Display etwas wie „P 3 A 210 G 430 Schuhe“. Dann geht es los.
Halle A, dritte Etage, Regal 210, Abschnitt G. Schuhkarton aus der Kiste nehmen. Strichcode scannen. Piep. Ware auf den Wagen. Blick auf Display. Wieder los. Halle, Etage, Regal, Abschnitt, Strichcode, Piep.
Schließlich: Wagen mit der vollständigen Lieferung zur Packstation schieben, einen neuen holen. Blick aufs Display.
Natürlich sei es manchmal langweilig, immer dasselbe zu machen, sagt Simone Buchwald. „Man ist wie eine kleine Maschine, ich laufe los, und links und rechts sehe ich niemanden mehr.“ Für eine einzige Lieferung muss Buchwald oft mehrere hundert Meter gehen. Sie sagt auch: „Danach brauchst du nicht mehr ins Fitnessstudio.“
Als Jugendliche hat sie Bekleidungsfertigerin gelernt. Danach hat sie für Reinigungsfirmen gearbeitet, in einem Kindergarten, im Supermarkt. Als Pickerin fing sie zuerst beim Versandhändler Zalando an, aber da habe sie zu viel stehen müssen. Vor dreieinhalb Jahren kam sie zu Amazon.
■ Was möglich ist: Bei Waldbränden in den USA wurden Drohnen eingesetzt, die aus unzugänglichen Gebieten Informationen zur Ausbreitung des Feuers lieferten. Der Ölkonzern BP überwacht seine Bohranlagen und Pipelines durch Flugroboter mit diversen Kameras und Sensoren. Tierschützer in Japan setzten Drohnen ein, um Walfänger zu orten.
■ Was möglich sein soll: In einem Papier der Europäischen Kommission heißt es, dass Drohnen „gigantische Windkraftanlagen“ in die Luft heben können, die „grünen Strom“ erzeugen. Außerdem werde momentan an Minidrohnen gearbeitet, die beim Austritt von Gas oder chemischen Substanzen eingesetzt werden könnten oder „wie Bienen Pflanzen bestäuben“.
Sie erlebt ihren Arbeitgeber anders, als die Enthüllungsjournalisten ihn beschreiben. Etwa was den Druck durch Zeitvorgaben angeht. „Ja, man sollte eigentlich in der Stunde 65 Artikel gescannt haben“, sagt sie. „Aber wenn man die nicht schafft, dann schafft man die eben nicht.“
Und natürlich würden ihre Vorgesetzten kontrollieren, was sie tut, sagt Buchwald. Mittels der Daten, die ihnen der Scanner sendet, wissen sie, ob sie gerade Ware aus dem Regal geholt hat und ob sie einen ihrer Wagen bald abgibt. „Denen fällt natürlich auf, wenn sich zwanzig Minuten nichts mehr tut“, sagt Simone Buchwald. Da komme auch mal jemand, um nach dem Rechten zu sehen. „Aber man kann schon mal fünf Minuten auf Toilette gehen.“ Wenn man öfter längere Auszeiten mache, könne es sicherlich Ärger geben. Aber sie selbst habe noch keinen gehabt.
Noch kann Simone Buchwald vieles besser als die Drohne. Die Frage ist, wie lange noch. Für einen Roboter wäre es kein Problem, an die hohen Regalfächer zu kommen, für die sich Buchwald immer auf die Zehenspitzen stellen muss; er würde es locker von oben anfliegen. Wenn er es erst einmal gefunden hat.
Bernd Schmidt, der auf dem Stoppelacker bei Kassel den Hexakopter zu den Strommasten gesteuert hat, fährt alle paar Wochen nach Dortmund. In einem Gebäude mit viel Grau und Glas versuchen Forscher des Fraunhofer-Instituts, die Drohne in einer Lagerhalle überlebensfähig zu machen. Am Ende soll der Aibot automatisch eine Inventur machen können, er soll durch die Regalreihen fliegen und alles registrieren, was dort gelagert ist. Schmidt hat den Dortmunder Wissenschaftlern dafür gezeigt, wie man den Roboter bedient.
Das Problem beim Forschen in der Halle ist, dass die meisten Drohnen drinnen blind sind. Sie empfangen die GPS-Signale der Satelliten nicht, an denen sie sich sonst orientieren. Deshalb müssen die Forscher in Dortmund und die Entwickler von Aibotix einen Weg finden, wie man Drohnen in Räumen Orientierung verschafft. Über die Kamera. Oder über Lasersensoren. Oder über beides.
Im Grunde ist das, was in Dortmund passiert, der Versuch, die Drohne auf das Terrain des Industrieroboters vordringen zu lassen.
In der Luft findet der Roboter zu sich selbst
Jahrelang stolperten die Roboter mit ihren holprigen Bewegungen durch die Welt oder taten unbemerkt als orange Einarmkreaturen in Fabrikhallen ihren Dienst. Keiner nahm sie sonderlich ernst. Sie wirkten wie eine uralte Zukunft aus einer fernen Vergangenheit. „Wenn Roboter allerdings durch die Luft schweben, sind sie schneller, flinker und anmutiger, als Menschen es je sein werden“, beobachtete der Autor Lev Grossman im Time Magazine. „Schon immer haben sich Roboter danach gesehnt, Drohnen zu sein.“ In der Luft findet der Roboter zu sich selbst. Er kann etwas, was die Amazon-Pickerin Simone Buchwald nicht kann. Fliegen.
Die Drohne hat es zum bekanntesten Roboter der Welt gebracht, dank Bush, dann dank Obama, dann dank Amazon.
Noch ein paar Jahre könnte es dauern, bis die Kopter die Waren nicht nur identifizieren, sondern sie auch aufnehmen und ausliefern. Bei Aibotix geht man davon aus, dass das eher noch ein paar Jahre mehr werden.
Denn noch ist die Drohne nicht besonders klug. „Der Intelligenzquotient liegt knapp über dem eines Fruchtjoghurts“, sagt etwa der Gründer von Aibotix. Ein Paket aufnehmen und automatisch an einem Postkasten abwerfen, das ist derzeit eine deutlich zu große Herausforderung.
Vielleicht wird der Job der Amazon-Pickerin vor dem des DHL-Boten durch Drohnen ersetzt werden, weil es in einer Halle einfacher ist, eine Fluggenehmigung zu bekommen.
Nicht nur Deutschland ringt momentan damit, Paragrafen für die Zukunft zu schaffen. Bisher gibt es für privat genutzte Drohnen, die nicht mehr als fünf Kilogramm wiegen, kaum besondere Regelungen. Aber der Pilot muss den Helikopter in Sichtweite behalten. Schon das macht einen vollautomatischen Kurierservice, wie Amazon ihn plant, unmöglich. Flugroboter für kommerzielle Zwecke brauchen außerdem eine Aufstiegserlaubnis.
Um größere Pakete zu transportieren, ist eine 5-Kilo-Drohne allerdings zu schwach. Als Lagerarbeiter und Postboten werden die Maschinen wahrscheinlich größer und schwerer sein. Für Drohnen bis zu 25 Kilogramm gelten in Deutschland aber strengere Regelungen. Solche Geräte brauchen bei kommerzieller Nutzung für jeden Flug eine Einzelgenehmigung.
Die Europäische Kommission hat sich mit einem Richtungspapier von April dieses Jahres an die Spitze derer gesetzt, die daran arbeiten, solche Beschränkungen abzubauen. Diese Technologie zu beherrschen sei von zentraler Bedeutung für die europäische Luftfahrtindustrie, schreibt die Kommission. Es stehe ein Prozess bevor, der Neues hervorbringen werde, wie es das Internet getan habe.
Momentan dominieren die USA und Israel aufgrund ihres Vorsprungs aus der Rüstungsindustrie die Branche der Drohnenhersteller. Die EU-Kommission drängt deswegen, so schnell wie möglich Regeln für den europäischen Markt einzuführen. Hersteller sollten die Sicherheit bekommen, in Europa produzieren und verkaufen zu können.
In Brüssel wollen sie den Markt öffnen. Die SPD-Politikerin Kirsten Lühmann ist vorsichtiger. „Einen flächendeckenden Einsatz zum Beispiel von Lastendrohnen kann ich mir aus Sicherheitsgründen nicht vorstellen“, sagt sie. Lühmann ist die Obfrau ihrer Partei im Verkehrsausschuss des Bundestags und entscheidet darüber mit, welche Regeln gelten, wenn Drohnen in Deutschland fliegen. Die Politiker haben dort auch über das Papier der Kommission diskutiert.
Nicht dass Lühmann grundsätzlich gegen Neues wäre. Anfang der achtziger Jahre arbeitete sie als eine der ersten Frauen bei der niedersächsischen Schutzpolizei. Heute sind weibliche Beamte in Uniform normal, damals allerdings waren sie für viele Menschen undenkbar.
Der linken Vision, dass es grundsätzlich gut sei, wenn Maschinen die Drecksarbeit übernehmen, stimme sie zu, sagt Lühmann. „Ich bezweifle aber, dass nur Arbeitsplätze übrig bleiben, die Spaß machen.“
Seit der industriellen Revolution hätten Leute immer wieder ihre Arbeit verloren, wenn sie durch Maschinen ersetzt werden konnten, sagt Lühmann. Natürlich sei es auch die Aufgabe von Gesetzgebern, gesellschaftliche Folgen zu bedenken. „Den technischen Fortschritt kann man damit aber nicht aufhalten.“ Lühmann will jetzt vor allem dafür sorgen, dass niemand von einer abstürzenden Drohne erschlagen wird.
Dahinter steht auch die Frage, wie es möglich ist, eine technische Entwicklung politisch so zu begleiten, dass man möglichst viel von ihren Vorteilen hat und möglichst wenig von ihren Nachteilen.
Die Amazon-Pickerin Simone Buchwald hat vor einiger Zeit mit einem Kollegen in der Mittagspause in der Lokalzeitung gelesen. „Da war der Chef aus Amerika drin“, sagt Simone Buchwald, „es ging um Drohnen, die Pakete abliefern sollen, wie ein Postbote.“ Auch bei den regelmäßigen Ansprachen der Manager vor den Mitarbeitern, für die im Keller Bänke aufgestellt werden, kam das Thema vor. Ein Kollege fragte in die Runde, wie es wohl wäre, wenn es hier in den Hallen Drohnen gäbe. Wenn die ihre Arbeit machen würden. Sie haben darüber geredet, wie es wäre, mit Maschinen zusammenzuarbeiten.
Einer sagte, er habe Angst, dass ihm eine Drohne auf den Kopf fällt. Wie soll man denn da noch in der Halle herumlaufen können? Simone Buchwald würde sich davor fürchten, „eins davon kaputt zu machen. Da hat man gleich einen Millionenschaden.“
Dass sie selbst gar nicht mehr in der Halle sein könnte, ersetzt von Robotern, das kann sie sich nicht vorstellen.
So wie Amazon seine Waren lagere, sei es für eine Drohne doch unmöglich, eine Lieferung zusammenzustellen. „Da sind ja auch viele Kleinteile drin, Gürtel oder Strümpfe und so was“, sagt Simone Buchwald.
Bei den Packern, da gebe es doch seit Kurzem eine Maschine, die irgendwann ein paar Arbeiter ersetzen soll, einen weißen Kasten, der aussieht wie eine Kreuzung aus einem Kopierer und dem Gerät, das am Flughafen das Gepäck durchleuchtet. „Aber die Maschine arbeitet für uns“, sagt sie, „denn sie arbeitet nicht so, wie sie soll.“ Das Gerät solle Ware in Folie verschweißen, nicht einmal das könne es richtig, es schneide mal zu viel Folie ab und mal zu wenig. Schäbiger kleiner Kasten, sagt Simone Buchwald. Sie freut sich.
■ Fußwalker: Durch langes Herumtreten auf eingeweichtem Stoff bearbeitete der Fußwalker die Fasern so, dass sie verfilzten. Er wurde im 14. Jahrhundert durch Walkmühlen ersetzt.
■ Silhouettenschneider: Der Beruf hatte eine kurze Blüte von etwa zwanzig Jahren im 18. Jahrhundert. Silhouettenschneider zeichneten Schatten von Menschen und schnitten sie aus, sodass Umrissporträts entstanden.
■ Märbelpicker: Der Märbelpicker klopfte perfekt runde Murmeln aus Kalkstein. Die fertigen Kugeln wurden im 18. Jahrhundert als Zählhilfe und Spielzeug, im 19. Jahrhundert auch als Geschosse im Seekrieg eingesetzt.
■ Laternenanzünder: Das Anzünden und Löschen der Gaslaternen in Städten war im 19. Jahrhundert Aufgabe des Laternenanzünders. Dann wurde in vielen Städten die Fernzündung eingeführt.
„Drohnen sind wie die meisten Roboter für Jobs gedacht, die langweilig, dreckig oder gefährlich sind“, schreibt ein Drohnenentwickler aus Kalifornien im Time Magazine.
Simone Buchwalds Job fällt da wohl in die Kategorie „langweilig“. Nur weiß Buchwald eben nicht, ob in einer Zukunft, in der es solche Arbeiten nicht mehr gibt, noch Platz für sie ist . „Was soll ich denn dann machen?“, fragt sie im Partyraum ihres Einfamilienhauses. Bei Amazon könne man einsteigen, auch ohne eine Ausbildung. „Wo findet man solche Arbeit schon noch? In den meisten Firmen musst du ja irgendwas gelernt haben.“
Die Vordenker aus den Drohnenwerkstätten der Welt wollen Menschen wie Simone Buchwald aus der Eintönigkeit ihres beruflichen Alltags retten. Nur wollen die Opfer vielleicht gar nicht gerettet werden.
Bart Remes geht trotzdem davon aus, dass die Roboter nicht zu stoppen sind. Dass es irgendwann so kommt, dass Flugzeugdrohnen Waren von Kontinent zu Kontinent bringen, dass kleinere Drohnen die Flugzeuge entladen und noch kleinere die Waren ausliefern.
Remes forscht an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden. Mit seinen Kollegen hat er eine der kleinsten Kameradrohnen der Welt entworfen. Smartdrohnen, die man in die Hosentasche stecken kann. Manche ihrer Drohnen haben Flügel, andere sehen aus wie Insekten. Die kleinste wiegt drei Gramm und fliegt drei Minuten.
Sie arbeiteten daran, dass bald jeder eine Smartdrohne bei sich trägt, erzählt er im Frühjahr in seinem Kurzvortrag auf einer Internetkonferenz in Berlin.
„Man kann im Grunde jedes Problem mit Drohnen lösen“, sagt Bart Remes.
Einen Waldbrand löschen. Die Unterseite einer Ölplattform inspizieren. Oder: Crystal Meth über die Grenze bringen, Waffen über Gefängnissen abwerfen, mit Sprengstoff in eine Menge fliegen.
Den technischen Fortschritt gibt es immer als Traum und als Albtraum.
Was das Wachstum der Drohnen anbelange, befänden wir uns gerade kurz vor der Spitze, sagt Remes. „Das wird noch explodieren.“ Dann würden es alle normal finden, Drohnen zu haben, glaubt er. Es sei wie damals mit den Smartphones. Anfangs habe man auch nicht gewusst, was man damit machen solle. Die Anwendungen kamen nach und nach. So stellt sich Remes das auch mit seiner Drohne vor. Er schenkt sie der Welt, die Welt soll sich dann ausdenken, was sie damit anstellt.
Nur werden all die Visionen in Europa oder den USA schwer umzusetzen sein, sagt Remes. „Wegen all dieser Regeln.“ Das ist eigentlich seine größte Sorge. In afrikanischen Ländern seien die Chancen wahrscheinlich größer.
Amazon hat im Juli bei der Luftfahrtbehörde der USA beantragt, seine Drohnen im Freien testen zu dürfen. Die Bestimmungen für die kommerzielle Nutzung der Flugmaschinen sind dort strikt. Bisher lässt Amazon seine Testroboter deshalb entweder im Ausland oder in Hallen fliegen.
Ende August berichtete die Economic Times, Amazon werde mit seiner Drohnenlieferung in den indischen Städten Mumbai und Delhi beginnen. Regelungen, die das verhinderten, gebe es in Indien noch keine.
■ Daniel Schulz, 35, sonntaz-Redakteur, wurde am Wochenende in einem Rollenspiel von einer Kampfdrohne angegriffen. Er gewann
■ Johannes Gernert, 34, sonntaz-Redakteur, kollidierte neulich beim Joggen fast mit einer Drohne
■ Stephanie F. Scholz, 31, ist freie Illustratorin. In ihrem Diplom-Buch geht es um künstliche Intelligenz