: Mann ohne Ende
IDYLLE Seit 25 Jahren gibt es den „Landarzt“ – die Minidramen einer norddeutschen Kleinstadt sind nationales Kitschgut. Ab heute sendet das ZDF (19.25 Uhr) neue Folgen. Gerhard Olschewski hat die Serie geprägt wie kein Zweiter. Aufhören kann er nicht, denn das wäre Mord
GERHARD OLSCHEWSKI ÜBER SICH SELBST
AUS LÜBECK UND KAPPELN DAVID DENK
Zur Feier des Tages hat Gerhard Olschewski Nusstorte gekauft, eine Lübecker Spezialität wie das Marzipan und er selbst. „Wie kommt denn ein Journalist von einer richtigen Zeitung dazu, mich zu interviewen?“, fragt er auf der Terasse seines Hauses am Stadtrand von Lübeck, halb misstrauisch, halb stolz. „Ich bin doch sonst eher Thema in grünen und bunten Blättern.“
Seit mittlerweile 25 Jahren spielt der 70-Jährige den Kräuterdoktor Hinnerk Hinnerksen in der ZDF-Vorabendserie „Der Landarzt“, den erdverwachsenen Gegenpol zu den abgehobenen Akademikern. Dr. Karsten Mattiesen (Christian Quadflieg), Dr. Ulrich Teschner (Walter Plathe), aktuell Dr. Jan Bergmann (Wayne Carpendale) – seine Landärzte kamen und gingen, Hinnerksen blieb. Von Freitag an beruhigt „Der Landarzt“ die Zuschauer wieder mit seiner Bilderbuchwelt, die viel weniger komplex ist als die vor der Tür. In der Auftaktfolge der 21. Staffel etwa geht es nur darum, dass die hochschwangere Landarztfrau eine Vertretung für ihren Gasthof ablehnt und Hinnerksens Sohn sich in eine Städterin verliebt.
Gerhard Olschewski ist der heimliche Hauptdarsteller der Serie und der Star von Kappeln sowieso. Wenn er durch die in der Serie „Deekelsen“ genannte Kleinstadt nahe Schleswig spaziert, grüßen ihn die Einheimischen mit Vornamen wie einen alten Bekannten – vorausgesetzt, er trägt seine, also Hinnerks Häkelmütze. Das Publikum identifiziert ihn so absolut mit der Rolle wie sonst nur wenige, etwa Marie-Luise Marjan mit der Mutter Beimer aus der „Lindenstraße“.
Am „Landarzt“-Set nennen ihn alle nur „Olli“. Olschewski ist ein Spitznamentyp, jemand, der keine Distanz zulässt, einem unweigerlich bekannt vorkommt, ja vertraut. Vielleicht weil er auch schon die ZDF-Serien „Unser Lehrer Doktor Specht“, „Immer wieder Sonntag“ und „Hallo Robbie“ geprägt hat. Ein Volksschauspieler. „Ich spreche den Mann von der Straße an“, sagt er. Deswegen habe der Produzent Otto Meissner ihn engagiert. Er sei „so durchschnittlich, dass man 50 Deutsche aus mir machen könnte, wenn man mich pulverisiert“, sagt Olschewski.
Drinnen, auf der Fensterbank im Wohnzimmer, steht ein Foto, auf dem sein Enkel die Hinnerk-Mütze trägt. Sie ist ein bisschen groß. Zur Familie gehören beide. Hinnerksen ist Olschewskis Alter Ego. „Ich könnte nicht von mir aus aufhören“, sagt er. „Dann wäre Hinnerksen tot – von mir umgebracht!“
„Landarzt“-Regisseur Hans Werner hat in rund 100 Serienfolgen schon einige Figuren beerdigt. Jede Figur habe ihr Verfallsdatum, sagt er, dann komme eben die nächste. „Allein die Tatsache, dass Hinnerksen nicht längst aus der Serie geschrieben wurde, spricht für die Qualität des Schauspielers Olschewski und der von ihm entwickelten unverwechselbaren Figur.“ Für ihn ist dieser Hinnerksen „einer der Anker vom ‚Landarzt‘, einer der Gründe für die ungebrochene Beliebtheit“.
Anderntags in Kappeln: Mittagspause am Anleger des Ausflugsschiffes „Schlei-Princess“. Olschewski unterhält die Komparsen. Oder ist es Hinnerksen? Zumindest trägt er dessen Klamotten, die Häkelmütze, das Karohemd. Das Kostüm ist sein Panzer im Nahkampf mit den „Landarzt“-Fans. „So lasse ich mich gern fotografieren“; sagt er, „privat finde ich es zum Kotzen.“ Da! Schon wieder! Kaum bewegt sich Olschewski ein paar Meter auf der Hafenpromenade, ist eine Kamera auf ihn gerichtet. „Sie müssen doch fragen! Wir sind doch kein Freiwild!“, blafft er. Keine zwei Minuten später spricht ihn eine berucksackte Dame im besten ZDF-Alter an: „Darf ich von Ihnen ein Foto machen?“ – „Gern. Sie sind die Erste, die heute gefragt hat.“ – „Das weiß ich von der Veronica Ferres.“
Später studiert Olschewski einen Artikel über sich aus einem der grünen und bunten Blätter. „Boah, heiße Type, was?“, sagt er mit Blick auf sein Foto. „Jetzt verstehe ich meine Frau.“
Obwohl Olschewski seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit steht, scheint es für ihn immer noch etwas Besonderes zu sein, wahrgenommen zu werden und am liebsten natürlich gelobt. Noch heute erinnert er sich an eine positive Erwähnung in der Spiegel-Besprechung einer Hamburger Inszenierung von Franz Xaver Kroetz’ „Bauern sterben“ 1985. Noch viel lieber erzählt er, wie Kroetz, der Olschewskis Rolle selbst mal gespielt hatte, sich mit Tränen in den Augen geärgert habe, weil er auf Olschewskis Kniff, die Rolle anzulegen, nicht selbst gekommen sei.
In gewisser Weise ist der „Landarzt“ ein Abstieg für Gerhard Olschewski – auch wenn der das weit von sich weist: Das Ensemble bestehe aus hervorragenden Schauspielern, seine Serienehefrau Franziska Troegner komme vom Berliner Ensemble, er selbst vom Hamburger Schauspielhaus. „Wir brauchen uns nicht zu schämen“, sagt er. „Wir können uns sagen: Wir können auch das. Nein, Komplexe habe ich nicht, nein.“ Fühlt er sein Talent nicht ein bisschen vergeudet in dem Heile-Welt-Kitsch? „Junger Mann, dann gucken Sie falsch“, raunzt er. „Man muss immer wissen, für wen ich da spiele. Ich spiele am Feierabend für Leute, die entspannen wollen. Und das mache ich mit Bravour.“
Wehrhaft und meinungsstark erlebt ihn Hans Werner auch bei den „Landarzt“-Drehs. „Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ist Olli ein sehr politischer Mensch“, sagt er über Olschewski, SPD-Mitglied seit 1969. Er steigere sich „mit Eifer in vieles rein“. „Olli hat seine jugendliche Stürmer-und-Dränger-Natur nie abgelegt.“
Seinen Hang zum Undiplomatischen bekam auch schon der nicht sonderlich geschätzte Regiestar Peter Zadek zu spüren, den Olschewski auflaufen ließ, als der ihn mal besetzen wollte. Das Hamburger Schauspielhaus war nur eine Station seiner ersten Karriere als ernsthafter Mime, die 1976 mit dem Silbernen Bären der Berlinale für seine Rolle in Ottokar Runzes Drama „Verlorenes Leben“ gekrönt wurde: „Das würde niemand denken, dass dieser Serientrottel da ein so guter Schauspieler ist, dass er bei einem internationalen Filmfestival reüssiert.“
Olschewski gewann auch zwei Bundesfilmpreise, die Kinowelt stand ihm offen. In China hat er gedreht („Ich war quasi der Marco Polo des westeuropäischen Films“), mit Truffaut sollte er einen Film machen, die Drehtermine standen schon fest, „aber dann starb der feige Kerl“.
Federnden Schritts kommt Wayne Carpendale auf die Terrasse eines der Cafés am Kappelner Hafen und ist sofort unheimlich nett. Ein Medienprofi, der viel erzählt, aber wenig sagt. „Olli beansprucht als Schauspieler seinen Raum der Aufmerksamkeit, ohne den anderen ihren Raum zu nehmen“, sagt der aktuelle Landarzt über den doppelt so alten Kollegen. Sie sind ein ungleiches Paar, der Sohn-von, bekannt geworden durch „Unter uns“, und der Vollblutschauspieler Olschewski, aber Sie scheinen sich gut zu verstehen. „Olli hat nie in einer Daily gespielt – Gott bewahre!“, sagt Carpendale. „Aber er nimmt mich ernst. Und ich bewundere seine unermüdliche Leidenschaft für seine Rolle.“
Olschewski wiederum weiß, was er Carpendale verdankt: einen sicheren Arbeitsplatz. Dr. Jan Bergmanns Einstand in Deekelsen sahen 2009 spektakuläre siebeneinhalb Millionen Zuschauer, später pendelte sich die Quote bei um die viereinhalb Millionen ein. Carpendale hat das Format – in bescheidenem Rahmen – verjüngt und belebt.
Doch Carpendale braucht Olschewski mindestens so sehr wie der ihn, denn ohne das Knorrig-Skurrile von Hinnerk Hinnerksen würde die Serie ihre Seele verlieren. „Es ist nicht mehr viel Norddeutsches im ‚Landarzt‘ “, sagt Olschewski. „Neulich hat mal jemand zu mir gesagt: Jetzt bist nur noch du Deekelsen.“ Das hat ihm gefallen.
Der Dialektfan Olschewski wird also auch als politisches Statement gegen die Hannoverisierung des Fernsehens weiter für gutes Geld die Häkelmütze aufsetzen. Vor allem aber kann er nicht anders: Sein Ausstieg würde nicht nur Hinnerksen umbringen, sondern wohl auch Olschewski in eine Krise stürzen.
Um andere Rollen bemüht er sich längst nicht mehr. „Ich habe ja meine Leistung erbracht“, sagt Olschewski, „und außerdem gebe ich freimütig zu, dass ich ein fauler Hund bin.“ Wer ihn wolle, könne ihn buchen – und wenn nicht, auch okay. „Ich habe ja auch den chinesischen Filmpreis gewonnen, kann ich Ihnen zeigen, sieht aus wie eine Speisekarte, und den spanischen. Wenn ich diese Urkunden nicht hätte, würde es in mir anders aussehen. So habe ich es schwarz auf weiß, dass ich kein schlechter Schauspieler bin.“ Die Auszeichnungen liegen auf Olschewskis Dachboden – wohl auch, damit er hin und wieder nachgucken kann, ob sie noch da sind.